Der Mordanschlag

Petra Schmidt-Schaller, Schily, Tukur, Georgi, Miguel Alexandre. Politik als Privatsache

Foto: ZDF / Gordon Muehle
Foto Rainer Tittelbach

Berlin 1991, eine RAF-Informantin wird eingeschleust ins Umfeld von Treuhandchef Hans-Georg Dahlmann. Der Mann steht ganz oben auf der Abschussliste der dritten Generation der Rote Armee Fraktion. Der ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ (Network Movie) orientiert sich an historischen Ereignissen, das Attentat auf Treuhandchef Rohwedder 1991, ein bis heute unaufgeklärtes Verbrechen, stand Pate für diesen Spielfilm, dessen Handlung auf der Opfer-, Täter- und Ermittlerseite jedoch fiktiv ist. RAF, Stasi oder das Big Business – wer hatte seine schmutzigen Hände im Spiel? Und beging der mutmaßliche Täter Selbstmord oder wurde er von der GSG9 hingerichtet? Autor André Georgi gelingt dieser Drahtseilakt zwischen Realität und Fiktion ausgesprochen gut. Um dem Zuschauer moralische Schlüsse zu ermöglichen, wird in „Der Mordanschlag“ die zeitgeschichtliche Politstory auf ein privates (Familien-)Drama, das in Teil 2 zum Flucht-Roadmovie mutiert, heruntergebrochen. Statt auf Thrill setzen die Macher auf eine ausgefeilte Politik der Emotionen. Eine dialektische Dramaturgie mit einem ambivalenten Spannungskonzept zieht sich durch die 180 Minuten. Gebrochene Charaktere und charismatische Schauspieler sind das Herzstück des Films.

Eine RAF-Informantin steckt im Dilemma: Das Zielobjekt ist integer & will das Gute
Berlin 1991, Sandra Wellmann (Petra Schmidt-Schaller) wird von den RAF-Mitgliedern Bettina Pohlheim (Jenny Schily) und Klaus Gelfert (Christoph Bach) als Informantin ins Umfeld von Treuhandchef Hans-Georg Dahlmann (Ulrich Tukur) eingeschleust. Er gehört zu den meistgehassten und meistgefährdeten Männern des wiedervereinigten Deutschlands. Die junge Frau wird dessen Assistentin und genießt bald sein vollstes Vertrauen. Sandra, die ohnehin hin und her gerissen ist zwischen ihrem Sohn, der Liebe zu dessen Vater, einem abgetauchten Terroristen, ihrer fürsorglichen Mutter (Suzanne von Borsody) und ihren politischen Vorstellungen, die weniger radikal sind als die der von der Stasi ausgebildeten dritten RAF-Generation, gerät zunehmend in einen Gewissenkonflikt: Dieser Mann, der angeblich die Fratze des Kapitalismus verkörpern soll, entpuppt sich als feinsinniger, überaus integrer Humanist, der es sich nicht leicht macht mit der Privatisierung des DDR-Vermögens. Ihr imponiert, wie er sich westdeutschen und internationalen Firmen in den Weg stellt, die mit allen Mitteln versuchen, dass ihnen aus dem Osten Deutschlands keine Konkurrenz erwächst. Bald wird es ernst für Sandra: Denn nach dem Anschlag auf den Vorsitzenden der deutschen Vereinsbank übernimmt BKA-Mann Kawert (Maximilian Brückner), unterstützt von Kollegin Burckhardt (Stefanie Stappenbeck), die Ermittlungen und stößt bald auch auf Sandra Wellmann und ihre linke Vergangenheit. Denn der Treuhandchef steht nun ganz oben auf der Abschussliste der RAF. Plötzlich ergibt sich die Möglichkeit, Dahlmann zu eliminieren, zu-hause, im Kreis seiner Frau (Franziska Walser), seiner Tochter (Natalia Rudziewicz) und seines Enkels. Und nicht Scharfschütze Gelfert, sondern Sandra soll ihn erschießen.

Der MordanschlagFoto: ZDF / Gordon Muehle
Bettina Pohlheim (Jenny Schily) & Klaus Gelfert (Christoph Bach) wollen Dahlmann töten. „Wir eliminieren nicht Dahlmann, wir eliminieren den Kopf der Treuhand.“

Das Attentat auf Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder 1991 diente als Vorbild
Der ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“, so heißt es im Vorspann, „orientiert sich an historischen Ereignissen“, so steht das Attentat auf Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder am 1. April 1991 Pate für diesen Spielfilm, dessen Handlung auf der Opfer-, Täter- und Ermittlerseite allerdings fiktiv ist; „die handelnden Personen sowie ihre beruflichen und privaten Konflikte sind frei erfunden“. Bei Filmen, die sich anlehnen an reale Ereignisse, ist immer Vorsicht geboten. TV-Produktionen sind teuer, da will sich keiner einstweilige Verfügungen oder Klagen wegen möglicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen einhandeln. Auf der anderen Seite handelt es sich beim Rohwedder-Anschlag um einen bis heute unaufgeklärten Mord, um den sich eine Menge Gerüchte ranken. Es gibt alternative Tathypothesen, Verdächtigungen und Unstimmigkeiten bei der Aufklärung. Wer ist tatsächlich für den Anschlag verantwortlich: RAF, Stasi oder das Big Business – oder vielleicht alle (ein bisschen)?! Ungeklärt ist auch die Frage, ob der mutmaßliche Täter – wenn er es denn war – von der GSG9 hingerichtet wurde oder Selbstmord beging. Drehbuchautor André Georgi, ein Kenner der Materie, der zum RAF-Stasi-Komplex geforscht und ein Buch dazu veröffentlicht hat, gelingt dieser Drahtseilakt zwischen Realität und Fiktion ausgesprochen gut. Obwohl die Ereignisse bekannt sind und Georgi bald klar war, „dass all die Mutmaßungen zum Hintergrund des Attentats Teil der Erzählung sein müssen“, ist dieser Zweiteiler von der ersten bis zur letzten Minute spannend, selbst sein weitgehend offenes Ende entlässt den Zuschauer nicht übermäßig frustriert aus dem Film, sondern das Ende macht eher nachdenklich.

„In Bezug auf die im Film agierenden Terroristen haben wir aus realen Personen der Zeitgeschichte neue fiktive Figuren erschaffen, um so mit künstlerischen Mitteln dem Kern der RAF nahe zu kommen. Die Figur ‚Sandra‘ ist letztlich eine Mischung aus Susanne Albrecht und Ulrike Meinhof. Bei der Figur ‚Bettina‘ haben wir uns von Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams inspirieren lassen.“ (Miguel Alexandre, Regisseur und Kameramann)

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Nach dem Attentat auf den Vorsitzenden der deutschen Vereinsbank macht sich BKA-Mann Kawert (Maximilian Brückner), der unterstützt wird von Kollegin Burckhardt (Stefanie Stappenbeck), Vorwürfe. Hat sein Informant ein doppeltes Spiel gespielt?

Erzählt wird von den Opfern, den Tätern, den Jägern und auch von deren Familien
Besonders ausgefeilt ist die Politik der Emotionen, mit der Georgi und Regisseur Miguel Alexandre den Zuschauer an den Film binden. Eine dialektische Dramaturgie mit einem ambivalenten Spannungskonzept zieht sich durch beide Teile. Da gibt es den Treuhand-Vorsitzenden, ebenso charismatisch wie locker sympathisch von Ulrich Tukur verkörpert, eine Figur, die wegen seines realen Vorbildes Rohwedder nicht zu retten ist. Und da ist die mutmaßliche Mörderin, der Petra Schmidt-Schaller eine tiefe innere Zerrissenheit auf ihren verräterischen Weg mitgibt und die trotz ihrer Schuld immer auch ein Stück Spielball der fatalen RAF-Gewaltideologie ist. Der Zuschauer folgt im ersten Teil einer Tragödie, die unaufhaltsam ihren Lauf nimmt und die – ähnlich dem Suspense, wie ihn Hitchcock versteht – die Frage danach, wie der Politiker und Manager „eliminiert“ wird, lange Zeit offenlässt. Die Schraube dieser (psychologischen) Spannung wird auf der Zielgeraden der ersten 90 Minuten kräftig angezogen. In Teil 2 rücken die beiden flüchtigen Terroristinnen, die als Sandra & Bettina eine politische Variation des legendären 1991er Kinoklassikers „Thelma & Louise“ geben, und Maximilian Brückners BKA-Ermittler, der sie jagt und doch retten möchte (auch das eine Parallele zu jenem feministischen Thriller-Roadmovie), in den Mittelpunkt des Geschehens. Auch hier spielen rezeptionsästhetisch Mitleid und Empathie eine entscheidende Rolle. In diesem Punkt hat Georgi beim Ermittler von der traurigen Gestalt, der in Trennung lebt, seine Frau noch immer liebt und sie täglich am Arbeitsplatz zusammen mit ihrem neuen Freund ertragen muss, vielleicht etwas übertrieben. Dagegen vertiefen die Szenen, in denen die Angehörigen der Täter und der Opfer, die Wellmanns und die Dahlmanns, ihre Wunden lecken, den Mordanschlag und richten das Augenmerk auf das Phänomen Familie. Unstillbaren Schmerz gibt es auf beiden Seiten. Nicht umsonst beginnt der Film mit einer Szene, die die terroristische Mutter mit ihrem Sohn zeigt. Ein Junge im gleichen Alter ist auch bei der Opferfamilie zu finden: der Enkel des Treuhandchefs. Nicht zuletzt, weil Sandra Dahlmann an seine eigene (kritische) Tochter erinnert, vertraut er ihr blindlings. Zum Schluss ist es dann wieder der Junge, der entscheidend auf das Unhappy End des Films einwirkt.

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„Du gehst da jetzt rein und erschießt ihn.“ Spannung auf der Zielgeraden vom ersten Teil: Sandra (Petra Schmidt-Schaller) zu Gast bei den Dahlmanns (Tukur & Walser). Überhaupt spielt das Thema Familie eine ganz wesentliche Rolle in dem Zweiteiler.

„Wir stellen Weltbilder gegeneinander, um den Zuschauern die Möglichkeit zu bieten, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Die Geschichte macht emotional nachvollziehbar, was mit einem Menschen passiert, der sich dem Terrorismus hingibt. Wir erleben, wie man durch diese Radikalisierung als Mensch von innen ausgehöhlt wird und im Prinzip die Verbindung zu seinen eigenen menschlichen Emotionen und seiner Empathie verliert. Das gelingt aber nur, indem wir die Hauptfigur ‚Sandra‘ mit Sympathie und Wärme betrachten.“ (Miguel Alexandre)

Dieser ZDF-Zweiteiler ist Roadmovie, etwas Politthriller & in erster Linie Drama
Um dem Zuschauer moralische Schlüsse zu ermöglichen, wird in „Der Mordanschlag“ die zeitgeschichtliche Politstory auf ein persönliches Drama heruntergebrochen. Daraus ergibt sich ein Erzählstil, der im ersten Teil noch mit seinen zahlreichen Handlungsebenen zu kämpfen hat. Unspektakulär und chronologisch werden die Szenen aneinandergereiht. Das hat weder die sachliche Anmutung einer Chronik der Ereignisse wie beispielsweise in den legendären Doku-Dramen „Todesspiel“ oder „Mogadischu“ über den Deutschen Herbst 1977 noch den rasanten Thrill von „Gladbeck“, dem Zweiteiler, der das Geiseldrama von 1988 komplex, aber zugleich hochspannend nachzeichnete. Das aber aus gutem Grund: Sujet und Genre verlangen nach einer anderen Dramaturgie. Auch wenn das ZDF für die harten Fakten der Zeitgeschichte dem Zweiteiler eine Dokumentation an die Seite stellt, so fordert doch der komplexe Stoff einen narrativ breiten Angang, mit dem tempogeladene Action-Sequenzen nur schwer zu machen sind. Und ob etwas gewonnen wäre für einen (stimmigen) Flow des Films, wenn Alexandre die zwei, drei längeren SEK- bzw. GSG9-Einsätze stärker ausgereizt und beispielsweise im Dominik-Graf-Stil dynamischer inszeniert hätte, ist bei dieser Geschichte wohl eher nicht anzunehmen. Außerdem ist Miguel Alexandre kein Thriller-Regisseur, sondern eher ein Experte für psychologische Spannung und mörderische Poesie (wie seine „Der Kommissar und das Meer“-Episoden zeigen). Auch wenn der Film im zweiten Teil Roadmovie-Züge trägt, so bleibt „Der Mordanschlag“ doch in erster Linie ein Drama, das über seine Charaktere in die Umbruchszeit der neuen Bundesrepublik Anfang der 1990er Jahre hineinleuchtet. Ein nachhaltiges Drama, das seine Macher auch gerne als „zeitlose und universelle Parabel“, so Alexandre, verstanden wissen wollen dafür, „wie Ideologien Menschen radikalisieren und in den Terrorismus treiben“. (Text-Stand: 14.10.2018)

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Zwei RAF-Terroristinnen 1991 auf der Flucht: Sandra & Bettina. Teil 2 von „Der Mordanschlag“ ist ein Polit-Roadmovie. Im Hollywood-Kino waren im gleichen Jahr „Thelma & Louise“ unterwegs. Da wie dort wollte sie ihr Hauptverfolger retten. Selbst Jenny Schilys eiskalte RAF-Aktivistin bekommt nun auch menschliche Züge.

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Mit Petra Schmidt-Schaller, Jenny Schily, Ulrich Tukur, Maximilian Brückner, Suzanne von Borsody, Franziska Hartmann, Stefanie Stappenbeck, Christoph Bach, Bernadette Heerwagen, Alexander Held, Franziska Walser, Natalia Rudziewicz, Jörg Pose, Peter Benedict

Kamera: Miguel Alexandre

Szenenbild: Benedikt Herforth

Kostüm: Petra Neumeister

Schnitt: Marcel Peragine

Musik: Wolfram de Marco

Redaktion: Wolfgang Feindt

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge, Ulf Israel

Drehbuch: André Georgi

Regie: Miguel Alexandre

Quote: 1. Teil: 4,37 Mio. Zuschauer (14% MA); 2. Teil: 3,86 Mio. (13,1% MA)

EA: 05.11.2018 20:15 Uhr | ZDF

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