Brandnächte

Sophie von Kessel, Moretti, Auer, Hollinger, Matti Geschonneck. Im falschen Paradies

Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Foto Rainer Tittelbach

Eine Frau geht nach acht Jahren dem gewaltsamen Tod ihrer Schwester auf den Grund. „Brandnächte“ ist kein Krimi, sondern entpuppt sich bald als kapitales Seelen-Drama. Die Frage nach der Schuld ist hier keine juristisch-gesellschaftliche, sondern eine ethische. Und die Interaktionen, zumeist distanzierte Begegnungen von Verdängungskünstlern, laufen auf eine narrativ kunstvoll konstruierte, Reigen-artige Verbindung zwischen fünf Personen und zwei Toten hinaus. Das Drehbuch setzt auf Konzentration & Reduktion, die Informations-Vergabe wirkt beiläufig und ist rezeptionsästhetisch klug. Je weniger Großes erzählt wird, umso mehr erzählt das Kleine – erweist sich als das richtige Erzählprinzip. Bei Geschonneck ist ein solcher aufs Essenzielle & Existentielle abgespeckter Plot in den besten Händen.

„Ihr habt den Falschen verurteilt. Acht Jahre Psychiatrie – und jetzt ist er tot. Warum wollen Sie die Wahrheit nicht wissen?“ Es ist nicht die erste Mail ohne Absender, die Julia Gerber (Sophie von Kessel) in den letzten Tagen bekommen hat. Auch wenn ihr Mann Nick (Thomas Loibl) abwinkt, vielleicht ist doch was dran an der Unschuld von Kolnick, vielleicht läuft ja der, der den Tod ihrer Schwester Sophia (Inez Björk David) in Wahrheit zu verantworten hat, noch frei herum. Und so macht sich Julia auf in die alte Heimat, ins Haus ihrer Eltern im Oberbayerischen, das sie eigentlich schon längst verkauft haben sollte. Dort sieht sie alle wieder, die mit dem Fall zu tun hatten – den mittlerweile suspendierten Kommissar Maurer (Tobias Moretti), der nach drei Tagen ein Geständnis des geistig behinderten Kolnick auf dem Tisch hatte, die Psychologin, Lisa (Barbara Auer), bei der der vermeintliche Täter in Behandlung war und die das Gutachten geschrieben hat, und Johannes Falk (Nikolaus Paryla), der boshafte uneheliche Vater des „Schwachsinnigen“, wie alle im Dorf Kolnick genannt haben. Jeder sagt nur das, was ihm nutzt. Julia entdeckt immer mehr Ungereimtheiten, selbst bei ihrem Mann, der ihre Recherchen für gar keine gute Idee hält. Da sie sich selbst eine Mitschuld gibt am Tod der Schwester, brechen bald die alten Wunden wieder auf. Und sollten sich die Behauptungen in den Mails bestätigen, könnte das Julia in große Gefahr bringen.

BrandnächteFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Fastenzeit in der katholischen Gemeinde, doch ohne Schnaps & Bier geht bei Maurer (Tobias Moretti) schon lange nichts mehr. Lisa Poldack (Barbara Auer) sehnt sich nach mehr Nähe. Für die eigenen Bedürfnisse vergisst man schon mal die Moral…

Die ersten Bilder. Der Tag bricht an. Der See am Wald strahlt in kühlem Blau, und die Landschaft besitzt etwas seltsam Surreales. Das Frühjahr lässt noch auf sich warten. Auch wenn im ZDF-Fernsehfilm „Brandnächte“ immer wieder vom „Paradies“ die Rede ist – spätestens wenn die Menschen ins Spiel kommen, hat dieser Ort so gar nichts Paradiesisches mehr. Das Heimatdorf wird vielmehr im Film von Matti Geschonneck nach dem Drehbuch von Hannah Hollinger zum Schauplatz eines Sündenfalls. Der kranke junge Mann war das perfekte Opfer, seine Verurteilung nutzte irgendwie jedem – weshalb hätte man also das Geständnis in Frage stellen sollen?! Mit moralischen Grundsätzen überlebt in dieser dörflichen Enge keiner, mit ein paar Unwahrheiten aber kann das eigene Leben in dieser „Hölle“ offensichtlich sehr viel angenehmer werden. Dass dies ein Trugschluss ist, verdeutlicht die Drehbuchautorin mit Hilfe „des schönen Rachenengels“, wie Zyniker Falk Julia nennt. Alles Tun und Handeln wird in dieser Geschichte angetrieben vom ewigen Kampf gegen die Einsamkeit. Und doch hat man 90 Minuten lang den Eindruck, als ob hier jeder nur in seiner eigenen kleinen Welt lebt. Man kennt sich, man duzt sich, die Kommunikation bleibt kühl, distanziert, keine Berührung, keine Umarmung, Worte ohne Emotionen, eher Waffe als Medium. Nähe bleibt hier allenfalls ein Wunschbild. Und am Ende ist jeder allein.

„Brandnächte“ entpuppt sich bald als kapitales Seelen-Drama. Eine universale Rätselstruktur obsiegt deutlich über den realen Krimifall, der ohnehin für einen Whodunit zu wenig mögliche Täter anbieten würde. Die Frage nach der Schuld ist keine juristisch-gesellschaftliche, sondern eine ethische. Und immer wieder kommt die Frage auf: Wohin führt das Ganze, wohin bringt einen dieses Leben? Zwei sind bereits tot, aber welches Ende nimmt es mit den anderen? Dem alten Falk schlägt wohl bald das letzte Stündlein. Und der eigenbrötlerische Ex-Polizist sinniert illusionslos über die Tode, die man hier sterben kann: vom Berg erschlagen werden, im See ertrinken oder – wie die Schwester der Heldin – verbrennen. Mit klassischem Fernsehrealismus hat das alles erfreulicherweise nicht viel zu tun. Und die Kommunikation läuft auf eine narrativ kunstvoll konstruierte, fast Reigen-artige Verbindung hinaus zwischen den fünf Hauptfiguren und den beiden Toten, dem, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, und die, die sich mit Narzissmus, Verführung und Sex naiv das Leben schön spielte, bis sie irgendwann hinter die Fassade blickte. Jetzt hingegen fühlt sich deren Schwester dazu veranlasst, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Auch sie scheint eine Verdrängungskünstlerin zu sein – was sich nicht zuletzt auch in ihrer Ehe zeigt, in der sie und ihr Mann kinderlos (und in einem nicht gerade geschmackvollen Münchner Ambiente) aneinander vorbeileben.

BrandnächteFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht. Die Psychologin packt aus. Nichts wie weg hier! Barbara Auer & Sophie v. Kessel

Das Drehbuch gibt Konzentration und Reduktion als Erzählprinzipen vor, die Informations-Vergabe ist klug, wirkt beiläufig und lebensnah. Der Zuschauer nähert sich der Handlung mit dem Bewusstsein der Heldin, dass in diesem Dorf etwas faul ist. Anders als in einem Krimi wird er nicht sofort mit den wesentlichen Fakten versorgt. Erst nach und nach schält sich der Kern der Geschichte heraus, wird das, was damals geschehen ist, angesprochen. So wird man mehr und mehr in die Geschichte hineingezogen. Hollingers Erzählprinzip ist eine gute Voraussetzung für ein Drama, das einen mitdenken lässt: Je weniger Großes erzählt wird, umso mehr erzählt das Kleine; vorausgesetzt, die Erzählung besitzt nicht nur dramaturgische, sondern auch filmische Dichte. Bei Matti Geschonneck ist eine solche aufs Essenzielle und Existentielle abgespeckte Geschichte in den besten Händen. Es ist die 15. Zusammenarbeit der beiden in den letzten zwanzig Jahren. Schon zu Beginn legt sich der Score, das Unheil stimmungsvoll andeutend, aber nicht bedeutungsschwer, über die Landschaftsbilder. Dann nimmt die Kamera jene Dorfbewohner ins Visier, die mehr wissen von den Ereignissen vor acht Jahren. Jeder bekommt einige wenige Einstellungen, dann erst gerät die Hauptfigur in den Blick. Die von Sophie von Kessel gespielte, in München lebende Julia, eine Frau Marke ernsthaft und wenig lustvoll, ganz im Gegensatz zu ihrer lebenslustigen jüngeren Schwester, übernimmt die Initiative und kehrt an jenen Ort zurück, der – wie das Intro unverkennbar zu verstehen gibt – das Zentrum der Erzählung bildet: jenes Paradies, das die Hölle ist.

Geschonneck und seine Gewerke sorgen für das passende filmische Ambiente. Das Voralpenland ist im frühen Frühjahr ohnehin schon arm an Farben, die Bildgestaltung von Theo Bierkens sorgt für weitere ikonografische Trostlosigkeit. Die Sonne zeigt sich in diesem Film nicht. Selbst der Himmel wird bis auf einige Landschaftstotalen systematisch durch die Cadrage weggeschnitten. Grundfarbe Grau. Und die Enge des Dorfes wird noch gesteigert durch die Enge der Innenräume. Kleine Fenster, spartanische, wenig gemütliche Einrichtung, so sieht es in den Häusern aus – das Leben ein einziger Notbehelf. Und dann auch noch die Osterwoche, diese Rituale, die an das Leiden und den Kreuztod Christi erinnern, bevor die Auferstehungsfeier den Tod transzendiert zu einem Fest der Freude. Der Film freilich spiegelt mehr die Stimmungslage der Karwoche wider als die eines optimistischen Neuanfangs. Das gilt auch und vor allem für die Charaktere und deren Schauspieler. Ein Lächeln ist so kostbar wie ein Sonnenstrahl. Und keinem bietet sich ein Grund dafür. Ob Sophie von Kessel, Tobias Moretti, Barbara Auer, Nikolaus Paryla oder Thomas Loibl – alle diese fünf Ausnahme-Schauspieler verkörpern ihre Figuren als Menschen, die gelernt haben, vorsichtig zu sein und die ihr Gegenüber belauern; sie sind wortkarg und schwer zu durchschauen. Einer spielt ein besonders bösartiges Spiel, ein anderer will einfach nur, dass alles ein Ende hat und die „alten Sachen“ endlich aus der Welt geschafft sind. Nur eine hatte für alle ein Lächeln.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Sophie von Kessel, Tobias Moretti, Barbara Auer, Nikolaus Paryla, Thomas Loibl, Simon Werdelis, Inez Björk David

Kamera: Theo Bierkens

Szenenbild: Ulrich Hintzen

Musik: Nikolaus Glowna, Ludwig Eckmann

Redaktion: Reinhold Elschot, Stefanie von Heydwolff

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera, Silke Schulze-Erdel

Drehbuch: Hannah Hollinger

Regie: Matti Geschonneck

Quote: 5,93 Mio. Zuschauer (18,1% MA)

EA: 27.11.2017 20:15 Uhr | ZDF

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