Viele Menschen geben in digitalen Netzwerken wie Instagram oder Facebook zwar ungeschützt alle möglichen privaten und sogar intimen Details preis, aber auf Überwachung reagieren sie allergisch: weil sie nicht wissen, wer da alles zuschaut und was mit dem Datenmaterial geschieht. In Concordia (Eintracht) ist das anders: Die schwedische Stadt wird lückenlos durch Kameras erfasst, es gibt keinerlei tote Winkel; nicht mal in Bade- und Schlafzimmern. Die Bevölkerung ist jedoch einverstanden, und nicht nur das: Die meisten sind sogar gerade deshalb hierher gezogen. Was wie eine perfekte Umsetzung jener Welt wirkt, wie sie George Orwell in seinem Roman „1984“ beschrieben hat, ist im Gegenteil die Garantie für ein sorgloses Leben: Die Observierung wird von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert. Menschen bekommen das Material nur dann zu sehen, wenn die KI einen Verdacht meldet, aber seit der Gründung Concordias vor zwanzig Jahren hat es kein einziges Verbrechen gegeben. Diese makellose Statistik ist streng genommen immer noch gültig, doch mit der Beschaulichkeit ist es schlagartig vorbei, als außerhalb der Stadtgrenze eine Leiche entdeckt wird. Oliver Miller gehörte zu jener Gruppe, die den gemeldeten Verdachtsmomenten nachgehen sollte. Offenkundig hat er sein Wissen missbraucht, um sich an Frauen ranzumachen, aber deshalb ist er nicht erschossen worden: Der junge Analyst ist zufällig über ein Gründungsgeheimnis gestolpert, das keinesfalls publik werden darf.
Foto: ZDF / Intaglio Films
Wie schon zuletzt die Verfilmung von Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“ ist auch „Concordia – Tödliche Utopie“ (Buch: Nicholas Racz, Mike Walden, Isla van Tricht) eine vom ZDF initiierte europäische Koproduktion mit entsprechender Besetzung. In vielen Serien dieser Art schmälert das mitunter den Hörgenuss, weil die deutsche Übersetzung oft nach typischer TV-Synchronisation klingt. Das ist diesmal gänzlich anders, auch die deutschen Mitwirkenden machen ihre Sache in dieser Hinsicht sehr gut. Christiane Paul spielt die zentrale Figur der Geschichte: Juliane Ericksen hat dank der Unterstützung durch eine vermögende Investorin (Ahd Kamel) mit Concordia die Vision ihres verstorbenen Mannes umgesetzt. Sehr präsent ist auch Steven Sowah. Der gebürtige Hamburger gehörte zum Kern-Ensemble der ZDF-Serie „Die Spezialisten“ (2016 bis 2019), hier verkörpert er Noah, den Sohn der Stadtgründerin, der das Vermächtnis seines Stiefvaters als Mitglied des Concordia-Vorstands hütet. Karoline Eichhorn spielt eine Ministerpräsidentin, die mit Julianes Hilfe in Sachsen ein Projekt nach dem Concordia-Vorbild ins Leben rufen will. Diese Pläne will eine linksradikale Gruppierung rund um einen sinistren Anführer (Jonas Nay) um jeden Preis verhindern. Weil es in Concordia keine Polizei gibt, beauftragt die Investorin eine Londoner Krisenmanagerin (Ruth Bradley) mit den Mordermittlungen; unterstützt wird sie von Noahs Freundin Isabelle (Nanna Blondell).
Neben der ungewöhnlichen Geschichte mit ihren cleveren Cliffhangern sowie dem ausnahmslos vorzüglichen Ensemble beeindruckt die sechsteilige Serie vor allem durch die Bildgestaltung (Kamera: Dominik Berg). Regie führte die Österreicherin Barbara Eder, die bereits maßgeblich an „Der Schwarm“ (2023) sowie an der Netflix-Serie „Barbaren“ (2020) beteiligt war; zuvor hatte sie für den ORF zwei herausragend gute Wiener „Tatort“-Krimis gedreht. Dank der immer wieder eingespielten Überwachungsaufnahmen gibt es eine Menge optisches Material; trotz entsprechend vieler visueller Eindrücke kommt es jedoch nicht zur Reizüberflutung. Eine besondere Rolle nimmt ein Online-Ballerspiel ein, dem Oliver seine Freizeit gewidmet hat. Der Schlüssel zur Lösung, den Isabelle hier entdeckt, konfrontiert sie mit einem Kindheitstrauma, das ihr regelmäßig Albträume beschert.
Foto: ZDF / Intaglio Films
Interessant ist auch das ästhetische Konzept. Filme über soziale Utopien haben meist eine betont kühle Anmutung, um auf diese Weise zu vermitteln, dass es sich in Wirklichkeit um eine Dystopie handelt. Die Bilder aus Concordia sind jedoch sonnendurchflutet und verbreiten Wohlbehagen; leicht blaustichig und somit deutlich kühler wird es nur, wenn es um Technik geht. Die Welt der Gruppe rund um den Überwachungsfeind Leon ist dagegen ebenso düster wie er selbst. Besondere akustische Reizpunkte setzt die elektronische Musik des einstigen Nina-Hagen-Keyboarders Reinhold Heil, der unter anderem regelmäßig mit Tom Tykwer zusammenarbeitet. Einziges, aber unüberhörbares Manko der Serie sind die jeder Folge vorangestellten Prologe, in denen die Menschen aus Concordia das Leben in der Stadt loben: Sie klingen wie miserabel synchronisierte Fernsehwerbung. Eher unnötig sind auch die allzu ausführlichen Ausflüge ins Privatleben der Engländerin, selbst wenn sie in direktem Zusammenhang zur Handlung stehen. (Text-Stand: 29.8.2024)