Für Rainer Berg ist alles eine Frage der richtigen Temperatur. Der Tiefkühllieferant hat sich seine Waren, die er an Haushalte in Schleswig-Holstein ausfährt, zum Vorbild genommen. Bei minus 18° C wird die Haut zum Panzer, tiefgefroren ist man unverletzlich. Dieser Mann, Anfang 50, hat schon bessere Tage gesehen. Die Fabrik seines Vaters hat er durchgebracht, die Ehefrau ist ihm durchgebrannt – da philosophiert Berg heute lieber über Fischstäbchen, als es noch einmal mit dem echten Leben zu versuchen. Gefühle kommen bei ihm höchstens auf, wenn er seinen Vater im Altersheim besucht: Schamgefühle – denn die Firmenpleite hat der Sohn dem kranken Mann bisher verschwiegen. Ausgerechnet diesem egozentrischen Kotzbrocken teilt die neue Chefin den zappeligen Ex-Frisör und ewigen Pechvogel Tobias Moerer als Beifahrer zu. Mit seinem ewigen Gequassel, seiner naiven Offenherzigkeit und den guten Ratschlägen für Eigenbrötler Berg weiß er den Führerraum nach und nach zu erwärmen – und auf einmal mag das coole „Arschloch“ diese liebenswerte „Witzfigur“.
„Arschkalt“, der zweite Langfilm von André Erkau („Selbstgespräche“), hat in seiner dramaturgischen Anlage ein bisschen was von diesem Tobias Moerer: quirlig, sprunghaft, voller verrückter Ideen. Und er hat erwartungsgemäß auch einiges von einer klassischen Läuterungskomödie. Der Misanthrop nimmt nach und nach wieder menschliche Züge an. Die sentenzenhaften Selbstgespräche („Brot ist wie das Leben – früher oder später wird’s hart“) weichen herzhaften Diskussionen. Und als sich dann auch noch die gefeuerte Chefin zu ihnen gesellt und mit den Worten „Wir müssen uns betrinken“ die (Humor-)Parole für die zweite Filmhälfte ausgibt, entfaltet sich „Arschkalt“ zum kapitalen Wohlfühlfilm mit einem wunderbaren Trio: Herbert Knaup ist einer unserer besten Komödianten, ideal für diese Rolle zwischen Tragik und Witz; Johannes Allmayer macht da weiter, wo er im Kluftingerkrimi „Erntedank“ und „Vincent will Meer“ aufgehört hat; und die Deutsch-Holländerin Elke Winkens, die einst mit „Kommissar Rex“ auf Gangsterjagd ging, kann hier ihr spitzbübisches Augenspiel eines gereiften Meisje sexy zum Einsatz bringen. Dramaturgisch und ästhetisch ist Erkaus Komödie einfach gestaltet – im steten Wechsel zwischen Langsamkeit und Tempo. Hektische Montagesequenzen folgen Momenten der Stille. Nummer-Revue-Montage trifft Talking Heads im Führerhaus. Ein Road-Movie wird zum Liebesfilm – denn: „Es gibt Dinge, die kann man nicht eingefrieren“. So entsteht eine trockene, norddeutsch gefärbte Humorebene, in die am Ende auch einige ernsthafte Lebensweisheiten eingebunden werden – wie diese: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben; es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“