Amelie (Margarita Broich) kann es nicht fassen. Im Freudentaumel ihres Hochzeitstages und einer geplanten Feier, zu der sich sogar Tochter Lou (Maria Ehrich) aus Berlin angekündigt hat, findet sie ihren Robert unterm Apfelbaum, alle Viere von sich gestreckt – Herzinfarkt. Aus dem Fest wird eine Trauerfeier. Doch dann steht plötzlich ein stattlicher Mann in der Tür, Benedikt Hofmann (Thomas Heinze), der neue Gemeindepfarrer, geschieden, freundlich, liebenswert. Er hilft ihr in den nächsten Tagen, wo er nur kann, doch auch nach der Trauerfeier scheint sein Interesse an der Witwe weiterhin groß zu sein. Das neckische Geturtel der beiden beäugt Benedikts weibliche Fan-Gemeinde mit Argwohn, weckt sein Charme doch allerlei Begehrlichkeiten: Christel (Floriane Daniel) genügt schon ein Kompliment. Irmela (Julia Richter) aber träumt von mehr; sie hat genug von ihrem Georg (Stephan Grossmann), der nach einem Unfall zum monströsen Kontrollfreak mutiert ist. Und Carola (Julia Hartmann) ist noch ein bisschen dreister. Der stets abwesende Ehemann macht eine Familienplanung unmöglich; sie droht ihm mit Samenbank, doch dann hat sie eine kostengünstigere Idee. Mit dem umgekehrten Problem muss sich hingegen Lou auseinandersetzen. Sie ist schwanger, steckt im Studium und ihr Freund Andy (Frederik Götz) möchte jetzt noch nicht Vater werden. Mit ihrer momentan überforderten Mutter kann sie das Problem nicht besprechen. Wie diese den Pfarrer anhimmelt, das geht Lou ohnehin ziemlich gegen den Strich. Am besten noch versteht sie sich mit Gilbert (Vladimir Burlakov), einem Lebenskünstler, den sie zufällig auf der Fahrt zu ihren Eltern kennengelernt hat. Ein Mann mit sonnigem Gemüt; und der würde auf keinen Fall das Baby abtreiben.
Sie ist noch gar nicht richtig durch das Tal der Tränen gegangen, da erscheint der vom Schicksal übermannten Witwe in „Ehebrecher und andere Unschuldslämmer“ schon wieder ein Licht am Horizont. Die Tochter findet das befremdlich: „Warum kannst du nicht trauern wie jeder normale Mensch?“, motzt sie die dauerüberdrehte Mutter an. Maria Ehrich verkörpert die ernsthafte und bodenständige Figur dieses weiblichen Doppels, das erst spät zueinander findet. Margarita Broich, bekannt als HR-„Tatort“-Kommissarin, bedient dagegen den Dramödien-Part dieser dritten Episode des neuen „Herzkino“-Labels „Chaos-Queens“. Für die Komödie zuständig ist neben den prominent besetzten Randfiguren Thomas Heinze, der als Pfarrer ideal gecastet ist – weist seine Art, Texte zu sprechen, doch seit jeher einen Hang zum verspielt Salbungsvollen auf, und besitzt besonders seine Komik oft etwas Zelebrierendes. Da ihm als guter Komödiant auch die Verstellung gegeben ist und seine Rolle auch im Drehbuch ambivalent angelegt sein dürfte, weiß man als Zuschauer nie so recht, was man von diesem Pfaffen halten soll. Heiligenschein oder Scheinheiliger? Oder ist er einfach auch nur ein Mann? Die Frauen jedenfalls verhalten sich überwiegend hormongesteuert in dieser ZDF-Sonntagskomödie nach dem Roman von Kerstin Gier. Die einen fahren auf den attraktiven Junggesellen nur ab, andere würden am liebsten gleich von ihm geschwängert werden, Amelie hingegen überkommen wärmende Glücksgefühle, wenn sie diesen Mann an ihrer Seite hat, und mit ihrer schwangeren Tochter machen die Hormone, was sie wollen.
Foto: ZDF / Conny Klein
Dass vornehmlich Frauen an diesem Film beteiligt sind, macht ihn noch nicht zu einem aufgeklärten oder gar feministischen Frauenfilm. Man könnte sich die Mühe machen, alle weiblichen Figuren auf ihre (frauen)politische Korrektheit hin abzuklopfen – und es würde so manches Uraltklischee zu Tage treten. Man kann es aber auch lassen und den Film unter den Gesichtspunkten einer Komödie sehen, einem Genre, in dem soziale Klischees ja meist durch die Brechung der Komik eine andere Wirkung entfalten. Immerhin gelingt den weiblichen Hauptfiguren ja postum ein familieninterner Emanzipationsprozess. Jahrelang haben Mutter und Tochter vor lauter „Liebe“ zum Ehemann bzw. Vater das andere weibliche Wesen der Familie übersehen. Jetzt gehen sie erstmals langsam aufeinander zu: Dieses narrative „Herzkino“-Versatzstück bekommt nicht nur durch Broich und Ehrich, sondern vor allem auch durch die komödiantische Einfärbung etwas angenehm Leichtgewichtiges. In einer der schönsten Szenen des Films stehen die beiden Frauen im Keller und ein kippendes, proppenvolles Regel droht umzufallen und sie unter sich zu begraben. Mit vereinten Kräften versuchen sie, das Monstrum irgendwie wieder zum Stehen zu bringen. Dabei sind Mutter und Tochter in solcher Erregung, dass sie endlich einmal das aussprechen, was jede der beiden sich bisher nie getraut hat, der anderen zu sagen. So kann man sich Küchen- bzw. Kellerpsychologie gefallen lassen. Auch dass die Romantik in dieser Komödie – wenn sie nicht ohnehin der Ironisierung unterliegt – Beiwerk ist, gehört zu den weiteren Pluspunkten dieses gelungenen Unterhaltungsfilms, bei dem es überrascht, dass das ZDF mit keinem Wort im Presseheft den Namen Kerstin Gier („Die Mütter-Mafia“) erwähnt, versuchen Sender doch sonst, wo es nur geht, mit populären Namen auf ihre Produktionen aufmerksam zu machen.
Ähnlich wie schon die erste Gier-Verfilmung für den ZDF-Sonntag, „Die Mütter-Mafia“, ist auch „Ehebrecher und andere Unschuldslämmer“ vollgepackt mit originellen Figuren und schrägen Situationen – und wie Tomy Wigands Film ist auch dieser „Chaos-Queens“-Beitrag von Komödien-Expertin Vivian Naefe prominent und überaus passend besetzt. Neben den drei Hauptdarstellern glänzen vor allem Julia Hartmann mit spitzen Sätzen und nuanciertem komödiantischen Mienenspiel (inhaltlich derb, aber brillant gespielt sind ihre Szenen mit Heinze) und Stephan Grossmann als leicht sächselnder Quälgeist im Rollstuhl. Vladimir Burlakov ist auch immer eine sichere Bank: Als junger Liebhaber von der etwas anderen Gestalt und mit einer (wenn auch etwas klischeehaften) alternativen Lebensart beweist er, dass der sprichwörtliche Schwiegermutterschwarm mit der Veränderung des Zeitgeists und damit des Schwiegermüttergeschmacks keine Sascha-Hehn-Klons mehr sein müssen, wie es noch viel zu oft bei den ZDF-Labels „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ der Fall ist.
Ein weiterer grundlegender Unterschied dieser Premium-Reihe, verglichen mit dem „Herzkino“-Schwarzbrot, ist die Dramaturgie: Wird bei den Langlauf-Marken alles zugeplottet, kombiniert die personalreiche Gier-Verfilmung die beiden Haupterzählstränge um Mutter und Tochter mit den Nebenepisoden der Nachbarn, in die zumeist auch die männliche Hauptfigur eingebunden ist. Dadurch wird die an sich wenig komplexe Hauptgeschichte mit Nebenhandlungen angereichert, wird die Narration aufgelockert, wodurch sich ein fast alltagsnaher Erzählfluss ergibt, ohne dass das Ganze zu episodisch wirken würde. Diese Geschichte entzieht sich auch immer wieder den dramaturgischen Schablonen, die überroutinierte „Herzkino“-Autoren gern über die Figuren legen. Dass das junge Paar zusammenkommen muss, wünscht sich jeder Zuschauer, also stößt der junge Mann, eine Art moderner „Taugenichts“, am Ende zu einer Festgemeinschaft für den finalen Filmkuss, sorgt so für gute Gefühle und bringt sogar noch – für den, der es sehen möchte – ein leichtes Augenzwinkern mit. Wie sich allerdings die Geschichte der lebenslustigen Witwe entwickeln wird, bleibt fast bis zum Ende offen. Gemessen am Regelkanon von Pilcher, Lindström, Fforde & Co ist das fast schon eine kleine Revolution.
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