Außerhalb des Ostalpenraums werden viele Menschen beim Wort „Charivari“ irrtümlich eher an Geigen als an Trachtenschmuck denken, aber gerade in Bayern sind die Hosenlatzketten derzeit wieder im Kommen. Einst dienten sie als Talisman und Statussymbol, und diese Funktion erfüllt auch die Charivari, die Berti Ottensamer mutmaßlich mit Stolz trägt. Selbstverständlich ist er in hohem Maße aufgebracht, als ihm das Schmuckstück gestohlen wird. An den Silberketten hängen neben Münzen oder anderen Wertgegenständen Jagdtrophäen wie zum Beispiel Zähne oder kleine Geweihteile. Auch Berti befestigt nach vollbrachter Tat ein makabres Souvenir an seiner Charivari. Sein Opfer war allerdings kein Tier, sondern eine Frau; geradezu liebevoll hat er den Knochen ihres kleinen Fingers in das Schmuckstück integriert. Kein Wunder, dass ihn eine mittlere Panik erfasst, als er erfährt, dass die Anstifterin des Diebstahls die Kette in einem Labor für medizinische Diagnostik untersuchen lassen will.
Foto: BR, Degeto / Bernd Schuller
„Bis auf den Knochen“ ist der krönende Abschluss der „Passau-Krimi“-Trilogie, zumal Reihenschöpfer Michael Vershinin und Co-Autor Robert Hummel die Spannung mit großem dramaturgischen Geschick auf drei Ebenen verteilt haben. Der Film beginnt mit dem Mord: Scheinbar willkürlich erwürgt Ottensen auf einem Waldparkplatz eine Spaziergängerin. Als er später im Schutz der Dunkelheit die Leiche vergräbt, ist beiläufig zu sehen, dass ihr ein kleiner Finger fehlt; kurz drauf ziert der Knochen die Kette. Um Reihenheldin Frederike Bader (Marie Leuenberger) ins Spiel zu bringen, bedienen sich die Autoren eines keineswegs unplausiblen Zufalls: Tochter Mia (Nadja Sabersky) ist kürzlich in eine WG gezogen. In einem Biergarten verteilt Mitbewohnerin Tessa (Clara Vogt), militante Tierschutzaktivistin, Flyer an die Gäste. Dabei stößt sie versehentlich gegen Ottensamer, der sie prompt beschimpft. Sie will sich revanchieren und ihm den „blutigen Trachtenschmuck“ klauen. Weil sie wegen einer kürzlichen Aktion zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, übernimmt der verliebte Mitbewohner Franz (Alexander Gaida) den Diebstahl, und nun nehmen die Dinge ihren fatalen Verlauf: Dank der Flyer braucht Ottensamer nicht lange, um die Adresse des Trios rauszufinden. Dort trifft er auf Mia, die er kurzerhand in ein einsam gelegenes Waldhaus entführt, und jetzt wandelt sich der Krimi zumindest moderat zum Thriller.
Vershinins Drehbücher sind in der Regel stets mit großer Sorgfalt verfasst, oft greift ein Rädchen raffiniert ins andere, aber diesmal hat er sich – gemeinsam mit Robert Hummel – zumindest im Rahmen der Trilogie selbst übertroffen. Dass sich hinter dem Hass des Täters auf „zänkische Weiber“ ein Mutterkomplex verbirgt, mag nicht sonderlich originell klingen, sorgt aber dank entsprechender Rückblenden dafür, dass Ottensamer kein blindwütig mordendes Monster ist. Der Film entschuldigt die Taten nicht, erklärt sie jedoch, und weil Daniel Christensen den wortkargen Mann mit menschlichen Momenten versieht, entsteht tatsächlich so etwas wie Empathie. Davon abgesehen verkörpert der gern und allen voran in den „Eberhofer-Krimis“ als komische Figur besetzte Schauspieler den verzottelten Einzelgänger als durchaus finstere Gestalt.
Foto: BR, Degeto / Bernd Schuller
Aller Spannung zum Trotz sorgen Vershinin, Hummel und Regisseur Jan Fehse mit seinem dritten „Passau-Krimi“ in Folge zwischendurch für heitere Momente. So findet beispielsweise Frederikes detektivischer Partner zwischen den Ermittlungen Zeit für zwei amüsante Flirts mit einer Ordnungshüterin (Teresa Rizos); Ferdinand Zankl (Michael Ostrowski) glaubt anfangs ohnehin nicht, dass Mia in Gefahr ist. Innerhalb der äußeren Gegebenheiten erfreut das Drehbuch vor allem durch Details wie etwa Ottensamers Vorliebe für eine spezielle Zigarrensorte, die die Handlung regelmäßig in eine neue Richtung befördern. Sehenswert ist „Bis auf den Knochen“ erneut auch wegen der Bildgestaltung (Kamera: Kristian Leschner). Diesmal hat zudem die düstere Musik (David Reichelt) großen Anteil daran, dass der dritte aktuelle „Passau-Krimi“ auch der beste ist.


1 Antwort
Wie immer eine empfehlenswerte Kritik. Auf den Punkt. Wertschätzend. Warum dann für diese grandiose Folge so wenige Sterne?