Eine Mörderin als Hauptfigur: Das war damals, 2014, durchaus kühn von der ARD. Aber der Mut wurde belohnt: Mit „Wendepunkt“ zeigt das „Erste“ nun bereits den 25. „Usedom-Krimi“. Eins der Erfolgsgeheimnisse neben der durchgehend hochwertigen Machart ist die Konzeption der Reihe als Familienfernsehen, nicht in Bezug aufs Publikum, sondern auf die Geschichten. Der Auftakt („Mörderhus“) begann mit der Rückkehr der von Katrin Sass zumeist betont herb verkörperten ehemaligen Staatsanwältin Karin Lossow in jenes Haus, in dem sie ihren untreuen Mann erschossen hatte; und das auch noch mit der Dienstwaffe ihrer Tochter, einer Polizistin. Die ersten sechs Filme bezogen ihren Reiz nicht zuletzt aus den Konflikten zwischen der Mutter und Julia. Nach deren Suspendierung freundete sich Lossow mit der neuen Kommissarin Ellen Norgaard an, die zudem bei ihr einzog. Die Dänin brachte ihre eigene Familiengeschichte mit. Als sie in Mutterschutz ging, gab es erneut einen Wechsel, jetzt übernahm Lossows Neffe Rainer die Ermittlungen, und als ihr Haus abbrannte, zog sie zu Rainer und dessen Partnerin Katharina, ihrer Nach-Nachfolgerin als Staatsanwältin.
Foto: NDR / Oliver Feist
Auf diese Weise war stets garantiert, dass die Drehbücher einen gewissen Fortsetzungs-Charakter hatten. Die Fälle waren ebenfalls oft mindestens so sehr Drama wie Krimi. Das gilt auch für den Jubiläumsfilm, mit dem Dinah Marte Golch und Isabell Serauky ein düsteres und weitgehend in Vergessenheit geratenes Kapitel der „Wende“-Zeit erzählen: Es geht, wie sich schließlich herausstellt, um die sogenannten verlorenen Kinder, Jungen und Mädchen, die in dem Jahr zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung zu Hunderten von ihren Eltern bei der Flucht aus der DDR zurückgelassen worden sind; auch an jenem geschichtsträchtigen 9. November, als die Grenzen geöffnet wurden. Die Beweggründe lassen die Autorinnen allerdings offen. Was wie eine Schwachstelle des Drehbuchs wirkt, hat einen authentischen Hintergrund: Bei ihrer Recherche haben Golch und Serauky keine Stellungnahmen zu diesem ungeheuerlichen Verhalten gefunden. Im Film sagt eine Mutter zwar, niemand habe gewusst, ob die Grenzöffnung womöglich nur vorübergehend sei, aber das erklärt ja nicht, warum die Eltern die Kinder gar nicht erst mitgenommen haben, als sie vom Osten Berlins in den Westen wechselten.
All’ das kann Lossow natürlich nicht ahnen, als sie sich mit „Rücken“ in einem Hotel zur Massage einfindet und von einer Tragödie erfährt: Antonia, die Lebensgefährtin ihres Masseurs Martin Rabe (Lasse Myhr), ist in der Nacht zuvor erschlagen worden. Am Abend schienen die Zukunftsaussichten noch perfekt: Die Frau war Teilhaberin eines Unternehmens zur Entsalzung von Meerwasser, für den nächsten Tag war ein Treffen mit einer potenziellen Investorin geplant. Antonia und Martin hatten Besuch von seinen Eltern und neben ihrer Verlobung noch eine weitere gute Nachricht: Ulrike und Wolfgang Rabe (Julia Jäger, Thomas Bading) wären Großeltern geworden. Dank ihres Besuchs in der Massagepraxis kriegt Lossow hautnah mit, was passiert ist, und natürlich mischt sie sich ein, wenn auch zunächst nicht aus kriminalistischer Neugier: Als sie sieht, wie eine Angestellte des Hotels eine Panikattacke hat, kümmert sie sich um die Frau, die nach anfänglichem Zögern Zutrauen fasst. Für Rainer Witt (Till Firit) gilt Mandy (Anne Haug) allerdings bald als Hauptverdächtige, aber auch Rabes Eltern geraten ins Visier der Ermittlungen, als sich rausstellt, dass die wenig kooperative Mutter Streit mit Antonia hatte und der Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter unschickliche Nachrichten gesendet hat. Auf Seiten des Opfers wird es ebenfalls familiär: Bei der Investorin handelt es sich um Antonias Halbschwester (Katerina Medvedeva); die beiden Frauen hatten ein mehr als schwieriges Verhältnis.
Foto: NDR / Oliver Feist
Die Umsetzung des Drehbuchs durch Regisseurin Maris Pfeiffer ist betont ruhig. Natürlich lebt „Wendepunkt“ nicht zuletzt von der tatsächlich sehr lange offenen Frage, wer Antonia ermordet hat, aber seine innere Spannung verdankt der Film vor allem den emotionalen Verwicklungen. Das gilt auch für die Beziehung von Rainer und Katharina (Milena Dreissig), die daheim nur noch über die Arbeit reden. Die Bildgestaltung (Dominik Berg) ist allerdings sehr gut; die optische Qualität ist ebenso ein Merkmal der Reihe wie die zuverlässig exzellente Musik von Colin Towns oder der gern beiläufig eingestreute trockene Humor des von Rainer Sellien und Jana Julia Roth stets sympathisch leichtfüßig verkörperten uniformierten Polizeiduos.

