„Das letzte Wort“ ist ein typischer Film aus der Werkstatt des Hessischen Rundfunks. Der HR ist der einzige Sender, der seine TV-Filme noch selbst produziert, kaum Zugeständnisse an Quote und Massengeschmack macht, lieber aneckt, provoziert und es dem Zuschauer nicht leicht machen will. Klar, das gilt auch für andere Sender, aber nicht so konsequent. „Das letzte Wort“ ist ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel, ein raffiniertes Katz- und Mausspiel, ein Thriller der Worte, ein spannender Diskurs über Schuld, Sühne, Verantwortung und Vergebung, der den Betrachter 90 Minuten fordert und sicherlich in Kirchenkreisen und damit auch in dem einen oder anderen Rundfunkrat für Aufregung oder Empörung sorgen dürfte.
Foto: HR
Am Beginn steht ein Verbrechen, das man aber nicht sieht. Ein Pfarrer ist ermordet worden. Am Morgen nach der Mordnacht schleicht ein Unbekannter um das Haus des Opfers, in welchem dessen erschütterter Bruder die Polizei für weitere Spurensicherungen erwartet. Der Bruder und nebenbei Bischof (Thomas Thieme) fürchtet, selbst das Ziel des Mörders gewesen zu sein. Verschiedene Vorkommnisse der vergangenen Tage deuten darauf hin, etwa ein anonymer Anrufer, der den Bischof mehrfach vergeblich zu sprechen versuchte. Auch ein Zusammenhang mit einer in einem nahen Krankenhaus verstorbenen, völlig verwahrlosten Frau scheint zu bestehen. Als die Polizei gegangen ist, taucht der Unbekannte (Shenja Lacher) an der Tür auf, gibt sich als Beamter aus, der noch ein paar Fragen habe und bleibt mit dem Bischof allein. Im Verlauf eines langen Gesprächs führt er den Bischof auf der Suche nach dem Mordmotiv zurück in dessen Vergangenheit. Als der Bischof erkennt, dass der ihn verhörende Mann der Unbekannte ist, wird er von diesem gekidnappt und gefesselt. Er gibt sich aber weiterhin nicht zu erkennen und dringt tiefer in des Bischofs Vergangenheit ein. Dabei spielt er mit dessen Erwartung, dass er der Mörder sei und auch ihn töten werde…
Es ist (fast) ein Zwei-Personenstück – der Bischof und sein Kidnapper liefern sich ein Psycho-Duell in geschlossenen Räumen. Es gibt nur wenige Außenschauplätze, die aber – wie beispielsweise bei den Vorbereitungen eines Einsatzkommandos zur Stürmung des Ortes der Geiselnahme – keine laute Gegenwelt bilden, nein, sie sind behutsam angepasst an den ruhigen Fluss dieses intensiven Kammerspiels. Autor Paul Hengge („Hanussen”) hat die exquisite Vorlage geschrieben, seine Geschichte steckt voller raffinierter Wendungen. Regisseur Didi Danquart hat sich mit dem Buch zwei Wochen in die Schweizer Berge zurückgezogen, manche Szene rausgenommen, „mit den Dialogen gelebt” und an ihnen gefeilt. Punktgenau und präzise sind sie geworden, hier wird durch Worte Spannung erzeugt. Und die Kamera von Johann Feindt nutzt die Enge, ist nah dran an den Figuren, liefert intensive Bilder.
Foto: HR
„Das letzte Wort“ ist auch ein Film großer Schauspielkunst: zwei Mimen, der eine, Thomas Thieme, erfahren, versiert, in sich ruhend – der andere, Shenja Lacher, theatererprobt und vielleicht am Beginn einer TV- und Filmkarriere. Er ist am Residenztheater in München zu Hause und machte erstmals 2011 auf dem Bildschirm in dem Grimme-Preis-gekrönten „Tatort: Nie wieder frei sein“ in der Rolle eines Peinigers auf sich aufmerksam. Danquart: „Ich brauchte gute Schauspieler, die auch das Theaterspielen beherrschen, sonst wäre das nicht hinzubekommen gewesen.” Die Vorbereitung war intensiv: „Es war wichtig, die beiden nicht loszulassen in dieser Zeit. Sie mussten ihre Rolle leben, ich habe sie quasi weggesperrt.” Die Rechnung ist aufgegangen: Die beiden tragen den Film, ihr Spiel mit Worten, mit Gesten, mit Blicken ist eindrucksvoll. Ihre Präsenz, ihr Zusammenspiel in den gegensätzlichen Rollen, die Kunst, wie sie den Zuschauer in den Dialog hineinziehen – das trägt dieses Kammerspiel.
Tiefgreifend ist diese filmische Auseinandersetzung mit den Themen Schuld und Sühne, Verantwortung und Vergebung. Die Haltung der katholischen Kirche zum Schutz des ungeborenen Lebens steht auf dem Prüfstand – dies geschieht nicht belehrend, sondern geschickt und schonungslos werden die Konsequenzen jener starren Haltung aufgezeigt. „Das Thema ist unmodern, aber gerade das mag ich, ich will das Unmoderne“, sagte HR-Fernsehspielchefin Liane Jessen bei der Uraufführung beim Filmfest in Emden. Doch das Thema ist nicht unmodern, es ist (leider) immer noch aktuell. Es geht um höchst existentielle Fragen – nicht in Schwarzweiß-Manier serviert, Regisseur Danquart macht dies sehr überlegt, die Sympathie zwischen Bischof und Geiselnehmer wechseln stets hin und her.
Foto: HR
„Das letzte Wort“ ist ein Film, der den Zuschauer fordert. Die langen Dialoge sind – gemessen an heutigen Sehgewohnheiten – anstrengend, das aber in positivem Sinn. Ein Film, der sich von der ersten bis zur letzten Minute samt überraschender Auflösung lohnt. Ein Film, der tief geht, an Prinzipien einer Institution rührt, Doppelmoral anklagt, zeigt wie einseitig eingeforderte Verantwortung zur Verzweiflung führen kann. Am Ende steht: „Vergib mir!“