Frauen gehört die Welt – in der Münchner Maxvorstadt ganz besonders. Hier flippen die Blondinen Judith (Judith Paus), Anabell (Anabell Griess-Nega), Daidy (Daidy Mair) und das brünette Kücken Valentina (Valentina Häberle) durch den Sommer. Und die Männer, die ihnen begegnen, haben nicht viel zu lachen. Fußabtreter Nummer 1 ist der Grieche Rocky (Panagiotis Matsangos); die Damen dürfen den aufgepumpten Autoknacker und Gelegenheitschauffeur nacheinander ausprobieren, ansonsten hat er nicht viel zu melden. „Wann darf ich mir ein neues Hemd kaufen?“, fragt er kleinlaut. „Das bleibt!“, herrscht Judith ihn an. So nett ist sie nicht immer. Ihr Chef, Kneipenbesitzer Raffael (Raffael Betzler), erträgt das Weibsbild mit stoischer Gelassenheit, selbst noch, als sie ihm forsch mit den Worten „Ich werd‘ jetzt Millionärin“ den Rücken kehrt, um sich auf ihr eigenes „Geschäftsmodell“ zu konzentrieren: Was mit Sex natürlich. Und die anderen Schellingstraßen-Beautys dürfen mitmachen. Jedenfalls solange, bis eine der vier eine neue geile Idee hat oder sich der eine oder andere Mann doch mal was traut: Der schöne Paul will zwei Kinder – eines von Valentina, eines von Daidy; die aber hat schon zwei. Mal schauen, a bissel was geht immer! Und dann kommt noch eine Pistole ins Spiel. Die wechselt ihre Besitzer – bis es knallt.
Foto: ZDF / Paulo da Silva
Klaus Lemke war wieder auf der Straße. Um wie jedes Jahr einen neuen Film zu drehen. 2017 hieß er „Bad Girl Avenue“, vorfinanziert mit eigenem Geld und mit Gesichtern, die keiner kennt. Allenfalls Judith Paus verdankt dem 77-jährigen Filmemacher einen gewissen Bekanntheitsgrad in der weißblauen Landesmetropole, insbesondere durch „Making Judith!“, für den sie beim Münchner Filmfest 2017 als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert wurde. Eine wirkliche Schauspielerin ist sie allerdings wie fast alle Lemke-Darsteller nicht, Anabell Griess-Nega beispielsweise ist eine leitende Redakteurin bei RTL 2. Und so entziehen sich – bis auf die wegweisenden Filme des wilden Urgesteins des deutschen Films wie „Rocker“ (1972), „Paul“ (1974) oder Idole“ (1978) – die Filme von Klaus Lemke den Kriterien einer klassischen Kritik. Komplexer Plot, dichte Dramaturgie, Spannung, überzeugende Schauspieler oder einen Beitrag zur moralischen Erbauung – all das sucht man fast immer vergebens in seinen rund 50 Filmen. „Bad Girl Avenue“ ist da keine Ausnahme, wobei dieser 80-Minüter visuell nicht so hingeschludert wirkt wie manch einer seiner Filme aus dem Spätwerk. So holprig die Narration auch bei dieser Beziehungsfarce ist, so süffig sind die Bilder, so erfrischend ist mitunter das Nicht-Spiel der Akteure und so wunderbar beswingt die Musik, getragen vor allem vom Münchner Straßenmusiker, dem Original DD Beck.
Erzählt wird mal wieder nicht mehr als ein süßes Nichts. Wobei die Umkehr der traditionellen Geschlechterrollen immerhin aufhorchen lässt. Die Männer sind verliebt und wollen Kinder. Die Frauen sind selbstverliebt und wollen allenfalls Sex, sie setzen genüsslich auf den Domina-Effekt und sind dann schnell wieder weg. Die Herren der Schöpfung hingegen verkommen zu Männleins und Mimosen: Verlierer bevorzugen offensichtlich Blondinen. Mag auch der Kamerablick von Paulo da Silva schon mal hauchzart sexistisch sein, die raumfüllende, selbstbewusste Präsentation von Paus & Co gleicht das sattsam wieder aus. Wer die Filme und Lemkes oft steinigen Weg durch die deutsche (Förder-)Kino- und TV-Landschaft kennt, kann nicht umhin, all das mitzudenken und diese einerseits handlungsarmen, andererseits situationsreichen Straßenschnurren mit diesem Wissen anzufüttern. Im Grunde war Lemke immer das Gegenteil von einem typisch deutschen Autorenfilmer; will man seine (neuen) Filme annähernd „verstehen“, muss man ihn aber als einen „auteur“ begreifen. „Bad Girl Avenue“ hat er im Übrigen Francois Truffaut gewidmet, in Theorie und Praxis einer der wichtigsten Fürsprecher der „Autorentheorie“. Dabei erinnert der neueste, wie immer sehr luftig inszenierte Film des Münchner Straßenpoeten jedoch konzeptionell vor allem an Godards „Außer Atem“ (filmästhetisch spielt der natürlich in einer anderen Liga) und er weist strukturell & dramaturgisch Parallelen auf zu den sommerlichen Liebesreigen eines Eric Rohmer („Pauline am Strand“). Ein so guter Geschichtenerzähler wird Lemke auf seine alten Tage aber wohl nicht mehr werden. (Text-Stand: 12.8.2018)
Foto: ZDF / Paulo da Silva