Allein zwischen den Fronten

Justus Johanssen, Hobmeier, Tensing, Nicolai Rohde. Zum Abschuss freigegeben

Foto: ZDF / Henner Besuch
Foto Tilmann P. Gangloff

„Allein zwischen den Fronten“ (ZDF / Rowboat) ist ein herausragend gutes Krimidrama nach wahren Ereignissen: Polizist Jan Vogt (Justus Johanssen) wird bei einer eskalierten Demonstration von einem Stein getroffen, wirft ihn zurück und gilt in der medialen Öffentlichkeit nun als Gewalttäter. Fast dokumentarisch beschreiben Jörg Tensing (Buch) und Nicolai Rohde (Regie) die mühsame Suche einer internen Ermittlerin (Brigitte Hobmeier) nach der Wahrheit. Der sachliche Stil steht in heftigem Kontrast zur spektakulär choreografierten Einsatzszene, als sich die Kamera gemeinsam mit Vogt ins Getümmel stürzt und die Hiebe und Tritte nicht nur ihn, sondern auch das Publikum treffen.

Schon der Auftakt dieses sehr besonderen Krimidramas ist ungewöhnlich, weil die Bilder völlig unspektakulär sind: kein Cliffhanger mit anschließender Rückblende, kein Kameraflug übers Wasser, kein Schwenk vom Himmel auf eine Skyline; einfach bloß ein Mann, der auf einem Trampelpfad durch ein Getreidefeld läuft. Unmittelbar darauf kippt die Stimmung jedoch, als Jan Vogt seine kleine Tochter im letzten Moment von ihrem Rad reißen kann, bevor sie vor ein Auto fährt. Der Einstieg nimmt vorweg, wie einen Tag später eine gleichfalls scheinbar kontrollierte Situation aus dem Ruder läuft: Polizeiobermeister Vogt (Justus Johanssen) ist Gruppenführer einer verschworenen Eingreiftruppe aus Oldenburg. Die Beamten werden eingesetzt, wenn rund um eine Veranstaltung Ausschreitungen erwartet werden. In seinem Drehbuch beschreibt Jörg Tensing, wie es im Rahmen einer friedlichen Kölner Demonstration zu einer wilden Schlägerei kommt: Die Polizisten sollen eine Nebenstraße sichern, in der sich mehrere Privatbanken befinden. Als Jan den Hinweis bekommt, dass eine verdächtige Person möglicherweise einen Molotow-Cocktail dabei hat, stürzt er sich mit seinen Leuten ins Getümmel. Innerhalb von Sekunden gerät die Lage komplett außer Kontrolle: Steine fliegen, Vermummte prügeln mit Holzlatten auf die Beamten ein, Jan wird niedergeschlagen, jemand zerrt ihm den Helm vom Kopf und haut ihm mit der Faust ins Gesicht; dann wird das Bild schwarz.

Allein zwischen den FrontenFoto: ZDF / Henner Besuch
Kluge Rekonstruktion der Ereignisse. Die interne Ermittlerin Charlotte Stauffer (Brigitte Hobmeier) aus Bonn befragt Jan Vogt (Justus Johanssen) streng nach den Vorkommnissen während der Demonstration. Doch seine Amnesie ist ihr verständlich.

Diese sechs Minuten sind dank des Zusammenspiels von Schnitt, Musik und Sounddesign von einer enormen Intensität. Die Kamera ist mittendrin, die Hiebe treffen das Publikum ebenso wie den Beamten. Die Inszenierung dieser perfekt choreografierten und gerade deshalb fast schon quälend langen Eskalation dient jedoch keinem Selbstzweck, sondern der Empathie: Jan Vogt ist unzweifelhaft ein Opfer, kein Täter. Trotzdem ist er fortan das Gesicht der völlig unangemessenen Brutalität, mit der die Polizei vorgegangen ist. Und nicht nur das: Ein Video zeigt, wie er einen Pflasterstein aufhebt und in die Menge wirft. Weil ein Lehrer im Rahmen der Demonstration von einem Stein am Kopf getroffen worden ist und später seinen Verletzungen erliegt, ermittelt eine Bonner Kommissarin (Brigitte Hobmeier) wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Unversehens steht Jan wie ein mittelalterlicher Verbrecher am öffentlichen Pranger, allerdings mit dem Unterschied, dass als Schandbühne heutzutage Online-Medien und die Boulevardpresse dienen.

Formal orientiert sich Tensings Drehbuch nach der actionreichen Demoszene an den Konventionen des Krimigenres: Die interne Ermittlerin wird zur Hauptfigur und versucht durch Befragungen, die Ereignisse zu rekonstruieren. Auf diese Weise wird „Allein zwischen den Fronten“ nun zu einem gänzlich anderen Film: Fortan dominiert die um Rückblenden ergänzte Dialogebene. Nacheinander rücken verschiedene Beteiligte ins Zentrum. Eine spezielle Rolle spielt dabei die Journalistin Aida Issufo (Cynthia Micas). Sie war die Person, in deren Tasche ein „Molli“ vermutet wurde. Dass die Einsatzkräfte angesichts der drohenden Gefahr nicht zimperlich vorgegangen sind, ist nachvollziehbar. Allerdings ist sie von einem Beamten rassistisch beleidigt worden, der Mann hat sie außerdem völlig unnötig mit seinem Gummiknüppel in die Nierengegend geschlagen.

Allein zwischen den FrontenFoto: ZDF / Henner Besuch
Brutaler Polizeieinsatz. In der Tasche der Journalistin (Cynthia Micas) wird ein „Molli“ vermutet. Dass die Einsatzkräfte angesichts der Gefahrenlage nicht zimperlich vorgehen, ist nachvollziehbar, nicht allerdings die rassistischen Beleidigungen ihr gegenüber.

Nicolai Rohde ist ein ausgezeichneter Krimi-Regisseur. Ein Markenzeichen seiner Filme ist die in der Regel vorzügliche Bildgestaltung; mit Kameramann Henner Besuch hat er vor Jahren bereits bei seinen sehenswerten „Julia Durant“-Episoden (Sat.1, 2019) zusammengearbeitet. Abgesehen von der zu großen Teilen aus subjektiver Sicht gefilmten Straßenschlacht wirken die fahlen Bilder diesmal jedoch fast dokumentarisch. Tensings Drehbuch zeichnet sich ohnehin durch eine möglichst realitätsnahe sachliche Schilderung der Ereignisse aus. Dazu passt auch das stark zurückgenommene Spiel von Brigitte Hobmeier. Emotionen sind allein Jan Vogt vorbehalten, der irgendwann nicht mehr weiß, ob er seinen eigenen Erinnerungen trauen kann. Schließlich fühlt er sich wie eine zum Abschuss freigegebene Schießbudenfigur, weil sämtliche Beteiligten eine eigene Agenda verfolgen. Mehrmals unterbricht Rohde den Erzählfluss und lässt sie einen verstohlen wirkenden Seitenblick in die Kamera werfen: Der Einsatzleiter (Pierre Kiwitt) aus dem Kölner Polizeipräsidium wäscht seine Hände in Unschuld, die Journalistin verschweigt kurzerhand, was nicht zu ihrer Version der Wahrheit passt, und selbst Jans Chef (Max Koch) ist nicht so ehrenwert, wie er sich gibt. (Text-Stand: 16.10.2024)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Justus Johannsen, Brigitte Hobmeier, Max Koch, Cynthia Micas, Pierre Kiwitt, Ben Felipe, Malik Blumenthal, Hannah Ehrlichmann, Klara Deutschmann

Kamera: Henner Besuch

Szenenbild: Holger Müller

Kostüm: Anette Schröder

Schnitt: Nils Landmark

Musik: Patrick Kirst

Redaktion: Karina Ulitzsch

Produktionsfirma: Rowboat Film- und Fernsehproduktion

Produktion: Kim Fatheuer, Sam Davis

Drehbuch: Jörg Tensing

Regie: Nicolai Rohde

Quote: 3,37 Mio. Zuschauer (13,1% MA)

EA: 09.11.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 18.11.2024 20:15 Uhr | ZDF

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