Moritz und seine Frau Eva haben ein schreckliches Jahr hinter sich, ein Jahr voller Enttäuschungen, voller Kämpfe, voller Tränen. Jetzt sind beide nur noch sprachlos und müde. Eine gemeinsame Zukunft scheint immer unwahrscheinlicher. In dieser angespannten Situation macht der Vulkanologe das, was er offenbar immer tut: er flüchtet. Dieses Mal nach Teneriffa, wo er einen Forschungsauftrag angenommen hat. Im Umfeld des Vulkanbergs Pico del Teide erwacht der emotional tote Mann zu neuem Leben.
Es scheint die immer gleiche Geschichte vom Verlust der Liebe zu sein, die so alt ist wie die Liebe selbst, die uns Autor Jürgen Wolff und Regisseurin Claudia Garde in „Auf dem Vulkan“ vor dem beeindruckenden Hintergrund einer spanischen Ferieninsel erzählen. Und doch ist es eine andere Geschichte. Denn das Paar plagt mehr als die alltägliche Entfremdung. Was früh angedeutet, aber aus dramaturgischen Gründen lange nicht konkret ausgesprochen wird: Moritz und Eva hatten einen Sohn, der bei einer Kletterpartie mit seinem Vater vor einem Jahr ums Leben kam. Seither quälen Moritz Schuldgefühle. Er kann nicht über den Unfall sprechen. Das ist es, was Eva verrückt macht. Sie will Moritz nicht die Schuld geben, sie will nur wissen, was passiert ist.
Foto: SWR / von Vietinghoff
So wie es im Innern des äußerlich inaktiven Lavaberges rumort, so steckt auch in der vermeintlich vereisten Beziehung des Paares mehr Leben als auf den ersten Blick anzunehmen ist. „Die Verzweiflung, die großen Tränen, der Schmerz des Verlustes sind noch immer vorhanden, aber jeder will diese Gefühle für sich ausleben“, analysiert Claudia Garde die psychologische Ausgangssituation des Films. Beide stecken fest: Eva fordert das Erinnern, Moritz richtet sich ein in der Verdrängung. Beide lieben sich noch, aber sie sind nicht mehr in der Lage, einander zu trösten. „In solchen Situationen, wo man unfähig ist zu kommunizieren, tut ein Paar gut daran, sich voneinander zu distanzieren“, betont die Regisseurin, die sich bei den Anfangsszenen des Drehbuchs stark an die Verfilmung von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ erinnert fühlte.
„Auf dem Vulkan“ ist ein spartanisch gestaltetes Seelendrama, dem nur des männlichen Helden neue Liebschaft ein wenig äußere Handlung verleiht. Die Spanierin Sofia nimmt sich zwischenzeitlich des pflegebedürftigen Deutschen an. Was auf den ersten Blick wie eine stereotype Krisenbewältigungsstrategie aussieht und entsprechend etwas klischeehaft inszeniert wird, ist beim genauen Hinsehen ein stimmiger Bestandteil eines Beziehungsdramas, das funktioniert (vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein), weil es dem Zuschauer erlaubt, doppelt mitzufühlen: So können diese Szenen einer Ehe sowohl als universale Entfremdungsgeschichte als auch als individuelle Schicksalsgeschichte zwischen dem unterkühlten Vulkanologen und seiner fiebrig emotionalen Frau gelesen werden.
Ein weiterer Grund, weshalb der Film trotz eines Minimums an äußerer Handlung nie langweilig wird, sind neben den spannungsgeladenen Landschaftsbildern seine Darsteller. Maria Schrader, kurz, aber sehr präsent im Bild, lässt erahnen, was in ihrem Inneren brodelt – ein Mal darf sie es herausschreien. Dagegen muss Sebastian Koch sich lange Zeit emotional bremsen. Er muss Momente der Leere spielen, wortlos, menschlich nicht immer nachvollziehbar, weil sie etwas mit der Vorgeschichte, die der Zuschauer noch nicht kennt, zu tun haben. (Text-Stand: 2.1.2008)
Foto: SWR / von Vietinghoff