Es war eines der spektakulärsten und skrupellosesten Verbrechen in der Republik – die Entführung und Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler durch den Jurastudenten Magnus Gäfgen am 27. September 2002. Der Fall wurde in Teilen bereits in einigen Krimis verarbeitet, und 2006 lief auch ein Dokumentarfilm von Peter Reichard dazu. Jetzt hat das ZDF – unter größter Geheimhaltung – einen auf den realen Fakten beruhenden TV-Film mit dem sachlich-nüchternen Titel „Der Fall Jakob von Metzler“ gedreht. Geheim deshalb, weil der Film zwar, wie das ZDF betont, juristisch geprüft und abgesichert ist, man aber nicht wollte, dass die Dreharbeiten durch Einsprüche von Betroffenen behindert werden.
Die Tat ist bekannt, sie hielt das Land über Wochen in Atem und auch der Prozess gegen den Mörder und später gegen die beiden Kriminalbeamten führte zu einer breiten, emotionalen öffentlichen Debatte über Grundfragen unserer Moral und unseres Wertebewusstseins. Der Film nach dem Buch von Jochen Bitzer („Der Mann aus der Pfalz“) schildert auf Basis intensiver Recherchen den Fall von der Entführung Jakobs über die Verurteilung des Täters bis zur späteren Anklage gegen den Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang Daschner und den Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit wegen schwerer Nötigung.
Regisseur Stephan Wagner („Lösegeld“), einer der besten und vielseitigsten TV-Filmemacher hierzulande, hat diese beinahe klassisch anmutende Tragödie in Szene gesetzt. Sauber und präzise, mit Szenen von großer Strahlkraft. Man denke nur an die nächtliche Begegnung des Ermittlers mit dem Vater des Opfers. Die hat es in der Wirklichkeit so zwar nie gegeben, aber die Überlegung von Metzlers, zum Prozess gegen den Mörder seines Sohnes zu kommen, hat der Bankier dem Kommissar mitgeteilt, ohne dass beide sich dazu gesehen haben. Diese Szene ist so dicht und intensiv, voll emotionaler Wucht. Hier bildet die Authentizität nur die Grundlage, die Inszenierung dominiert. Insgesamt aber fühlt sich der Film überwiegend der Authentizität verpflichtet. So fehlt dem Drama ein wenig die emotionale Sogwirkung. Man hat sie geopfert, um bei dem stark faktenorientierten Projekt keine Fehler zu machen oder Angriffsflächen zu bieten. Der Film, so Produzent Benjamin Benedict von Teamworx, „folgt dabei einer wissenschaftlichen Methode“. Jede Szene ist abgewogen, jede Quelle wurde zweifach abgesichert, man zeigt, was rechtlich machbar ist, was man sagen darf. So sieht man auch nicht jenen Schlüssel-Moment des Verhörs, in dem Kommissar Ennigkeit dem damals vermeintlichen Täter Gäfgen unmittelbaren Zwang androht: „Was in dem Raum passiert ist, wissen nur die beiden“. Alles ist „abgesichert bis ins Allerletzte“, so Teamworx-Chef Nico Hofmann. Das ist für den dokumentarischen Bereich in Ordnung. Aber dies ist ein fiktionales Produkt. Da könnte man noch mehr dem Gesetz der Dramaturgie als ausschließlich der Faktenvorgabe folgen, um einen bestmöglichen Film zu machen.
Das ist „Der Fall Jakob von Metzler“ nicht. Es ist ein guter Film geworden, phasenweise sehr spannend, mit emotionalen Momenten, geradlinig erzählt, auf Nebenstränge hat man bewusst verzichtet – das tut diesem Justizdrama gut. Es ist kein Film in erster Linie über Täter oder Opfer, sondern es ist vor allem ein Film über zwei Menschen, Daschner und Ennigkeit, und deren Handeln in einer komplexen dramatischen Situation – unter enormem Zeitdruck. Man sieht dem Film stets an, dass er ein Anliegen verfolgt. Er will die abgeebbte Debatte über das Urteil wieder in Gang zu setzen. Wie weit darf ein Polizist gehen, um das Leben eines Kindes zu retten? Welche Handlungsmöglichkeiten besitzt er? Was legitimiert das Gesetz? Was fordert das Gewissen?
90 Minuten lang ist man dafür um Objektivität bemüht? Aber kann das gelingen? Klar, die Macher vermeiden, mit spektakulären Szenen oder viel Tempo einen TV-Reißer aus dem so tragischen Fall zu machen. Aber der Film nimmt – wenn auch gestützt auf Fakten und Protokolle – klar Position ein für Daschners moralisches Dilemma. Die Sichtweise des Gerichts, das (umstrittene) Urteil gegen ihn und Ennigkeit steht ganz am Ende, der Zuschauer soll selbst urteilen. Die Begründung – Achtung der Menschenrechte, Folterverbot insbesondere wegen deutscher Nazi-Vergangenheit – wird zwar vorgetragen, ist aber kein Gegenstand der Auseinandersetzung im Film.
Die Besetzung ist geglückt und stimmig. Mit Robert Atzorn hat man (wohlüberlegt?) einem Sympathieträger die Rolle des Daschner gegeben, der nutzt seine Strahlkraft, legt mehr als seine Routine und Rollenbeherrschung in die Figur. „Ich hätte in dieser Situation genauso gehandelt“, sagte Atzorn auf einer Pressekonferenz. Und auch die anderen Akteure sind klug ausgewählt: Uwe Bohm als Ennigkeit, Johannes Allmayer in der schwierigen Rolle des Mörders Gäfgen und Hanns Zischler als Friedrich von Metzler.
„Der Fall Jakob von Metzler“ ist eine Geschichte des Scheiterns im Ringen um die Wahrung moralischer Werte. Autor Jochen Bitzer und Regisseur Stephan Wagner haben dies gut herausgearbeitet, sie waren aber ein wenig zu stark gefangen im Korsett der Fakten und dem Diktat der Authentizität unterworfen. Der Film wird – wie auch die damalige Debatte über den Fall – trotz klarer Faktenorientierung sicher polarisieren. Und sie wird zu Diskussionen führen, wie weit man Gesetze des Rechtsstaates außer Kraft setzen darf. (Text-Stand: 30.8.2012)