Lars, ein kleiner Sushi-Lieferant, hat sich übernommen und steht bei der Russenmafia schwer in der Kreide. Jetzt könnte er das große Los gezogen haben. Seine im Sterben liegende Mutter hat ihm etwas zugeflüstert, den Schlüssel zu einem Staatsgeheimnis, ein einziges Wort. Doch der kann damit im Moment des Todes der Mutter nicht viel anfangen. Viel Zeit, um sich Gedanken zu machen, bleibt ihm auch später nicht. Denn Lars hat an allen Fronten zu kämpfen: russische Mafiosi, deutsche Geheimdienstler, Stasi-Bonzen und brutale Schläger jagen ihn. Seine Mutter hat offenbar ein Doppelleben geführt. Sie verwaltete ein von der Stasi während der Wende ergaunertes Millionenvermögen, das im Zuge von Währungsunion und Wiedervereinigung verschoben worden ist – und sie hatte als Einzige Zugang zum Safe einer Züricher Großbank. Zu Lars’ Leidwesen haben offenbar auch andere davon Wind bekommen. Kann er denn wenigstens der jungen, attraktiven Nachbarin seiner Mutter vertrauen?
Foto: Pro Sieben / Jeanne Degraa
Alle Straftaten, die in den Wirren der deutschen Wiedervereinigung begangen wurden, sind bereits im Oktober 2000 verjährt gewesen. Über 20 Milliarden Mark sollen in jenen Jahre von Ost-West-Seilschaften verschoben oder bei der Privatisierung von DDR-Betrieben veruntreut worden sein. Das Gesetz, das dies alles ermöglichte, wurde damals wenig in der Öffentlichkeit diskutiert. Ausgerechnet ein Hochspannungsthriller des damaligen Kirch-Senders Pro Sieben, „Das Staatsgeheimnis“ von Kino-und-TV-Provokateur Matthias Glasner („Der freie Wille“), hat es 2001 besonders scharf auf den Punkt gebracht und sogar die Mitverantwortlichen beim Namen genannt. „Was sollte denn die CDU für ein Interesse daran haben, so ein Gesetz zu erlassen?“, fragt der blauäugige Held, den Benno Fürmann wunderbar irritiert mit größtmöglicher physischer Anspannung als einen Mister Unbedarft verkörpert.
Foto: Pro Sieben / Jeanne Degraa
Benno Fürmann über das typische Hitchcock-Szenario:
„Plötzlich kann er keinem mehr trauen. Keinem Nachbarn, keiner Wand, keinem Taxi. Er wird von A nach B nach C getrieben, weil die Menschen um ihn herum sterben wie die Fliegen und er das Prinzip des Spiels nicht versteht.“
Dieser Politthriller gehört nicht nur wegen seines Themas zu den TV-Movie-Höhepunkten des kommerziellen Fernsehens. „Das Staatsgeheimnis“ ist ein exzellenter Thriller, dessen Macher gut bei alten Hitchcock-Krimis aufgepasst haben: die berühmte blonde Begleitung des in ein politisches Intrigenspiel Marke „Der unsichtbare Dritte“ verwickelten Helden gibt Nele Mueller-Stöfen. Die Handlung ist höchst ökonomisch erzählt, die kluge Spannungsdramaturgie erfüllt Genrekonventionen, bricht diese aber auch immer wieder auf. Erzeugt wird so eine Atmosphäre permanenter Verunsicherung. Tempo & Stimmungen sind dem Stilisten Glasner und dem exzellenten Bildgestalter Benjamin Dernbecher wichtiger als konkrete Erklärungen. Und so kreist die Kamera geradezu hysterisch immer wieder um die ihrerseits umtriebigen Protagonisten. Das hat aber vielleicht nicht nur ästhetische Gründe: „Unser Film soll und will anecken, aber wir müssen mit unseren Thesen natürlich aufpassen“, sagte Benno Fürmann 2001 der Programmzeitschrift TV-Spielfilm. „Bewiesen ist nichts, wir ahnen alles nur.“