Der andere Junge

Sawatzki, Berkel, Lohmeyer, Auer, Schönemann & die Hölle lieblosen Familienlebens

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Foto Rainer Tittelbach

Ein 16-Jähriger tötet einen Schulkameraden, der ihn ständig gedemütigt hat. Die Eltern wollen die Tat vertuschen. Gut eingefangen wird das gefühlskalte Klima, das in den Familien herrscht. Den Sprung aus den Wohnzimmern ins Gesellschaftliche wagt die namhaft besetzte Kino-Koproduktion allerdings nicht. Referenzfilme: „Bennys Video“ und „Unter dem Eis“.

Der 16-jährige Robert hat es nicht leicht. Seine Eltern verstehen ihn nicht und in der Schule wird er gemobbt. Am schlimmsten abgezogen wird er ausgerechnet von Paul, dem Sohn des Geschäftskollegen und Freundes seines Vaters. Nach außen lässt sich Robert wenig anmerken. Seine Verschlossenheit, seinen traurigen, teilnahmslosen Blick werten die Eltern als Zeichen der Pubertät. Als er eines Tages Andeutungen macht, fordert sein Vater ihn auf, sich das nächste Mal zu wehren, „schlag zu“, rät er ihm. Ein unheilvoller Rat. Beim nächsten Treffen der Jungs hält ihm Paul eine Waffe an den Kopf, er bedroht ihn, er beleidigt ihn. Dann gibt er dem verstörten Robert die Waffe in die Hand. „Na, wie fühlt sich das an?“ Robert antwortet mit zwei Schüssen.

„Der andere Junge“ ist ein Drama aus der Hölle eines lieblosen Familienlebens. „Pack aus“, befiehlt ihm die Mutter am Geburtstag, „lass los!“, schimpft sie, als er sie in seiner Verzweiflung umarmen möchte. Gelobt wird Robert nur nach der Falschaussage bei der Polizei. Die Eltern wollen die Tat vertuschen, der Vater lenkt sogar bewusst den Verdacht auf einen anderen. Kein Wunder, dass dieser Junge verunsichert ist und bald nicht mehr weiß, was falsch und richtig ist. Volker Einrauchs kleine Kino-Koproduktion nach Lothar Kurzawas Buch, die nur auf einigen Festivals lief und keinen Verleih bekam, steht wie „Bennys Video“ oder „Unter dem Eis“ in der Reihe von Filmen, die den Alltag scheinbar wohlbehüteter und doch vernachlässigter Einzelkinder aus der gutsituierten Mittelschicht zeigen.

Der andere JungeFoto: NDR
Schaulaufen bekannter Gesichter in dieser kleinen Kino-Produktion: Andrea Sawatzki, Peter Lohmeyer, Barbara Auer und Christian Berkel

Das Thema und die grandios gute Besetzung können nicht immer darüber hinwegtäuschen, dass „Der andere Junge“ – gerade im Vergleich mit seinen Referenzfilmen – einige Schwächen bei Buch wie Regie aufweist. Die unfassbare Tat, das Unbegreifliche daran, lässt sich schwer mit Worten erklären, Reaktionen darauf lassen sich noch schwerer in einem realistischen Kontext darstellen. „Unter dem Eis“ beispielsweise arbeitet deshalb stark elliptisch, der NDR-Film indes zeigt die Tat und die Entdeckung durch die Eltern. „Was ist hier los?“ Die Hilflosigkeit der Eltern ist da ein wenig auch die Hilflosigkeit der Macher. Unentschieden schwanken Kurzawa und Einrauch zwischen den Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Das muss nicht falsch sein. Doch wenn die sich in den Schicksalen mehrfach spiegelnde Tragödie ausläuft in eine Räuberpistole, ist das eine Spur zu viel Kintopp.

„Der andere Junge“ bleibt äußerlich. Weder berührt einen dieses Drama, noch konfrontiert es einen mit irgendeinem raffinierten Gedanken, einer besonderen Haltung zum Thema. Gut eingefangen wird das Klima, das in diesen Familien herrscht oder auch die Freundschaft (der Väter), die immer auch Konkurrenz bedeuten kann. Den Sprung aus den Wohnzimmern ins Gesellschaftliche wagt der Film allerdings nicht. (Text-Stand: 12.5.2010)

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Kinofilm

NDR

Mit Willi Gerk, Andrea Sawatzki, Barbara Auer, Peter Lohmeyer, Christian Berkel, Hinnerk Schönemann, Adrian Topol, Tim Oliver Schultz

Kamera: Bernd Meiners

Schnitt: Inken Gudewer

Produktionsfirma: Josefine Filmproduktion

Drehbuch: Lothar Kurzawa

Regie: Volker Einrauch

Quote: 3,28 Mio. Zuscher (11,2% MA)

EA: 12.05.2010 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach