Sonja Brunner (Claudia Michelsen), JVA-Beamtin im Männerknast, steckt in einer existentiellen Falle. Nachdem sie bei einem brutalen Ausbruchsversuch als Geisel genommen wurde, ist sie schwer traumatisiert und schafft es nicht mehr, ihren alten Arbeitsplatz zu betreten. Sie lässt sich versetzen und stellt ihren Mann Jens (Matthias Koeberlin) und ihre Ziehtochter (Ruby M. Lichtenberg) mit dieser Entscheidung vor vollendete Tatsachen. Es gibt keine Alternative. Sonja muss funktionieren, sie verdient das Geld in der Familie. Jens ist Hausmann und Autor, bisher ohne Erfolg. Das Klima in der neuen JVA ist angenehmer. Hier legt selbst ein mehrfacher Mörder ein respektvolles menschliches Verhalten ihr gegenüber an den Tag. Später wird jener Robert Sturm (Charly Hübner) sogar eine Art stiller Beschützer, denn Sonja Brunner schliddert in eine gefährliche Abhängigkeit. Von Walter Thiel (Torsten Michaelis), einem Insassen mit Sinn fürs Geschäftliche, lässt sie sich zu kleinen Gefälligkeiten hinreißen. Erst vermittelt er ihr einen günstigen Gebrauchtwagen, später hat er dann die eine oder andere „Bitte“. Je schlechter die finanzielle Lage ihrer Familie, umso größer die Risiken, die die JVA-Beamtin eingeht. Und dann wird auch noch der Gewaltliebhaber & Frauenhasser Michael Zeuner (Ralph Herforth), der sie bei dem Ausbruchsversuch vor einigen Monaten so brutal anging und schwer gedemütigt hat, an Sonjas neuen Arbeitsplatz verlegt. Bald ist ihr Trauma wieder da, nun gepaart mit der Angst, ihre Familie zu enttäuschen oder aufzufliegen.
Die Hauptfigur in dem ARD-Fernsehfilm „Angst in meinem Kopf“ steckt fest. Wie die JVA-Insassen wird auch sie zu einer Gefangenen, weil sie sich in eine aussichtslose Situation hineinmanövriert hat. Sie ist anfangs ziemlich naiv, sie will das Gute im Menschen nicht von vornherein ausschließen, und sie sieht eine soziale Verantwortung für ihren Beruf. „Wir schließen nicht einfach nur die Türen auf und zu, wir versuchen, dass die Menschen wieder auf die Beine kommen.“ Nur einer, ausgerechnet ein Frauenmörder, rechnet ihr diese hehren Motive hoch an – und während zunächst er es ist, der sie um eine Partie Dame und ihre Aufmerksamkeit bittet, ist wenig später sie es, die bei diesem Lebenslänglichen ein offenes Ohr, Nähe und Verständnis sucht. Hatte die Frau nach Zeuners Übergriff jede psychologische Betreuung abgelehnt, so hat sie nun doch noch ihren Seelen-Therapeuten gefunden. „Nichts ist umsonst hier“, diese Lehre gibt Robert Sturm Sonja Brunner mit auf ihren steinigen Weg, da ist es allerdings schon zu spät. So verschieden die beiden auch sind, so unterschiedlich ihre Biographien, in ihrer aktuellen Situation sind sie beinahe Seelenverwandte. Zwei verlorene, einsame Menschen. So offen wie mit diesem Verbrecher kann Sonja Brunner mit ihrem Mann nicht sprechen. Ihre Ehe hat schon bessere Zeiten gesehen – und sie schämt sich offenbar.
„Ich habe zwei Dauerthemen, die mich interessieren, das sind Gewalt und Gesellschaft im Mikrokosmos, die Familie, das Gefängnis. Daran kann ich zeigen und verstehen, wie Gesellschaft funktioniert, wie Menschen miteinander umgehen. Und ich fand es spannend zu gucken, wie Sonja Brunner nach diesem absolut gewalttätigen Erlebnis versucht, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Das sind Sachen, die sind für den normalen Menschen unfassbar. Aber dann passieren sie doch. Es kann uns allen passieren.“ (Thomas Stiller, Buch & Regie)
„Angst in meinem Kopf“ erzählt (s)ein an die Ränder einer Tragödie gebautes Drama mit den Mitteln des Genrefilms. Die Dramaturgie zeigt sich nicht ganz unbeeinflusst vom wenig subtilen Männerknastmilieu. Als narratives System ist die Handlung schlüssig. Wer allerdings nach Realitätsnähe und Plausibilität fragt – der wird über so manches Detail stolpern: die Versetzung des „Tiers“ Zeuner in dieselbe JVA wie die traumatisierte Beamtin und all die überdeutlichen Zeichen, die den Verlauf dieser (Abhängigkeits-und-Korruptions-)Geschichte vorhersehbar machen – der Kolbenfresser, die abgebrochene Zahnkrone, das teure Handy für die Tochter, die Absagen der Buchverlage. Und gelegentlich wird die Situation etwas zu explizit ausgesprochen: So darf die noch nicht angeschlagene Heldin zu Beginn des Films beim Abendessen ihr Berufscredo quasi auf dem Tisch ausbreiten oder später ihr Mann sein inneres Leid nach außen klagen: „Es fühlt sich einfach scheiße an als Mann, nichts für die Familie beisteuern zu können.“ Umso aufregender sind die Momente in der Haftanstalt, wenn Psyche und Physis sich mehr oder weniger ungebremst von den Funktionen der Geschichte Freiräume verschaffen. Die Szenen zwischen Claudia Michelsen und Charly Hübner als vermeintlich in sich ruhender, aber seelisch gespaltener Mörder gehören zu den mitreißendsten Augenblicken des Films. Auch die Situationen, in denen der Checker Thiel die JVA-Beamtin ködert und später perfide unter Druck setzt, besitzen in ihrer Unmittelbarkeit und der Möglichkeit, von einer potenziellen zur handfesten Bedrohung zu werden, ein hohes Maß an Spannung. Und wenn Zeuner sich der „Schließerin“ nähert, dann ist sogleich physische und seelische Gewalt im Spiel. Da ist alles möglich, da bricht sich die (genrehafte) Urkraft des Bösen Bahn und setzt das Opfer unter Schock. Auch der Moment, in dem sich dieses Alpha-Tier seiner Beute nach dem ersten Filmdrittel wieder nähert, ist filmisch gelungen: Gerade noch lobt ein Kollege „den verdammt guten Ruf“ der Neuen, da naht schon – in derselben Einstellung – das Unheil. Vom Freiganggelände schwenkt die Kamera zur Straße, auf dem der Gefangenenbus auf die JVA zugefahren kommt. Und Brunners Gesichtszüge frieren ein.
Auch wenn der Plot von Autor-Regisseur Thomas Stiller („Sie hat es verdient“, „12 Winter“) dramaturgisch durchsichtig ist, so sind doch die schauspielerischen Leistungen umso überzeugender. Claudia Michelsen reißt dieses Drama an sich und gibt dem Zuschauer über weite Strecken die Möglichkeit, die simple Genrestruktur zu vergessen. Ihre Figur ist – anders als in ihren Drama-Paraderollen wie in „Der Turm“, „Grenzgang“ oder „Im Zweifel“ – keine kluge, intellektuelle oder hoch sensitive Frau. Sie begeht einen Fehler nach dem anderen und gerät so in eine verzweifelte Lage. Ihren Druck muss sie größtenteils mit sich selbst ausmachen, was dazu führt, dass Michelsen ihre innere Befindlichkeit „spielen“ muss. Das macht sie gewohnt zurückhaltend und feinnervig. Eine latente Grundnervosität liegt auf ihren Bewegungen, sie verleiht ihrer Verlorenen fahrige Züge – und gelegentlich bringt sie ihre Gesichtszüge eindrucksvoll zum Flattern. Auch Ralph Herforth macht seine Sache gut als Prototyp des gewaltbereiten Frauenhassers, spielt diese psychologielose Figur, die im Grunde nur eine Funktion erfüllt für das ausweglose Drama der Protagonistin, beängstigend. Und Charly Hübner gelingt eine eindringliche Performance, die man als Zuschauer nicht so schnell vergessen wird, gerade auch, weil sie nicht den Anschein macht, eine Performance sein zu wollen, die unvergessen bleiben soll. Und so ist „Angst in meinem Kopf“, diese etwas unausgegorene, aber stilvoll und stoffgemäß angenehm reduziert inszenierte Drama-Genrefilm-Mixtur, ein großer Schauspielerfilm geworden. (Text-Stand: 17.9.2018)