Bad Influencer

Lia von Blarer, Kiessling, Sperber, Waelde, Lilli Tautwetter. „Angrykilljoyfeminist“

Foto: SWR / Maor Waisburd
Foto Martina Kalweit

Warning: Wer den Kosmos von „Bad Influencer“ (SWR / IT Media Medienproduktion, Tellux next) betritt muss Denglisch beherrschen. Acht kurze Episoden begleiten eine Frau-Mann-Challenge vor großem Netz-Publikum und führen in eine sprachliche Parallelwelt, für die sich ältere Zuschauer besser ein Vokabelheft zurechtlegen. Dafür ist in dieser Welt alles herrlich bunt. Ohne große Denkpausen zappeln Influencer wie Follower zwischen Satire und Farce, ungemachten Betten und eingeblendeten Klickzahlen hin und her. Dabei dreht sich jeder vor allem um sich selbst. „Bad Influencer“ hat seine Momente und seine Heldinnen, kann mit der szenetypischen Hysterie, die sich in einem ständigen Over-Acting manifestiert, aber auch ganz schön auf die Nerven. Und diese Dramedy im Comedy-Gewand reißt Themen an, stellt viele Fragen und lässt sie offen. Offen bleibt auch, ob diese Serie für die Mediathek nur jung aussehen will oder junge Menschen dazu bewegen möchte, über Abhängigkeiten, Manipulationen und den Kampf um die Deutungshoheit im Netz zu reflektieren.

Unbefriedigt ist kein Ausdruck: Donna (Lia von Blarer) liegt mit dem falschen Mann im Bett. Oben keucht Pascal (Lukas T. Sperber), unten suchen fragende angeekelte Blicke einen Anker. Wie konnte das passieren? Donna ist einem Pick-Up-Artist, kurz PUA, auf den Leim gegangen. Pick-Up-Artist steht für Aufreißer. Eine männliche Spezies, oft der Online-Community „Manosphere“ angehörend, toxische Männlichkeit und so. Ein Typ, der seine „Eroberungen“ zählt und viral gehen lässt, also die Frau nach dem Sex im Netz bekannt macht. Mit Donna steht Pascal nun aber eine ernstzunehmende Gegnerin gegenüber. Nach dem Tritt in seine Weichteile will sie ihre Wut weiterhin mit anderen Frauen teilen. Aus „Donnawetter 96“ wird die Influencerin „angrykilljoyfeminist“. Klares Ziel: Mehr follower als Pascal, Deutungshoheit über sich selbst.

Bad InfluencerFoto: SWR / Maor Waisburd
Beide buhlen um die Aufmerksamkeit von Donna. Ihr Ex Pascal (Lukas Sperber) ist in Milous Wohnung eingebrochen und wurde von Mitbewohnerin Milou (Salome Kießling) niedergeschlagen. Offenbar haben die beiden ein paar Gemeinsamkeiten.

Willkommen in der Welt der Influencer. Was ist hier normal? Auf jeden Fall, seine Wut zwischen „fuck“ und „famous bitch“ herauszuschreien, als Frau Achselhaare statt Kopfhaar zu pflegen, Männerunterwäsche mit Eingriff zu tragen, keinem von außerhalb der Szene diktierten Schönheitsideal zu entsprechen. Im Gegensatz zur postulierten Härte kuschelt Donna privat gern mit ihrer besten Freundin zwischen Plüschtieren, Lichterketten und dicken Kissen. Transfrau Milou (Salome Kiessling) mag lackierte Fingernägel, Schminke, Glitzer und bunte Bänder im Haar. Ein tief singender Paradiesvogel in Tennissocken – da steckt viel Liebe drin. Die Auftakt-Episode von „Bad Influencer“ etabliert den Wettbewerb zwischen Donna und Pascal, widmet sich aber vor allem der Deko in Donna und Milous Zuhause. Kann man dem Format nicht vorwerfen, schließlich ist Outfit und Posing das A & O derer, die sich auf der Jagd nach Followern (optisch) eindeutig positionieren müssen.

Die Regisseurinnen Lili Tautfest und Melanie Waelde (Regie bei zwei Folgen des Saarbrücken-„Tatorts“) setzen eine virale (Gewalt-)Spirale zwischen Mann und Frau in Gang. Dabei nimmt das Drehbuchteam alles mit, was das Netz an Gefahren, Versprechen, Manipulation und Suchtpotential mit sich bringt. Die Kamera beobachtet die Akteure beim Inszenieren ihrer Posts, bei Außenaufnahmen begleiten eingeklinkte Follower-Zahlen die auftretenden oder vorbeihastenden Protagonisten. Moderne Bildsprache, schnelle Schnitte. Dazwischen behält „Bad Influencer“ die wichtigsten Akteure auch als Menschen im Blick und zeigt, was die Social Media-Challenge mit ihnen macht. Wie ein gehetztes Tier greift Donna allmorgendlich zum Smartphone. Das Glucksen neu eingehender Nachrichten begleitet sie als Soundtrack durch Tag und Nacht. Donnas Ex (Nils Hohenhövel) und Pascals Manager (Tom Beck) sorgen dafür, dass der Sound nie versiegt. Sie arrangieren Aktionen und Chats, die die Followerzahlen nach oben treiben sollen. Zwischen Beauty-Chats und Werbung für feministische Unterwäsche (?) hängt sich da alles dran, was Geld verspricht. Der Mensch Donna beginnt, in dieser Maschine zu versinken. Lia von Blarer (Felice Bauer in David Schalkos „Kafka“-Serie, die queere Fitzi in „Eldorado KaDeWe) setzt auf ein schiefes Lächeln, um ihr Erstaunen über den ganzen Schwachsinn des Content-Generierens zum Ausdruck zu bringen. Danach kehrt sie zum Standard-Modus, dem Von-unten-nach-oben Blick als Zeichen ihrer schwelenden Wut zurück.

Bad InfluencerFoto: SWR / Maor Waisburd
„Bad Influencer“ erzählt mit satirischem Blick von der Welt der Influencer:innen im Social Media Game. Die Serie hat ihre Momente, eine gute Hauptdarstellerin, Lia von Blarer, aber die szenetypischen Hysterie kann mit der Zeit auf die Nerven gehen. Donna hat sich überreden lassen, mit einer Beauty-Influencerin (Malene Becker), einen Livestream zu machen: ein Desaster!

Donnas Mimik ist so übertrieben wie überschaubar. Feinere Züge offenbart sie erst in Folge acht. Bis dahin dekliniert „Bad Influencer“ Feminismus rauf und runter und bahnt den Weg zu intimen Begegnungen abseits offiziell vor sich hergetragener Rollenbilder. Während Donna als Zeichen ihrer Toleranz gegenüber andersdenkenden Frauen mit einem Tortenwettbewerb bei Tradwife „Pustekuchen“ (Lea van Ackeren, Ella in der Pandemie-Serie Sloborn) viral geht, lernen sich ihre Mitbewohnerin Milou und Macho Pascal unter anderen Namen im Netz kennen. Episode vier – eher Farce als Satire – etabliert damit den Darling der Serie. Die transsexuelle Milou ist die Einzige, die innerhalb des Systems Ruhe bewahrt, ihre Privatsphäre schützt und die getriebene Donna hin und wieder zur Besinnung bringt. Da geht jeder gerne mit. Schwieriger ist es, die Wandlung des bisher als übergriffiges Arschloch gezeichneten Pascal zum nachdenklichen Literaturliebhaber nachzuvollziehen. Da tun sich Fragen auf.

„Bad Influencer“ lässt viele Fragen offen. Hätte eine Frau wie Donna bei einem Mann wie Pascal nicht viel früher stop gesagt? Ist „femifotze“ als Titel für eine Influencerin wirklich klug gewählt? Wie schwer wiegt das Täter- gegen das Opfersein? Und wer bestimmt überhaupt, wer Opfer ist? Alles Fragen, die „Bad Influencer“ anstößt, aber nicht klärt. Offen bleibt auch, ob die Satire nur jung aussehen will oder junge Menschen dazu bewegen möchte, über Abhängigkeiten, Manipulationen und den Kampf um die Deutungshoheit im Netz zu reflektieren. Klar positioniert sich „Bad Influencer“ nur in der Abgrenzung zur älteren Generation. Deren Vertreterinnen und Vertreter sind entweder so doof wie eine Mutter, die dank ihrer Tochter die Kasse klingeln hört, oder erfüllen kalt ihre Funktion im ausbeuterischen System. Odine Johne mit einem One-word-Part in der ersten – und Arnd Klawitter als TV-Moderator in der letzten Episode setzen hier ohne viel Tamtam Akzente.

Bad InfluencerFoto: SWR / Maor Waisburd
In einer Talkshow hat vor allem Siegrid Scherz (Julika Jenkins) das Sagen. Sie ist Kopf einer rechtspopulistischen Partei, ein Mix aus Sarah Wagenknecht, Alice Weidel & Ursula von der Leyen, und sie behauptet, den wahren Feminismus zu vertreten.

In Episode acht darf Donna in der Talkshow wie in der realen Welt endlich auch schweigen. Als ihr Gegenüber überzeugt Julika Jenkins in der Rolle einer Talkshow-Endgegnerin. Als Politikerin der „Neuen deutschen Front“ spiegelt die siebenfache Mutter Siegrid Scherz einen Mix aus Sarah Wagenknecht, Alice Weidel und Ursula von der Leyen. Alles Frauen, die noch wissen, wer Thomas Gottschalk ist und die seine Hand auf dem Knie einer prominenten Frau wahrscheinlich nicht zwingend für verwerflich halten. „Wir müssen uns verbinden, statt uns spalten zu lassen“ – hier stößt Donnas Erkenntnis an eine Grenze. Und sorry, schon wieder eine Frage: Wie verhält sich eine männliche Hand auf dem Knie einer weiblichen Prominenten vor der TV-Kamera zu der mit einem privaten Smartphone aufgenommenen und verbreiteten Triumphrede eines Mannes, der im Angesicht einer nichtsahnenden nackten Frau, die Nummer fünf von angedachten sieben Sex-Kontakten seiner täglichen Fick-Challenge feiert?

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Serie & Mehrteiler

SWR

Mit Lia von Blarer, Salome Kiessling, Lukas T. Sperber, Nils Hohenhövel, Lea van Acken, Julika Jenkins, Tom Beck, Odine Johne, Arnd Klawitter

Kamera: Jan Mayntz

Szenenbild: Maximilian Hirsch

Kostüm: Jessica Braun

Schnitt: Facundo Nahuel Sanchez, Carlotta Kittel

Redaktion: Jan Berning (SWR)

Produktionsfirma: it Media Medienproduktion, Tellux next

Produktion: Alexander Ferwer, Phillipp Schall

Drehbuch: Anika Soisson, Lilli Tautfest

Regie: Lilli Tautfest, Melanie Waelde

EA: 08.11.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 16.11.2024 00:00 Uhr | SWR

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