Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt. Wenn es aber einen Gott gibt und er uns nach seinem Vorbild erschaffen hat, dann muss auch Gott eine dunkle Seite haben. „Wir sind alle Monster“, sagt der Mörder in Christian Alvarts Killer-Thriller; „wir sind Gottes größter Fehler“. In bitterer Ironie trägt er nicht nur den Namen eines Erzengels, sondern heißt auch noch Engel; doch Gabriel Engel ist der Teufel. Die Verwandtschaft zwischen „Antikörper“ und Vorbildern wie „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Sieben“ ist offensichtlich. Alvart, der auch das Drehbuch schrieb, weist selbst darauf hin, als er Engel bei der ersten Konfrontation seinen Gegenspieler höhnisch begrüßen lässt: „Wen hast du erwartet? Hannibal Lecter?“
Ähnlich wie der düstere, aber ungemein charismatische und eloquente Serienmörder aus den Romanen von Thomas Harris ist Engel (André Hennicke) eine faszinierende Figur. Er bereitet zwar nicht wie jener aus den Innereien seiner Opfer Delikatessen zu, benützt aber ihr Blut, um damit schauerliche Collagen anzufertigen. Sein Antipode trägt den Namen Michael hingegen völlig zu Recht: Im Alten Testament ist Michael der Anführer der himmlischen Heerscharen, die Satan bekämpfen. Michael Martens (Wotan Wilke Möhring) gehört, wie Alvart erläutert, „zu einer aussterbenden Gattung Mensch“: ein tief religiöser Moralist, der am Ende gar bereit ist, es Abraham gleichzutun und den eigenen Sohn zu opfern.
„Antikörper“ funktioniert auch diesseits allen religiösen Überbaus: Als Engel in Berlin verhaftet wird, scheint auf einen Schlag ein Dutzend Mordfälle gelöst. Die Toten waren überwiegend junge Männer. Nur ein Opfer passt nicht ins Bild, ein junges Mädchen vom Lande. Obwohl auch bei ihr Engels Handschrift zu erkennen war, ist Provinzpolizist Martens überzeugt, der Täter sei ein Mann aus dem Dorf. Geschickt kombiniert Alvart zum fesselnden Einstieg drei Ebenen: hier die vergeblichen Versuche des Berliner Kommissars Seiler (Heinz Hoenig), Engel zum Sprechen zu bringen, dort der fromme Alltag Michaels, der immer wieder mit seinem pubertierenden Sohn Christian (Hauke Diekamp) aneinander gerät und von den Erinnerungen an den Fund der Leiche gequält wird. Doch selbst reduziert aufs Handlungsgerüst ist der Film noch mehr als ein schlichter Thriller: weil Seiler fast zu spät erkennt, dass Martens und sein Sohn die Hauptfiguren eines wahrhaft teuflischen Plans sind.
Wie immer bei den besseren Beiträgen dieses Genres ist Alvarts Drehbuch bis ins Detail ausgeklügelt. Und Martens kommt Engel vor allem deshalb so nahe, weil er ihm ähnlicher ist, als ihm lieb sein kann. Da er dennoch eine ehrliche Reinheit ausstrahlt (vor allem in dieser Hinsicht ist Möhring ausgezeichnet besetzt), stellt er für den Killer natürlich gleichzeitig Provokation wie auch Herausforderung dar. Hennicke wiederum profitiert enorm von der Wandlungsfähigkeit des Mörders. Er mag kein Anthony Hopkins sein, doch das Waten im Blut spielt er ebenso eindringlich wie die Psychoduelle bei den Vernehmungen. Auch optisch ist „Antikörper“ eindrucksvoll (Kamera: Hagen Bogdanski). Trotz einiger blutiger Bilder hält sich die Unappetitlichkeit in Grenzen. Auf Tötungs- oder Folterszenen hat Alvart verzichtet. Kein Wunder: Die Beschreibungen sind schon ekelhaft genug. Mancher Übergang ist von mitunter mutwilliger Verspieltheit, die Metropole angemessen düster. Doch es sind die Darsteller, die den Film tragen: weil gerade Möhring überzeugend vermittelt, wie sich der Mörder im Kopf des Katholiken immer mehr breit macht. Bloß der Schluss ist Alvart allzu kitschig geraten.