Das Glück ist eine ernste Sache

Löbau, Striesow, Kurzawa, Huntgeburt. Bi-polare Persönlichkeiten lassen schmunzeln

Foto: NDR / Romano Ruhnau
Foto Rainer Tittelbach

Olivia sucht immer die Schuld bei sich. Ihr Mann und ihre Mutter sind da ganz anders – und Muttis neuer Liebling ist nochmal anders: der ist hochgradig manisch-depressiv. Ein Käfig voller Gestörter bevölkert „Das Glück ist eine ernste Sache“ von Hermine Huntgeburth und Lothar Kurzawa. Diese lustvoll verspielte Charakter-Komödie, die sich völlig der Schadenfreude entsagt, changiert zwischen Tragikomödie und Groteske; wohin die Reise geht, ist nie eindeutig auszumachen. Die Viererkonstellation, zu der sich bald noch ein schüchterner Neurosen-Kavalier gesellt, wird in alle erdenklichen Richtungen ausgereizt.

Olivia ist ein aussichtsloser Fall. Immer sucht sie die Schuld bei sich. Grund: die egozentrische Mutter. Diagnose: neurotische Partnerwahl. Ihr Therapeut kann nicht verstehen, dass sie ihren Chauvi-Gatten Klaus noch nicht in die Wüste geschickt hat. Dann kriegt Olivia doch den Absprung. Ausgerechnet ihre verhasste Mutter Kora weist ihr den Weg aus der unglücklichen Ehe. Zwei Jahre lag sie im Wachkoma – jetzt ist sie wieder putzmunter und sexhungrig wie in jungen Jahren. Die Tochter zieht bei ihr ein, sie soll sich um die geschwächte Mutter kümmern, sie umsorgen und aufpäppeln. Und dann ist da noch dieser Rudi Müller, Muttis neueste Errungenschaft, frisch mitgebracht aus der Reha-Klinik. Was Olivia noch nicht weiß: der Alt-68er ist nicht nur locker drauf, verjubelt Koras Erbe mit charmantem Gewinner-Lächeln, was ihn wie einen Betrüger aussehen lässt, sondern er ist vor allem manisch-depressiv. Der Tod seiner geliebten Bulldogge Diego versetzt ihn in tiefste Niedergeschlagenheit. Vielleicht würde ihn ja eine Heirat aus der Krise reißen? – Und dann steht der Ehemann wieder auf der Matte, klammert, schimpft und macht Olivia wieder klein…

Das Glück ist eine ernste SacheFoto: NDR / Romano Ruhnau
Bei Hermine Huntgeburth besonders spielfreudig: Friedrich von Thun und Christine Schorn in „Das Glück ist eine ernste Sache“

Diese Frau mit dem ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex, die sich in Situationen der Kränkung gern in ihrem Kleiderschrank verkriecht (worauf dem Ehemann nur einfällt: „Wisch dein Gesicht nicht wieder an meinen Hemden ab“), scheint mit dieser herrschsüchtigen alten Dame vom Regen in die Traufe zu kommen. „Das Glück ist eine ernste Sache“ changiert zwischen Tragikomödie und Groteske, wohin die Reise geht, ist nie eindeutig auszumachen, die Viererkonstellation, zu der sich bald noch ein schüchterner Neurosen-Kavalier gesellt, der sich in Olivia verguckt hat, wird in alle erdenklichen Richtungen ausgereizt. Alle werden aufeinander losgelassen. Weder der Alltag noch das Genre geben die Richtung vor. Es ist allein die Kraft der Charaktere, angetrieben von der Spielfreude des Autors Lothar Kurzawa. Die Handlung wirkt bisweilen wie ein Vorwand für das launische Treiben der Figuren. Einiges verläuft im Sande, so die Sache mit Rudis Geschäften, den Open-Air-Konzerten. Das ist logisch, denn so ist das nun mal, wenn bipolare Persönlichkeiten ihre Hochphase haben. Und immer wieder werden Koalitionen geknüpft, um bald darauf wieder gelöst zu werden.

Flirteten Olivias Ehemann und ihre Mutter gerade noch vor aller Augen, droht Klaus wenig später: „Ich bin eine tickende Zeitbombe“ – worauf Kora den Wüterich hochkant aus dem Haus schmeißt. Hegt man als Zuschauer wie die Heldin den Verdacht, dass dieser mit den 1000-Euro-Bündeln wedelnde Rudi Müller zumindest ein Filou, wenn nicht gar ein Heiratsschwindler ist, dreht sich die Geschichte bald in eine ganz andere Richtung. Auf einmal entdeckt Olivia das große Herz des kranken Mannes, der seinerseits sehr gut erkennt, welches widerwärtige Spiel seine Kora und dieser Controler Klaus mit der noch immer verunsicherten Olivia zu spielen in der Lage sind. Zweitens kommt es anders und drittens, als man denkt – ob diese außergewöhnliche Dramaturgie, die schon ein bisschen mehr Flexibilität vom Zuschauer verlangt als eine freitägliche Degeto-Komödie, der Grund war, weshalb dieses wunderbar schräge Stück von Hermine Huntgeburth vier Jahre beim NDR auf Eis lag? Keine Ahnung.

Das Glück ist eine ernste SacheFoto: NDR / Romano Ruhnau
„Du siehst ja gar nicht entspannt aus…“, nervt die Mutter ständig. Wenn Olivia (Eva Löbau) allein ist, geht es ihr sichtlich besser.

„Das Glück ist eine ernste Sache“ – seelisch krank oder mit Knacks ganz besonders. Und dieses Quartett auf Glückssuche entpuppt sich als ein Käfig voller Gestörter. Der Film ist kein Drama, er problematisiert die Störungen nicht im Detail, macht sich aber auch nicht lustig über die Schwächen der Heldin. Den Ekelpaketen, die sich auf Kosten der psychisch Gebeutelten profilieren wollen, bekommen nicht den Applaus des Zuschauers. Den bekommen dafür die Schauspieler: Devid Striesow und Christine Schorn dürfen in ihren Rollen so richtig schön egoistisch, kalt und widerwärtig sein. Noch in jedem Lob steckt eine Gemeinheit – und die Mutter spricht endlich aus, was die Tochter immer schon gespürt hat: sie war unnütz, im Weg, ein ungewolltes Kind. Dem Zuschauer bleibt da nichts anderes übrig, als „dem Opfer“ mit in den Schrank zu folgen. Eva Löbau, herrlich bereits in „Lerchenberg“, legt ein Minenspiel und eine Körpersprache an den Tag, die sie geradezu zur Ikone eines mangelnden Selbstwertgefühls macht. Friedrich von Thun sah man selten so „gespalten“ – grandios dieser Wechsel in seinem Spiel von überdrehter Virilität über tiefe Depression bis hin zu einer würdevollen Apathie. Jedes Krankheitsbild voller Wahrhaftigkeit. Kurzawa und Huntgeburth therapieren ihre Figuren nicht. Das müssen sie schon selber tun. So wie sie sich auch selbst durch ihr Verhalten desavouieren. „Ich habe Vieles falsch gemacht – aber ich verändere mich nicht mehr“, so sieht es die Rabenmutter. Die Tochter könnte den Sprung hinkriegen – raus aus der neurotischen Partnerwahl. Aber das ist ein anderer Film.

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Fernsehfilm

NDR

Mit Eva Löbau, Christine Schorn, Devid Striesow, Friedrich von Thun, Stephan Grossmann, Thomas Kügel, Bruno Grass, Eva Habermann

Kamera: Sebastian Edschmid

Szenenbild: Sabine Pawlik

Produktionsfirma: Josefine Filmproduktion

Drehbuch: Lothar Kurzawa

Regie: Hermine Huntgeburth

Quote: 3,07 Mio. Zuschauer (11% MA)

EA: 14.08.2013 20:15 Uhr | ARD

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