Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes ist Henriette (Corinna Harfouch), Mitte 60, wieder im Leben angekommen. Den seltenen Besuch ihrer einzigen Tochter Johanna (Karin Hanczewski) in ihrem Elternhaus in Konstanz möchte die aufgekratzte Henriette nutzen, um ihr den Grund für ihre Hochstimmung zu präsentieren: Philipp (Louis Nitsche), ihr neuer Freund, charmant, attraktiv und so alt wie Johanna. Mit Kloß im Hals und verkniffenem Lächeln übersteht diese die Hiobsbotschaft von der geplanten Heirat, macht sich aber schneller als vorgesehen wieder auf den Weg nach München, wo sie als Kardiologin arbeitet. Wochen später steht sie plötzlich wieder auf der Matte – und jetzt hat sie Neuigkeiten für ihre Mutter: „Philipp ist ein Betrüger.“ Johanna hat einen Privatdetektiv engagiert und das Ergebnis ist niederschmetternd. Der junge Mann ist vorbestraft, ein Brandstifter und Lügner, der von Hartz IV lebt. Zunächst schiebt Henriette die Vorwürfe, einem Heiratsschwindler aufgesessen zu sein, selbstgewiss von sich. Leicht verunsichert ist sie allerdings schon. Und dann steht der Beschuldigte vor der Tür.
Mutter und Tochter lassen ihn ins Haus – und dann geht die Party in dem Drei-Personen-Drama „Der neue Freund“ von Dustin Loose nach dem klugen Drehbuch von Frédéric Hambalek („Jackpot“) erst so richtig los. Das Feuer im formschönen Designer-Kamin lodert, Johanna wird immer aufgebrachter, Henriette versucht indes, besonnen und verständnisvoll zu bleiben, und der ehemalige Barkeeper erklärt sich eher schlecht als recht. Dabei verlagert sich der Konflikt zunehmend auf die Mutter-Tochter-Beziehung. Philipp übernimmt dabei die Rolle eines Katalysators, der in erster Linie auf die Chemie zwischen den beiden Frauen Einfluss nimmt. In ihrem verdrängten Streit geht es um den verstorbenen Vater und Ehemann, um vermeintlich falsche Entscheidungen, um Schuld und um Vorurteile, die nicht ausgeräumt wurden. Trotz angespannter Stimmung kommt es nicht zur schweren Dauerfehde, die gestörte Kommunikation wird – angenehm alltagsnah – nicht dramatisch aufgelöst. Die Konflikte resultieren aus den unterschiedlichen Perspektiven, was vom Drehbuch immer wieder betont wird. Dramaturgisch geschickt wird auch das Dreier-Prinzip ausgespielt. Immer wieder sorgt eine(r) für einen milderen Ton, gelegentlich ist es sogar Philipp, der die Wogen zu glätten versucht, nicht selten mit dem Resultat, dass er wieder „das Opfer“ wird: ein Kompromiss auf zwei Beinen, ein mieser Tänzer, ein notorischer Brandstifter, „aber lecken kann er wirklich gut“, wirft Henriette zwischendurch gern mal ein. Also doch nicht die große Liebe?
Mit dem realistischen Tonfall einher geht die Fähigkeit der Charaktere, die Rolle, die Stimmung, ja, sogar eine starre Überzeugung oder verbissene Haltung für einen liebenswerten Moment aufzugeben. Ihre Intelligenz erlaubt ihnen sogar mitunter Selbstironie. Ein gefundenes Fressen für die wunderbare Corinna Harfouch. Die Tochter hingegen, nicht minder stimmig verkörpert von Karin Hanczewski, punktet lieber mit sarkastischen Spitzen. Auf der Zielgeraden allerdings werfen Mutter und Tochter ihre „Mentalitäten“ zusammen, witzeln, frotzeln und haben Spaß dabei, den Mann an ihrer Seite zu verunsichern; für die Rolle den vergleichsweise unbekannten Serienschauspieler Louis Nische zu engagieren, war eine gute Idee. Entscheidenden Anteil an der geschme-digen Entwicklung des Trios trägt der Alkohol. Im besoffenen Zustand werden unmoralische Konjunktive ausgesprochen, da werden Erwachsene zu Kindern, da wechselt das Drama zur Komödie, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Im Gegenteil. Das Potenzial für die Geschichte ist in den Charakteren angelegt. Und so sind allerlei narrative Wendungen in „Der neue Freund“ möglich. Die werden oft nur angedeutet, unterschreiten nie das Niveau der Figuren und lassen sich nicht von Dreiecks(plot)klischees desavouieren.
Bei einem Kammerspiel mit wenig Personal spricht man gern von einem Schauspielerfilm. Harfouch & Co haben sich das Prädikat verdient. Doch ohne Frédéric Hambaleks vermeintlich so beiläufigen Alltagssätze, ohne die clevere, anfangs leicht irritierende, dann aber spannungssteigernde Verzahnung der zwei Zeitebenen und ohne die bedeutsamen, aber nie bedeutungsvoll ausgestellten Motivketten (Feuer, das weiße Sofa, Kardiologe/Herzversagen, Spiel/Spielsucht), die die Narration im Vorbeigehen verdichten, würde ihrer Performance der rote Faden fehlen. Ähnliches gilt für die Kamera- und Raum-Inszenierung. Die Schauspieler sind das Zentrum, aber ohne den herbstlichen Ausblick, später das winterliche Ambiente, ohne die exklusive Ausstattung und die elegante Optik zwischen stylisher Badewanne und Luxus-Plattenspieler wäre dieser SWR-Fernsehfilm nur der halbe Spaß. Auch die im On gespielten Songs, vornehmlich Sixties-Titel, haben Stil und passen zu den Figuren und den Situationen. Der Tanz der ewigen Girlies zu „Jeepster“ von T. Rex lässt zumindest Nostalgikern das Herz aufgehen. Regisseur Dustin Loose ist mit Hilfe all dieser Gewerke ein stimmiger und ästhetisch beeindruckender 90-Minüter ohne jeden Leerlauf trotz vergleichsweise wenig dramatischer Handlung gelungen. Das feine Zusammenspiel von Buch und Regie zeigt sich auch in der Psychologie der Räume: Dieses Haus hat nicht nur repräsentative Zimmer, sondern auch einige Hinterzimmer, in denen Chaos herrscht. So wie sich hinter der Fassade des Trios beschädigte Seelen zeigen. (Text-Stand: 11.9.2023)