Das WM-Finale 1990 mit dem legendären Satz „Jetzt geht’s raus und spielt’s Fußball“ bildet die zeitliche Klammer des Biopics über den wohl bekanntesten Sportler Deutschlands. Ein Mann steht auf dem Rasen, cremefarbene Bundfaltenhose, Sakko in Aubergine, Hände in den Hosentaschen, Medaille um den Hals und in sich gekehrt: Franz Beckenbauer (Klaus Steinbacher). In Rom ist er gerade Weltmeister geworden, zum zweiten Mal in seinem Leben. 1974 als Spieler, jetzt als Trainer. Er ist endgültig eine Lichtgestalt. Nur steht die jetzt im Dunkeln, abseits des Jubels. Dann geht es zurück ins Jahr 1963. „Was ist denn dein Leben?“, fragt Vater Beckenbauer (Heinz-Josef Braun) seinen Sohn Franz, der ihm gerade eröffnet hat, dass er nach der Lehre nicht als Versicherungskaufmann arbeiten will. Die Antwort: „Fußball ist mein Leben, da fühl ich mich irgendwie daheim, in dem Büro da, da geh ich kaputt.“ Und schon knallen die Türen im Hause Beckenbauer. Kurz darauf steht der Jüngling beim FC Bayern auf dem Trainingsplatz seinem Trainer Tschik Cajkovski (Sebastian Pass) gegenüber. Und der sagt ihm ins Gesicht: „Sie nix Fußballer, Sie weiches Stück Sahnetorte.“ Doch die „Sahnetorte“ lässt sich nicht unterkriegen, hat mit Bayern-Manager Robert Schwan (Stefan Murr) einen Förderer hinter sich, der auf Anregung von Papa Beckenbauer bald auch die Geschäfte des jungen Wunderkickers Franz in die Hand nimmt. Kurz darauf sitzt Dettmar Cramer (Konstantin Lindhorst), Assistent des Bundestrainers, in der Küche der Beckenbauers. Franz fährt als Teenager mit zur WM 1966. Und dort startet er durch. Schwan macht ihn zur Werbe-Ikone, er wirbt für Suppen, wird Schlagerstar („Gute Freunde“). Und er erfindet den Libero. Dann folgen Titel, die WM 1970 samt ausgekugelter Schulter, der Triumph 1974, der nach Steuerermittlungen hastige Wechsel in die US-„Operettenliga“, das Karriereende und die Rückkehr als Retter der Nation, als er Bundestrainer („Ich bin bereit“) wird und Deutschland zum Weltmeister macht und danach – siehe oben – legendäe über den Rasen schlendert.
Martin Rauhaus („Familienfest“, „Endlich Witwer“) hat das Biopic „Der Kaiser“ zeitlich begrenzt. Auf knapp drei von fast acht Jahrzehnten (Beckenbauer ist im Herbst 77 geworden) konzentriert sich der Autor, zeigt den Werdegang des jungen Kickers ab 1963 über den sportlichen Höhepunkt als Spieler mit dem WM-Titel 1974 bis zum WM-Triumph 1990 als Trainer der DFB-Auswahl. Er porträtiert den Jahrhundert-Fußballer, der auf dem Platz wie kaum ein anderer zauberte und den Umgang von Sportlern mit den Medien revolutionierte und den Menschen, der mit seinem Privatleben häufig für Schlagzeilen sorgte. Rauhaus pickt sich das Wesentliche heraus, hat alle wichtigen Ereignisse in sein Biopic eingearbeitet und es gelingt ihm darüberhinaus, in kleinen Szenen den privaten Beckenbauer zu beschreiben. Wenn der gemeinsam mit seinem Freund Sepp Maier sich über eine Literatenlesung, die seine Frau bei ihnen zu Hause initiiert hat, mokiert; wenn der als Erwachsener im Elternhaus Rat einholt, weil die Ehe mit Brigitte vor dem Ende steht; wenn der nach heftigen Angriffen seines Ex-Mitstreiters und damaligen Bild-Kolumnisten Breitner zum Hörer greift, Schwan („ Ich kenn nur zwei intelligente Menschen, Robert Schwan am Vormittag und Robert Schwan am Nachmittag“) auffordert: „Ruf den Harry an“, und er dann bei Valérien im „Aktuellen Sport-Studio“ die Kritik in kaiserlicher Manier charmant an sich abprallen lässt.
Zu Beginn fremdelt man als Zuschauer ein wenig mit Hauptdarsteller Klaus Steinbacher. Zu viele Bilder, Gesten und Blicke des echten Kaisers hat man im Kopf und vor Augen. Kann man Franz Beckenbauer glaubwürdig spielen – als junger Mann, als Kicker, als Frauenheld, als Trainer, als Lichtgestalt des deutschen Fußballs? Doch je länger Steinbacher ihn verkörpert, desto mehr entdeckt man, wie genau der Schauspieler („Das Boot“, „Oktoberfest 1900“) an der Rolle gearbeitet hat und sich das Typische an Beckenbauer eindrucksvoll angeeignet hat. Eine schwierige, herausfordernde Rolle, Steinbacher meistert sie mit Bravour. Und auch bei der Besetzung um den „Kaiser“ herum hat man ein glückliches Händchen bewiesen: Stefan Murr als „Mister 20 Prozent“ Robert Schwan, der Mann, der Beckenbauer formte, aber auch für die Steuerflucht des Kaisers verantwortlich war; Ferdinand Hofer (BR-„Tatort“) als witzelnder und treuer Vasall Sepp Maier; Bettina Mittendorfer und der so herrlich in sich ruhende Heinz-Josef Braun als Mama und Papa („Vergiss nie, wo du herkommst, Bua“) sowie Teresa Rizos (Brigitte), Christine Eixenberger (Sybille) und Sina Tkotsch (Diana) als die drei Frauen, die in Beckenbauers Beuteschema passten und mit denen er in der Zeit, die der Film beleuchtet, liiert war. Sie spielen sich aus dem Schatten der Lichtgestalt. Blass bleiben hingegen Figuren wie Paul Breitner, Uli Hoeneß oder der nur karikierte Max Merkel. Klein aber fein der Auftritt von Michael Lerchenberg als Valérien.
„Der Kaiser“ ist ein gelungenes, unterhaltsames, kurzweiliges Biopic, eine fußballerische Zeitreise durch drei Jahrzehnte, liebevoll ausgestattet und wunderbar atmosphärisch umgesetzt. Einzig fehlt es an Tiefe. Um die zu erreichen, hätte man sich wohl auf einige wenige Aspekte konzentrieren müssen, kein leichtes Unterfangen bei der Fülle an Ereignissen, die das Leben des Kaisers zu bieten hat. Die Entscheidung für den Ich-Erzähler Beckenbauer, das Heraustreten aus der Filmhandlung, wirkt ein wenig antiquiert, stört aber nicht, wird dieses Element doch behutsam eingesetzt. Gelungen sind die Verschmelzungen von Original-Aufnahmen von entscheidenden Spielen und nachgestellten Szenen. Das wirkt oft wie aus einem Guss. Tim Trageser hat es geschafft, nicht nur eine pathetische Erfolgsgeschichte zu erzählen. Eher humorvoll hat er Beckenbauers amouröse Eroberungen in den Film eingeflochten („ Was machst, wenn der Blitz einschlägt“). Und er zeigt auch die Brüche im Leben der Lichtgestalt … 1990 ist Schluss. So erspart man sich weitere Brüche. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Biopic-Fortsetzung, die sich dem Beckenbauer widmet, der Deutschland ein Sommermärchen bescherte, der aber im Nachklang des Zustandekommens der WM 2006 auch viel von seinem Glanz eingebüßt hat. Ob es die geben wird? „Schau’n mer mal, dann seng mer schon“ würde der Franz wohl sagen. (Text-Stand: 26.11.2022)