Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist

Gerhard Liebmann, Hatzl, Samarovski, Prochaska. Der kleine Muck muckt auf

Foto: ORF / Thimfilm
Foto Rainer Tittelbach

Als in einem Kärntner Dorf eine junge Frau zu Tode kommt und sich der vermeintliche Unfall als Mord erweist, fürchtet der brave Dorfpolizist um sein Ansehen und seine Freundschaften. Die Gemeinschaft sieht in ihm den Verräter und der Mittdreißiger muss erstmals im Leben Farbe bekennen. Andreas Prochaskas Landkrimi „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ lässt sich auch als Porträt eines vermeintlich lächerlichen Mannes lesen, als eine Art verspätete Coming-of-age-Geschichte. Schauplatz: ein Ösi-Biotop, das der „Meister“ ohne Milieu-Realismus zu authentifizieren weiß. Die Filmsprache ist zurückgenommen, die Bilder, die das Leben des bescheidenen Helden spiegeln, besitzen etwas Karges, Asketisches.

Der Unfall war ein Mord – und der Täter stammt aus dem Dorf
Hüttenberg in Kärnten, die 16jährige Dorfschönheit (Jana Thomaschütz) ist in den Schacht des stillgelegten Bergwerks gestürzt. Im weißen Festtagskleid liegt sie da, die Tochter des Landtagsabgeordneten Alois Prantl (Fritz Egger), Genickbruch, nachdem sie gerade noch attraktiver Blickfang beim traditionsreichen Reiftanz gewesen ist. Die ehemalige Bergbaugemeinde trauert. Und der Postenkommandant Hannes Muck (Gerhard Liebmann) ist starr vor Schreck und hat, obwohl er im Wald auf eine Blutspur stößt, bald eine Unfalltheorie parat. In Klagenfurt aber entscheiden sich die Herren für eine Obduktion – und wenig später steht Chefinspektor Plöschberger (Simon Hatzl), ein zynischer, scharfer Hund dem freundlichen Dorfpolizisten gegenüber. Auf dessen Mutmaßungen – vielleicht war’s ja einer der Kleinkriminellen aus dem Jugendheim des Nachbardorfs? – hat das Diktiergerät des Städters die passende Antwort. Auf der Aufnahme schlussfolgert der Klagenfurter Pathologe: „Der Täter muss vom offenen Schacht gewusst haben und er muss die Gegend wie seine Westentasche kennen; der Mörder ist einer aus dem Dorf!“ So viel zur Unfalltheorie.

Wenn du wüsstest, wie schön es hier istFoto: ORF / Thimfilm
Die erste peinliche Situation für Muck. Die im Dorf hoch angesehenen Prantls tragen ihre Tochter zu Grabe. Da kommt der Anruf aus Klagenfurt: Obduktion! Gerhard Liebmann

Wenn die Freunde im Dorf „Schleim“ auf den ewigen Ducker haben
Bald steht dem kleinen Mann in dem großartigen österreichischen Fernsehkrimi „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ der Angstschweiß auf der Stirn. Nicht, weil er vielleicht selbst etwas mit dem Mord zu tun haben könnte, sondern weil er weiß, dass hier bald alle seine „Freundschaften“ auf dem Prüfstand stehen werden und weil er ein „Schisser“ ist oder – wie es sein sich von den körperlichen Wohltaten des Buddhismus kostender Vater (Branko Samarovski) ausdrückt – „imma scho a Ducker war“. Und dann auch noch dieser Chefinspektor, der es genießt, Verdächtige und Zeugen gleichermaßen bis aufs Blut zu provozieren! Alles fällt auf den kleinen Muck zurück. Schleudert ihm anfangs noch der unter Verdacht geratene Dorfwirt (Arthur Klemt) ein verächtliches „auf di hab i a Schleim“ entgegen, sind es wenig später wütende Faustschlage und Fußtritte, die auf den braven Kommandanten niederprasseln, und als er sich schließlich in jener Nacht, in der die Dörfler plötzlich zu wissen glauben, wer der Mörder ist, dem marschierenden Mob entgegenstellt, sammelt er zwar Pluspunkte bei der Heimleiterin Susanne (Ines Honsel), seinem heimlichen Herzblatt, aber seine Stelle ist er dank des Herrn Landtagsabgeordneten erst einmal los.

Authentisch – und doch für Piefke-Ohren weitgehend gut verständlich
Dass die Österreicher nicht nur Krimis in schräger „Kottan“-Tonlage oder es schwarzhumorig wie die Haas-Hader-Brenner-Geschichten können, das weiß man spätestens seit „Spuren des Bösen“. 2014 startete im Alpenland eine ORF-Reihe mit Landkrimis: in Niederösterreich war Nina Proll ermittlungstechnisch zur Stelle, in Vorarlberg Tobias Moretti, im Burgenland Andreas Lust und in der Steiermark drehte Wolfgang Murnberger einen jener typischen Austria-Krimis, die ganz in den regionalen Traditionen, dem Lokalkolorit, dem Brauchtum und der Sprache verwurzelt sind. Auch Andreas Prochaskas „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“, der erste Ösi-Landkrimi, den Arte ausstrahlt, ist im Kärntner Dialekt gedreht (der beispielsweise sehr viel besser für Piefke-Ohren verständlich ist als der Waldvierteldialekt in „Braunschlag“) und die Marktgemeinde Hüttenberg mit der einstigen Eisenverhüttung sowie das Brauchtumsfest, den Hüttenberger Reiftanz, gibt es tatsächlich. Das ist mehr als ein historischer Unterboden, der die Geschichte quasi authentifiziert. Zugleich aber spielt dieser Krimi deutlich im Hier & Jetzt, da fallen nicht – wie ständig im ZDF-Fernsehfilm der Woche – irgendwelche abstrusen Schatten der Vergangenheit auf die Gegenwart, hier zeigt sich das „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ in einer sehr ursprünglichen, aktuellen Ausprägung.

Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist
Noch geht alles seinen traditionellen Gang. Und noch strahlen der Landtagsabgeordnete Alois Prantl (Fritz Egger)
und seine Tochter, so gut es geht. Wenig später ist die junge Frau tot: Genickbruch.

Der Dorfpolizist lässt sich „Eia wochsen“ und sucht die blaue Blume
Herzstück des Films ist Hannes Muck, der, der nie aufmuckt, der an das Gute im Menschen glaubt und zwischenzeitlich die Leute in seiner Heimat nicht mehr zu verstehen glaubt. Mitte 30, in Hüttenberg auf- und offenbar festgewachsen, weil er bequem ist und sich Veränderungen nicht vorstellen kann. Mit Frauen hat er es auch nicht, denn er ist schüchtern und außerdem ist der Heiratsmarkt so gut wie leergefegt in der Marktgemeinde. „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ lässt sich ebenso als Porträt eines vermeintlich lächerlichen kleinen Mannes lesen wie als Krimi. „Loss dia Eia wochsen!“, fährt der Vater zu Beginn des Schlussdrittels seinen Sohn an und der nimmt das wörtlich und brüllt zum ersten Mal zurück. Gerhard Liebmann („Blutgletscher“), zuletzt zweimal Assistent im Münchner „Tatort“, spielt jenen Spätentwickler, dessen Reifeprozess mit der Überführung des Täters kurzgeschlossen wird. Sowohl die Rolle als auch der Schauspieler: ein echter Typ! Und am Ende ist Muck reif dafür, mal was anderes zu sehen als das verkommene Hüttenberg. Die blaue Blume lockt.

Der kleine Muck oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief
Auch dass die Mehrzahl der Darsteller in Deutschland so gut wie unbekannt ist, steht dem Film gut zu Gesicht. Das Fremde, das ästhetisch Befremdliche, spiegelt sich auch in Prochaskas Inszenierung, die auf ländlichen Milieu-Realismus verzichtet, dafür gelegentlich stilisierte, entpsychologisierte (Kamera-)Blicke auf einige Figuren richtet. Eine karge, für des Meisterregisseurs Verhältnisse fast asketische Bildsprache mit zurückhaltendem Score und romantischen Chorgesängen untermalt, „Kärntens schönsten Liedern“, dominiert über weite Strecken den Fernsehfilm, der auch in Kärntener Landkinos zu sehen war, und spiegelt damit eher das dürftige, bescheidene Leben des Helden als das, was sich hinter der geschönten Dorffassade abspielt. Wer treibt es in diesem außergewöhnlichen Coming-of-age-Krimi aus einem typischen Ösi-Biotop mit wem – und wenn ja, wie oft? Wer schaut zu? Wer macht das passende Video dazu? Und welcher Stecher hat ein Stern-Tattoo auf dem Allerwertesten?

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Fernsehfilm

Arte, ORF

Mit Gerhard Liebmann, Simon Hatzl, Branko Samarovski, Fritz Egger, Jana Thomaschütz, Ines Honsel, Manuel Sefciuc, Julian Waldner, Susanne Kubelka, Philine Schmölzer, Michael Glantschnig

Kamera: Thomas Kiennast

Szenenbild: Verena Wagner

Kostüm: Christine Ludwig

Schnitt: Daniel Prochaska

Musik: Stefan Bernheimer

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion

Drehbuch: Stefan Hafner, Thomas Weingartner.

Regie: Andreas Prochaska

EA: 22.01.2016 20:15 Uhr | Arte

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