Anna und ihr Untermieter – Dicke Luft

Katarina Jacob, Ernst Stötzner, Rohde, Kreuzer, Martin Rauhaus, Ralf Huettner. Jeder Jeck ist anders

Foto: Degeto / Guido Engels
Foto Rainer Tittelbach

Älter werden ist nichts für Feiglinge, die Zweite. Die beiden Hauptfiguren der ARD-Dramödie „Anna und ihr Untermieter“ (Degeto / Calypso Entertainment) meistern allerdings auch in diesem Sequel ihr Rentner-Dasein vorbildlich. Nein, es sind die anderen, die ihr Leben nicht in den Griff kriegen, weil sie in besseren Zeiten nicht vorgesorgt haben. Daran entzünden sich dann Grundsatzdebatten und die abgeflauten Gegensätze zwischen Beamtenseelen-Starrsinn und Helfersyndrom frischen wieder auf. „Dicke Luft“ setzt noch eine Idee unterhaltsamer das fort, was der potenzielle Reihen-Auftakt versprach. Drei Menschen, Freundin, Ex-Mann, Bruder, stellen das Verhältnis Vermieter/Untermieter amüsant, ohne pädagogischen Impetus auf den Prüfstand. Neben dem narrativen Mehrwert der dichten Geschichte(n), die den Film für (sozialkritische) Themen älterer Menschen öffnet, ist das augenscheinlichste Plus der zweiten Episode von „Anna und ihr Untermieter“ die Besetzung. Jakob, Stötzner, Rohde – dieses Trio ist ideal, die halbe Miete. Die andere Hälfte steuert das kongeniale Doppel aus Autor Martin Rauhaus und Regisseur Ralf Huettner bei. Alles ist bestens im Fluss, und die Dialoge treffen nicht nur perfekt die Charaktere, sondern sind auch intelligent komisch.

Auf den ersten Blick könnte man Anna (Katerina Jacob) und diesen „Herrn Kurtz“ (Ernst Stötzner) für ein zufriedenes Rentnerehepaar halten, wenn sie so auf der Terrasse in ihrer Kölner Hinterhofoase frühstücken, er die Zeitung vor der Nase, sie mit Rilke und Redebedarf. Aber es zeigt sich alsbald, dass die beiden nie und nimmer ein ganzes Leben miteinander ausgehalten haben können. Sie ist geradezu obsessiv hilfsbereit, und er sagt bei Bitten, die man an ihn richtet, prinzipiell erst mal nein. Das nervt Anna maßlos; der Mann lässt dann jedoch meist mit sich reden. Wie im Falle von Annas bester Freundin Gundula (Lisa Kreuzer), die mit ihren Knieproblemen ihr Leben neu organisieren muss. Das Durchrechnen ihrer Finanzen fällt allerdings ziemlich unerfreulich aus. Etwas weniger Geduld hat Herr Kurtz mit Willi (Armin Rohde), dem Ex-Mann seiner Vermieterin, der ihn offenbar sehr an seinen eigenen Bruder erinnert (Hannes Hellmann). Willi hat einst mit seinen hirnrissigen Geschäftsideen Annas Geld durchgebracht und hat sie vor zwanzig Jahren mit einer deutlich jüngeren Frau sitzengelassen. Weil sein Imbiss namens WC, steht für Willis Currybude, in Thailand weder ein Lacher noch ein kulinarischer Erfolg wurde, steht er nun abwechselnd bei Anna und ihrer gemeinsamen Tochter Karin (Katharina Schlothauer) auf der Matte. Thai-Curry, Sprüche und Schnorren sind sein Ding. Dieser Willi tut spontan, hat aber einen Plan.

Älter werden ist nichts für Feiglinge, die Zweite. Die beiden Hauptfiguren der ARD-Dramödie „Anna und ihr Untermieter“ meistern allerdings auch im Sequel „Dicke Luft“ ihr Rentner-Dasein vorbildlich. Er hält sich körperlich fit, für sie ist Helfen die beste Medizin, und geistig können es ihre weltanschaulichen Diskussionen und ironischen Spitzen durchaus noch mit der Jugend aufnehmen. Nein, es sind die anderen, die ihr Leben nicht in den Griff kriegen, weil sie in besseren Zeiten nicht vorgesorgt haben. Daran entzünden sich weitere Grundsatzdebatten über das reichste Land Europas, seine Sozialpolitik, über Inflation und Selbstverantwortung. Der Mann verteidigt das System, die Frau hält zu den Menschen. Aus dem überzeugten „Realist“ Kurtz, der immer erst mal das Schlimmste annimmt, wird sicherlich kein Idealist werden, aber er erkennt zumindest nach und nach, dass man auch noch im Alter dazulernen kann. Und er erkennt, dass er von dieser Frau emotional deutlich profitiert. Und so springt er über seinen Schatten und nimmt Kontakt zu seinem verhassten Bruder auf, der in der Nähe auf einem Campingplatz wohnt. Annas Spruch, den auch ihr Willi nach zwanzig Jahren nicht vergessen hat, „Es gibt für alles eine Lösung“, den jedoch kann Kurtz nicht bestätigen, und er möchte schon gar nicht in einer Alten-WG mit dem „flotten Bankrotteur im Hawaiihemd“ und der älteren Dame mit Rollator landen, was die Helferin vom Dienst durchaus in Betracht zieht, als Willi obdachlos zu werden droht. Was nicht heißt, dass Kurtz zu dem ewigen Schnorrer mit seiner weltumarmenden Art, bei der immer viel Show dabei ist, bis zum Ende auf Distanz geht. Mit der Annäherung an den Bruder kommt er auch diesem Luftikus deutlich näher.

Anna und ihr Untermieter – Dicke LuftFoto: Degeto / Guido Engels
Zwei Frauen mit unterschiedlichen Frauenbildern, die trotzdem beste Freundinnen sind. Gundula (Lisa Kreuzer) lebt über ihre Verhältnisse und ist außerdem nicht mehr gut zu Fuß. Aber es wird sich doch wohl irgendein Mann finden, der ihr unter die Arme greift. Sogar auf Herrn Kutz hat sie kurzzeitig ein Auge geworfen. Doch der hält es mit Karl Lagerfeld: „Sex ist was für junge Leute.“ Anna: „Und jetzt ist er tot.“

„Dicke Luft“ setzt noch eine Idee unterhaltsamer das fort, was der potenzielle Reihen-Auftakt vor einem Jahr versprach. Damals wurden die Gegensätze lustvoll aufgetürmt, wobei die Konflikte nicht nur dramaturgisch eingesetzt wurden, sondern Helfersyndrom und (Alters-)Starrsinn bereits von den Figuren selbst als Lebensthemen erkannt und angesprochen wurden. Im zweiten Film nun sind die „Kontrahenten“ einen Schritt weiter. Sie haben sich aneinander gewöhnt, ja, sie mögen sich sogar ein bisschen. Jetzt kann die Beziehung weiterwachsen. Aber es gibt eben nicht nur diese Beziehung, es gibt ein Leben davor und es gibt ein paralleles Leben. Und so stellen Freundin, Ex-Mann und Bruder das Verhältnis Vermieter/Untermieter auf den Prüfstand. Für die neue Geschichte bedeutet das: Sie ist vielschichtiger und konzentrierter zugleich. Statt öffentlichem Sozialdiensteinsatz der ehrenamtlichen Telefonseelsorgerin engagiert sich die Heldin nun ausschließlich in eigener Sache. Da treffen zwei gegensätzliche Muster-Exemplare von Mann aufeinander, und da kommt eine zweite Frau ins Spiel, die sich in Notlagen gern mal von Männern helfen lässt, ein Typus, der nicht auszusterben scheint und der nichts mit Annas Frauenbild gemein hat. Trotzdem sind sie Freundinnen, trotzdem verstehen sie sich. Dass der Film in Köln spielt, passt ins Bild. Autor Martin Rauhaus ist kein Mann für Botschaften. Aber auf eine Wahrheit können sich die Figuren in „Dicke Luft“ und die Zuschauer einigen: „Jeder Jeck ist anders“.

Soundtrack: Frank Sinatra („That’s Life“), Dave Brubeck Quartet („Take 5“), Grupo Bip („Guarachar“), KaxTrelash („Tú Y Yo“), Adriano Celentano („Una festa sui prati“), The Doors („Been Down So Long“)

Neben dem narrativen Mehrwert der dichten Geschichte(n), die den Film für (sozialkritische) Themen älterer Menschen öffnet, ist das augenscheinlichste Plus der zweiten Episode von „Anna und ihr Untermieter“ die Besetzung. Katerina Jacob ist keine Schauspielerin, die Kritiker unbedingt auf dem Zettel haben, aber sie ist eine Mittsechzigerin, die einem aktuell nicht in jeder zweiten Wohlfühlfilmreihe begegnet, und sie verkörpert ihre Anna Welsendorf, diese Frau, die ein Teil der Gesellschaft nicht mehr benötigt, ein anderer Teil umso dringender, absolut glaubwürdig. Und obwohl Ernst Stötzner derzeit in sehr vielen Reihen – in ernsteren Rollen („Anna Loos“, „Ostfriesen“-Krimis) am Rande, in eher drollig-komischen Rollen („Nächste Ausfahrt Glück“) im Zentrum – sowie in Einzelstücken („Der König von Köln“, „Tatort – Und immer gewinnt die Nacht“) zu sehen ist, so kann man sich nicht satt sehen an diesem gestandenen Theaterschauspieler, wahrlich einer unserer Besten. Gleiches gilt für den seit Jahrzehnten omnipräsenten Armin Rohde. Sein WW, Willi Wesendorf, leidenschaftlicher Koch, zwanghafte Labertasche („Bist du braun, kriegst du Frauen“) und narzisstischer Traumtänzer, ist eine Rolle wie für ihn geschrieben. Dieses Trio ist ideal, die halbe Miete.

Anna und ihr Untermieter – Dicke LuftFoto: Degeto / Guido Engels
Willi (Armin Rode) kann auch mal nachdenklichere Töne anschlagen. Doch bei ihm weiß man nie, ob Kalkül dahintersteckt. Kurtz (Ernst Stötzner) ist klug genug, das zu durchschauen; aber irgendwie ist er von dem Luftikus auch ein klein wenig fasziniert.

Die andere Hälfte steuert das kongeniale Doppel aus Autor Rauhaus („Familienfest“, „Endlich Witwer“) und Regisseur Ralf Huettner („Vincent will Meer“) bei. Die Handlung bleibt gut im Fluss, denn immer haben die mobilen älteren Herrschaften, zu denen sich – ebenfalls überzeugend – Lisa Kreuzer gesellt, etwas zu regeln. Die visuelle Anmutung ist frisch, sommerlich hell, wie gesagt, es fließt, aber weil ständig etwas passiert, kommt man als Zuschauer kaum dazu, sich Gedanken zur Bildästhetik zu machen. Dafür sind Jakob, Stötzner & Rohde auch schlichtweg zu dominant und die Dialoge zu prägnant, und sie werden ihnen zu perfekt in den Mund gelegt. Beispiele gefällig? „Unterschätzen Sie nie einen Mann, nur weil er Leiter des Ordnungsamtes war“, sagt Kurtz beim ersten Frühstück, als er problemlos Rilkes „Herbsttag“ rezitiert. Das ist kurz, kommt überraschend und gibt beiläufig noch eine wichtige Information zum Untermieter, ohne als Informationsdialog das ästhetische Empfinden des Zuschauers zu beleidigen. „Es könnte Gründe haben, weshalb jemand jemanden nicht erwähnt“, ist auch so ein wunderbarer alltagsnaher One-Liner von Stötzners Figur. Kurz sind aber häufig nicht nur die Sätze von Kurtz, auch Plappermaul Willi äußert sich auch mal nur knapp („Und Sie sind der Kurtz, kurz und bündig, kurz oder lang, Kurzschluss“), was ihn allerdings dennoch als Labersack und Bruder Leichtfuß charakterisiert. Auch Anna, die gern mal ihre Ideale weitergibt, kann’s pointiert. „Kriegt Papa eigentlich Rente?“, fragt die Tochter. Darauf sie: „Wofür denn? Für den Bau von Luftschlössern?“ Ein Dialogsatz von „Herrn Kurtz“ könnte dem Autor Inspirationsquelle für nächste Episoden sein: „Da halte ich es mit Karl Lagerfeld: Sex ist was für junge Leute.“ Das Thema wäre fällig. (Text-Stand: 25.3.2022)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Katarina Jacob, Ernst Stötzner, Armin Rohde, Lisa Kreuzer, Katharina Schlothauer, Andreas Birkner, Camilla Renschke, Hannes Hellmann

Kamera: Thorsten Harms

Szenenbild: Alexander Scherer

Kostüm: Kerstin Westermann

Schnitt: Horst Reiter

Musik: Steffen Britzke

Redaktion: Birgit Titze, Stefan Kruppa

Produktionsfirma: Calypso Entertainment

Produktion: Brit Possardt

Drehbuch: Martin Rauhaus

Regie: Ralf Huettner

Quote: 3,76 Mio. Zuschauer (13,9% MA)

EA: 22.04.2022 20:15 Uhr | ARD

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