Wann hat man im letzten Jahr in einem deutschen Fernsehfilm einen solch nachhaltigen Eindruck von physischer Gewalt und psychologischer Dichte zu spüren bekommen? Wann hat man zuletzt ein so starkes Schauspielerensemble gesehen in nicht minder starken Rollen? Und wann gab es einen Film, der sich unaufhaltsam in Richtung Katastrophe fortentwickelte, ohne dabei an Spannung zu verlieren? Schadewalds „Angst“ fällt einem ein – und die beiden anderen Fernsehspiele aus der SWF-Reihe „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, Justiz-krimis voller Überraschungen, dramaturgischer Brüche und extremer Fall-Konstellationen.
Jetzt haben Norbert Ehry und Nico Hofmann das nächste Glanzstück aus dem Rechtsmilieu vorgelegt, jenseits schwarzer Roben und der für gewöhnlich immer etwas dröge wirkenden Gerichtsszenen. Sie zeigen, frei nach einer wahren Begebenheit, was passieren kann, wenn eine Staatsanwältin ein hohes Tier des organisierten Verbrechens zur Strecke bringen will, ohne Rücksicht auf Verluste. Der Zweikampf wird nicht direkt geführt. Axel Bode, ein Auftragskiller, ist Medium und damit Opfer des Kräftemessens zweier krankhaft zwanghafter Menschen. Auch seine Frau wird mit hineingerissen in ein Spiel, in dem der Zweck die Mittel heiligt und das sich zu einem für den Zuschauer ebenso lustvollen wie bedrückenden Reigen gegenseitiger Abhängigkeiten verdichtet. Erschwerend kommt hinzu, dass auch der drogenabhängige Bode mit einer problematischen Persönlichkeitsstruktur ausgestattet ist.
Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit: 1986 erschoss der „St.-Pauli-Killer“ Werner Pinzner in der Haftanstalt den Staatsanwalt, seine Ehefrau und sich selbst. Die Pistole hatte ihm seine Verteidigerin Isolde Oechsle-Misfeld besorgt.
Jörg Schüttauf, in einer Anti-Rolle zu seinem „Fahnder“, spielt ihn eindrucksvoll, als sei er der Sohn von Götz George. In tänzelnd-tobenden Auftritten gibt er seinem mordenden Narziss Konturen – ein Tier, sanft, aggressiv, stets unberechenbar; das Gefängnis ist sein Käfig. Auch Barbara Auer verkörpert in „Der große Abgang“ einen Gegentypus zu ihren bisherigen Rollen: ein schwaches Weib, einfach in ihren Gedanken, ihren kriminellen Mann abgöttisch liebend, ohne Perspektive für ihr weiteres Leben. Sie spielt die Irmgard Bode als still Leidende überzeugend, vor allem physisch: Für den Zuschauer ist das durchaus gewöhnungsbedürftig – die schöne Auer mit ungepflegter Frisur, Augenringe, verheultes Gesicht, fettige Haut.
Foto: NDR / SWR
Stark auch Kommissar und Staatsanwältin. Sie zelebrierten Gefühle auf Distanz, Zynismus als Überlebensstrategie. Beider unterschwellige erotische Annäherung und ihre beiläufigen Sticheleien boten den notwendigen Kontrast in dieser modernen griechischen Tragödie. Birgit Doll und Roland Schäfer spielten ihre Beziehung zunehmend sanft, eine Beziehung, der der Beruf sichtlich keine Chance lässt. Auch Dietmar Mues wird man nicht so schnell vergessen als Oberfiesling aus der Unterwelt, unnachahmlich seine ekligen Gesten, seine dahingebellten Lautfolgen. Es ist kein Zufall, dass alle fünf Hauptdarsteller großartig sind. Nico Hofmann beweist im Umgang mit seinen Schauspielern eine sichere Hand. Voraussetzung für deren physischen Handlung ist das dicht strukturierte Drehbuch von Norbert Ehry mit seinen feinnervigen Charakteren aus Fleisch und Blut. So lebt am Ende selbst die Inszenierung der Action-Szenen von den Protagonisten. Insbesondere die sepiabraune, hektisch inszenierte Mord-Rückblende, die aus Bodes Perspektive erzählt wird, ist nicht nur eine visuelle Delikatesse nach einer Reihe von Gesprächs- und Verhörszenen; sie charakterisiert auch Bode, seine Sucht, seine Eitelkeit, seine Unberechenbarkeit. Die Tragödie ist unausweichlich.