Die Lebenskrise eines erfolgreichen Psychiaters
Seit Jahren schon geht der renommierte Hamburger Psychiater Dr. Magnus Sorel jeder Art von Problemen – was vor allem heißt: seinen Mitmenschen – erfolgreich aus dem Weg. Nach außen ist er ein akkurater, perfekt organisierter Seelendoktor, dessen konfrontativer Analysestil vor allem Prominente und multikulturelle Patienten, für die der Traum Deutschland längst zum Alptraum geworden ist, zu schätzen wissen. In seinem Inneren aber ist er ein zutiefst chaotischer Mensch, den seine Umwelt krank macht, weil er unter der Überempfindlichkeit seiner Sinne leidet. Jetzt steht dieser Mann vor den Trümmern seiner mit Zwängen und Ritualen notdürftig gekitteten Existenz: seine Frau, die er vor zehn Jahren von heute auf morgen verließ, hat Krebs und wird sterben; zu seinem Sohn hat er keinerlei Beziehung; er wird erpresst mit seinen Tagebüchern, die ihm gestohlen wurden und denen allein er seine Störungen peinlich genau anvertraute; und jetzt beschuldigt ihn auch noch eine Patientin der sexuellen Nötigung. Der absolute Super-GAU. Doch Sorel blendet die eigenen Gefühle aus und ergeht sich in Beschwichtigungsmantras: „Krisen sind Wachstum“.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Die eigenen Störungen nicht sehen wollen
Axel Milberg spielt in dem ARD-Fernsehfilm „Der Liebling des Himmels“ dieses Ekel, das sich ekelt vor der Welt, diesen Analytiker, der privat in der Zwangsjacke seiner Neurosen und Phobien steckt und es nicht wahrhaben will. „Das Wasser auf der Titanic steht schon unter der Kabinendecke, doch die Kapelle spielt immer noch“, bringt der Schauspieler das Verhaltensmuster seiner Figur auf ein vortreffliches Bild. Diesem Egozentriker-Profi mangelt es nicht nur an jeglicher Empathie gegenüber seinen Patienten und Mitmenschen, womit auch sein zum Teil rücksichtsloser Therapiestil zu erklären ist oder die anfängliche Unfähigkeit, mit der Trauer über den bevorstehenden Tod seiner Frau umzugehen („wie schön schlank du geworden bist“), ihm selbst fehlt auch irgendein Objekt des Begehrens im Leben. „Sie lieben nichts“, sagt ihm seine Sekretärin, die bei ihm promoviert hat, um ihm jetzt seine Termine zu koordinieren und die Einkäufe zu machen. Nach Jahren im Vorzimmer gesteht sie ihm, warum sie das alles auf sich nimmt: „Sie brauchen einen Schutzengel. Ich hab’ Angst um Sie.“ Der Top-Psychiater versteht nicht. Er muss sich zwar ständig mit Zahlenreihen therapieren, um der Reizüberflutung Herr zu werden, aber verändern will er bei sich selbst nichts.
Axel Milberg über die Störung seines Psychiaters:
„Sorel leidet unter einer Überempfindlichkeit. Er reagiert viel stärker als seine Mitmenschen auf äußere Reize, auf Gerüche, Geräusche oder Licht. Stellen Sie sich vor, Sie wachen am Morgen nach einer Feier verkatert auf. Plötzlich riecht alles so widerlich, dass es Sie würgt, und das Abstellen der Kaffeetasse auf dem Glastisch verursacht einen unerträglichen Lärm in Ihrem Kopf. Einziger Fluchtort ist ein abgedunkeltes Zimmer. Sorel hat gewissermaßen immer einen Kater.
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Woody-Allen-like – aber nicht der Charakter
Bei dieser wunderbaren Komödie von Dani Levy („Alles auf Zucker“) ist man selbstredend als Zuschauer geneigt, an Woody Allens diverse Stadtneurotiker-Figuren zu denken. Sorel allerdings leidet nicht unter einer dominanten Mutter, sein Professorenvater ist es vielmehr, aus dessen Schatten er offenbar Zeit seines Lebens nicht herauskam. Sogar heute noch sitzt dieser – mit schlohweißem, schulterlangem Haar von Mario Adorf gespielt – als Vorstand der Ethikkommission über seinen Sohn und dessen Verfehlung, mit einer Patientin geschlafen zu haben, zu Gericht. Auch ist Sorel kein zwanghafter Selbstdarsteller, der anderen seine Ängste und Obsessionen beichtet; schließlich ist er der Therapeut, der anderen helfen soll. Wie sähe das denn aus?! Sein glänzendes Image wäre ruiniert. Deshalb muss er auch versuchen, unbedingt seine Tagebücher zurückzubekommen. Dass ein ihm bekannter Mensch dahinter steckt, der ihm eine Lektion erteilen will und vor allem endlich einmal eine emotionale Regung von ihm erhofft, kann er nicht wissen und heuert nach der ersten missglückten Tagebücher-Rückholaktion zwei Schläger an, um die Sache für ihn zu erledigen. Was bei Sorel auch anders ist als bei Woody Allens Charakteren der 70er/80er Jahre: Er arbeitet an Frauen seine Melancholie, seinen Selbsthass und unbändigen Narzissmus nicht offen ab. Von seiner Frau trennte er sich, ohne Vorwarnung und ohne mit ihr darüber zu sprechen, und wenn ihm mal eine Patientin gefällt, wie die impulsive Kroatin Masha, die von ihrem gewalttätigen Mann loskommen will und sich dabei offenbar in Sorel verguckt hat, tut er es schnell ab, indem er die Frau als seiner unwert bezeichnet: „Typ schwitzende Wechseljahre, korpulent, geschmacklos.“ Später ist er dann ehrlich, sieht in der temperamentvollen Masha Objekt seiner Lust und seiner Angst: „Sie sind für mich eine übersexualisierte Zumutung.“ Ein einziges Mal stieß er sie nicht von der Bettkante. Dieses eine Mal, das der Anfang zu seiner „Heilung“ hätte werden können, wird nun voraussichtlich das Ende seiner Karriere bedeuten.
Foto: NDR / Christine Schroeder
Schlag auf Schlag tiefer in den Schlamassel
„Die Komödie schreit danach, dass es irgendeine Art von Katharsis und Erlösung für die Figuren gibt“, betont Autor-Regisseur Dani Levy. Da diese NDR/Degeto-Koproduktion ein Freitagsfilm im Ersten ist, stehen die Zeichen für ein Happy End also besser als 75 Minuten lang anzunehmen ist. Ehrlich gesagt, fragt man sich bei dieser Komödie aber gar nicht, wie es ausgehen wird, sondern genießt Szene um Szene, Minute um Minute. Es geht Schlag auf Schlag, da kommt eines zum anderen – und der Held gerät immer tiefer in den Schlamassel. Levy setzt auf ein dichtes Geflecht an gleichwertigen Krisen, in die der Held gerät. Das ist der Unterschied zu einer klassischen romantischen Filmkomödie, die alles in Richtung Liebes-Happy-End funktionalisiert und finalisiert. „Der Liebling des Himmels“ ist dagegen eine Charakterkomödie, bei der die Läuterung der zwanghaften Hauptfigur im Zentrum steht. So ist es denn auch zu erklären, dass die Krebserkrankung der Ehefrau, für die der penible Sorel sogar sein Refugium zum Sterbehospiz umarrangiert, gemessen an deren emotionalem Gewicht ein bisschen zu kurz kommt. Wenn also diese tempogeladene, fein akzentuierte Fernsehkomödie, die selbst innerhalb einer Szene (z.B. die erste Therapiesitzung mit Masha) immer wieder wendungsreich umschwingt und so Situationen ständig bricht und neu bewertet, ein einziges kleines Manko besitzt, dann dieses: Es prasseln fast ein bisschen zu viele Probleme auf den Helden ein, so bleibt keine Zeit, die einzelnen Themen zu vertiefen.
Szenen werden mit zwei Kameras durchgedreht
Axel Milberg verkörpert Dr. Magnus Sorel grandios, weil er Spleens und Marotten mit derselben Ernsthaftigkeit spielt wie den Therapiealltag oder Gespräche unter Kollegen, wie Gedanken oder verunglückte Gefühlsäußerungen. Und noch etwas fällt auf: dieses seltsam ungeschönte, manchmal fast improvisiert wirkende, nicht psychologisch geglättete Spiel von Milberg, Schneider und Schily. Im Pressetext findet man dann eine mögliche Erklärung für diesen Eindruck: Levys Methode, nicht zu proben, um den möglichen Zauber des „ersten Mals“ nicht zu verspielen, und Szenen mit zwei Kameras durchzudrehen. Levy: „Weil ich die Schauspieler zwischen den Aufnahmen am Set ermutige, etwas Neues, Unerwartetes auszuprobieren und sich frei zu spielen, geraten die Takes manchmal grundverschieden.“ Ein echter Autorenfilm am Freitagabend in der ARD, Chapeau! (Text-Stand: 18.8.2015)