In allen großen Romanzen – egal ob komödiantischer oder melodramatischer Natur – trennt die Liebenden in der Regel ein fast unüberwindliches Hindernis: Mal ist der Mann kürzlich gestorben („Ghost – Nachricht von Sam“), mal ist die Frau Prostituierte („Pretty Woman“), Filmstar („Notting Hill“) oder verliert jeden Tag aufs Neue ihr Gedächtnis („50 erste Dates“). In „Dating Alarm“ ist das Hindernis ein paar Nummern kleiner: Edgar (Tom Beck) und Hannah (Friederike Kempter) leiden unter Bindungsangst, weshalb beide gleich mehrere Beziehungen haben; und das ist tatsächlich weniger paradox, als es zunächst klingt. Bei Edgar entpuppt sich das Geflecht sogar als logistisches Meisterstück: Seine drei Freundinnen sind Vielfliegerinnen, daher lassen sich die Dates gut miteinander koordinieren; und weil gleich zu Beginn erwähnt wird, dass die Fluglotsen streiken, schürt die Konstellation schon früh die Vorfreude auf den Moment, wenn alle Frauen gleichzeitig bei Edgar auftauchen.
Foto: Sat 1 / Conny Klein
Aber zunächst erzählt das Drehbuch, das die beiden Produzenten Ilja Haller und Philip Voges gemeinsam mit Dörte Hanke in Anlehnung an den Komödienklassiker „Boeing, Boeing“ (1965, mit Tony Curtis als Schürzenjäger) geschrieben haben, die Geschichte von Edgar und Hannah. Jeder der beiden war zu Schulzeiten die große Liebe des anderen, doch dann hat Edgar Hannahs Herz gebrochen. Zwei Jahrzehnte später treffen sie sich zufällig im Café von Marie (Nadine Wrietz); hier pflegen beide regelmäßig ihren Champagner zu kaufen, wenn wieder mal ein Date ins Haus steht. Es stellt sich raus, dass sie Nachbarn sind, und prompt erwachen die alten Gefühle. Sie verbringen die Nacht miteinander und wären einer Wiederaufnahme der bilateralen Beziehungen auch nicht abgeneigt, aber am nächsten Tag geben sich sämtliche Zeitvertreibspartner die Klinke in die Hand: Hannah bekommt innerhalb weniger Minuten gleich zwei Heiratsanträge, und Edgar hat alle Hände voll zu tun, um zu verhindern, dass seine verschiedenen Freundinnen einander über den Weg laufen.
In der Anlage ist „Dating Alarm“ bestes Boulevardtheater, zumal sich der weitaus größte Teil der Handlung in Edgars (auffallend unpersönlicher) Wohnung zuträgt. Holger Haases Inszenierung funktioniert daher auch nach dem bewährten „Tür-auf-Tür-zu“-Prinzip: Kaum ist die eine Frau im Badezimmer verschwunden, kommt die andere aus dem Wohnzimmer. Umso bedauerlicher, dass Haase, der für Sat 1 schon einige hübsche Komödien gedreht hat („Bollywood lässt Alpen glühen“, „Mein Lover, sein Vater und ich!“) und diesmal auch den Schnitt übernommen hat, den entsprechenden Auf- und Abtritten nicht das nötige Tempo gibt. Auch andere Szenen sind in der Umsetzung nicht so witzig, wie sie sich vermutlich im Buch lasen: wenn sich Edgar und Hannah samt Begleitung im selben Restaurant einfinden und beide vergeblich versuchen, sich unterm Tisch oder hinter der Speisekarte zu verstecken; oder wenn Edgars Bruder Friedrich (Axel Stein) so tun muss, als laufe er gern in High Heels herum, weil Edgar seiner Freundin Rosa (Thelma Buabeng) irgendwie erklären muss, wie die Schuhe von Annabelle (Christiane Seidel) in sein Schlafzimmer kommen.
Das fehlende Tempo könnte auch eine Frage des Budgets gewesen sein. Die Komödie spielt überwiegend in den Wohnungen von Edgar und Hannah; die wenigen Straßenszenen sehen aus, als seien sie jeweils an einem Tag entstanden, was den Film insgesamt etwas sparsam wirken lässt. Einzige Auffälligkeiten in der Bildgestaltung sind eine schwungvolle Kamerafahrt zu Beginn und der geteilte Bildschirm bei Telefonaten. Zum Ausgleich wird ununterbrochen geredet. „Dating Alarm“ ist ein typischer Dialogfilm, und einige Wortgefechte sind recht witzig, selbst wenn die Notlügen immer abenteuerlicher werden; aber gerade Edgar, ohnehin eine eher oberflächliche Figur, ergeht sich überwiegend in unoriginellen Chauvi-Sprüchen.
Foto: Sat 1 / Conny Klein
Größeres Problem des Films ist jedoch die Besetzung der beiden Hauptdarsteller: Beck und Kempter vermitteln nicht, wie es zwischen Edgar und Hannah funkt und knistert. Gerade diese Chemie wäre aber die Voraussetzung für eine Anteilnahme an den Figuren. Romanzen leben schließlich von der Hoffnung, dass die Liebenden allen Widrigkeiten zum Trotz zueinander finden, doch Beck und Kempter spielen die Gefühle bloß, sie verkörpern sie nicht. Deshalb können sie auch nicht kaschieren, dass die Geschichte – wie jede Boulevardkomödie – durch und durch konstruiert ist. Dazu zählt unter anderem die stillschweigende Vereinbarung zwischen Drehbuch und Publikum: Edgar und Hannah könnten die anderen Beziehungen ja auch umgehend beenden, aber dann wäre „Dating Alarm“ natürlich nach dem Prolog schon zu Ende. Deshalb musste sich das Autorentrio die Bindungsängste ausdenken, die auf einen Vorfall vor 20 Jahren zurückgehen, als Edgar Hannah die Größe seiner Liebe beweisen wollte, dann jedoch ein Erlebnis hatte, das sein Leben von Grund auf ändern sollte.
Ein weiteres Detail für die Konstruiertheit des Drehbuchs ist die Sache mit den Brillen. Edgar und Hannah stellen bei ihrer ersten Begegnung fest, dass sie exakt die gleichen Gestelle haben. Sie sind einander so ähnlich, dass sie sie am Morgen vertauschen, ohne den Unterschied zu merken. Das ist völlig absurd, weil Hannah in ihrer Jugend Brillengläser „wie Glasbausteine“ hatte, also offenkundig viel schlechtere Augen hat als er. Später tragen beide überhaupt keine Sehhilfe mehr; die Brillen waren bloß Mittel zum Zweck. Gleiches gilt für den Streik, den die Autoren anscheinend irgendwann vergessen haben, sonst hätten sie Hannah am Ende nicht zum Flughafen geschickt, damit sie mit einem ihrer Männer davonfliegen kann. Wie in vielen Filmen dieser Art sind die Nebenfiguren im Grunde interessanter als das Hauptpaar, zumal sie ohne Widersprüche auskommen. Davon profitiert vor allem Axel Stein, dessen Metamorphose vom Klamaukdarsteller zum ernstzunehmenden Schauspieler immer noch verblüffend ist: Edgars etwas spießiger Bruder, trotz frischer Scheidung nach wie vor hoffnungsloser Romantiker, fungiert als Gegenentwurf zum attraktiven Frauenhelden, dessen ausgeklügelte Logistik er nicht bewundernswert, sondern fragwürdig findet. Als Belohnung für seine Integrität darf er sich in Rosa verlieben, nachdem er den offensiven Avancen von Annabelle widerstanden hat. Diese Szenen sind Haase, der zuletzt für Sat 1 das herausragende Ehedrama „Die Ungehorsame“ gedreht hat, interessanterweise deutlich glaubwürdiger gelungen als jene, in denen das Ensemble ein Feuerwerk abbrennen sollte; erst recht, als sich schließlich in Edgars Wohnung nicht nur seine Frauen, sondern auch Hannahs Männer einfinden.