Weihnachten einmal anders. Aus gutem Grund brechen die Eltern Gitta (Ulrike Kriener) und Henri (Rainer Bock) mit einer alten Familientradition. Nicht im heimischen Hamburg, sondern in einer Hütte in der wilden Natur Norwegens wollen sie gemeinsam mit ihren erwachsenen Kindern Annika (Katharina Schüttler), Sanne (Inez Bjorg David) und Bastian (Anton Spieker) die besinnlichen Tage verbringen. Die Mutter ist unheilbar krank. Sie weiß es erst seit Kurzem, und sie will es ihren Kindern erst nach dem Fest sagen. Noch ein letztes Mal möchte sie unbeschwert mit ihnen zusammen Weihnachten verbringen – fernab vom Großstadtgrau zuhause. Für die drei kommt Norwegen gar nicht ungelegen. So ist Ärztin Sanne ihre Kollegen-Klette aus der Klinik los, Bastian könnte das herzerwärmende Ambiente nutzen, um nach der letzten gescheiterten Geschäftsidee bei den Eltern um eine weitere Finanzspritze zu bitten, und die Älteste, Annika, Buchhalterin, Ehefrau und Mutter, verspricht sich etwas Abwechslung vom Alltagstrott mit „Göttergatte“ Christoph (Janek Rieke) und ihrem Sohn Simon (Luke Matt Röntgen). Die „Hütte“ entpuppt sich als sehr gemütliches Holzhaus, Schnee liegt nicht zu knapp, und sich den Weihnachtsbaum selbst aus dem Wald zu holen – das hat schon was. Doch wie jedes Jahr brechen auch hier die üblichen Konflikte auf.
Der ZDF-Fernsehfilm „Weihnachten im Schnee“ umgeht elegant das größte Manko deutscher Weihnachtsfernsehfilme. Da glitzern in sehenswerten Dramödien wie „Ein Lächeln nachts um vier“, „Stille Nächte“ oder „Weihnachten für Einsteiger“ die Adventssterne, stehen Tannenbäume in ihrer vollen Pracht, da brutzelt auch schon mal eine Gans feierlich im Ofen, und mitunter werden sogar wahrhaftige Gefühle beim Zuschauer geweckt – doch eines fehlt fast immer: der nötige Schnee. Das prachtvolle Weiß und die urwüchsige Landschaft, die der Ausflug nach Norwegen ermöglicht, sind in dem Film von Till Franzen („Hausbau mit Hindernissen“) nach dem Drehbuch von Claudia Matschulla und Arnd Mayer allerdings nicht dazu da, ein Postkartenidyll zu simulieren. Bildsprache und Musik sind nicht zu sehr auf gefällige Behaglichkeit getrimmt. Das nordisch-winterliche Ambiente besitzt hier allenfalls eine dezent nostalgische Feelgood-Funktion, und lange Zeit dominiert sogar ein realistischer Kamerablick auf die Dinge. Selbst das Motiv „Andere-Länder-andere-Weihnachtssitten“ sorgt allein für einen (be)sinnlichen Rahmen: Wencke Myhre als gutgelaunte Vermieterin gibt beiläufig zwei Christmas-Songs auf Norwegisch zum Besten. Keine Rentiere, keine Schlittenfahrt – und vom norwegischen Weihnachtsessen und dem Um-den-Baum-Tanzen wird nur geredet. Und warum das Ziel Norwegen sein soll, erklärt sich aus der Geschichte: Es sind die magischen Polarlichter, die die sterbenskranke Mutter gern noch sehen möchte, bevor sie abtritt. Diesem Wunsch fügt Wencke Myhres Figur noch eine passende Metapher hinzu: Sie spricht vom „Zauber, der in dein Herz fliegt und es für immer hell macht“.
Im Angesicht eines solchen Naturereignisses und vor allem im Angesicht des Todes erweisen sich die Alltagsprobleme, die bei dieser Familie auf den vorweihnachtlichen Tisch kommen, von einer Sekunde zur nächsten als Banalitäten und Bagatellen. Das Schicksal der Mutter schweißt die Familie deutlich zusammen, die Gemeinsamkeiten werden wiederentdeckt, dieses schwere existentielle Ereignis öffnet gleichzeitig den Blick für andere große Lebensentscheidungen, die einen zwar aus der Komfortzone entlassen mögen, denen aber Glücksmöglichkeiten innewohnen. So könnten Sanne und Bastian ihr unverbindliches Leben, sie ohne Verpflichtung, er ohne Verantwortung, eintauschen gegen ein erwachsenes Abenteuer: die Schwester als Mutter, das Nesthäkchen im Beruf. Mehr Nachdruck verleihen die Autoren dem Wandel von Annika, der zentralen Figur in diesem Ensemblefilm. Sie führt offensichtlich nicht das Leben, das sie sich ersehnt. Jetzt, wo sie die Erfahrung macht, von einem anderen Mann gesehen und begehrt zu werden, gesteht sie sich endlich ein, dass das, was sie und ihren Ehemann verbindet, zu wenig ist für die kommenden Jahre. Dieser lebenskluge Morten (Carsten Börnlund) gibt ihr aber auch das nötige Selbstvertrauen, um sich gegen die Rolle zu wehren, die ihr als Älteste und Vernünftige vor allem von der Mutter seit jeher zugedacht wurde. „Sie bemüht sich so sehr, alles richtig zu machen, und kämpft stetig um die Liebe und Anerkennung ihrer Mutter, so dass sie gar nicht mehr weiß, was sie selber eigentlich will und braucht“, bringt es Katharina Schüttler auf den Punkt. Doch ob ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Mutter zur Rede zu stellen…?
Weshalb bedarf es eigentlich immer menschlicher Krisen, warum muss sich die Welt erst in dramatischen Ausnahmezuständen befinden, damit man die Augen aufmacht und achtsamer mit sich und seinen Liebsten (oder aber auch mit den Ressourcen aller) umgeht? Erst der Schicksalsschlag reißt diese Hamburger Familie aus der Routine. Ein bisschen Moral – jenseits der auf diesem Sendeplatz üblichen Küchenpsychologie und Kalendersprüchen – tut auch mal ganz gut in einem Fernsehfilm. Wenn nicht in der Weihnachtszeit, wann dann!? Und ist es dazu so unpeinlich emotional und intelligent verpackt, lässt man sich das besonders gern gefallen. Denn die Probleme werden hier nicht ausgewalzt, sondern angedeutet, spielerisch variiert und auf eine zwar wenig überraschende, dafür umso liebenswertere Art gelöst. Natürlich ist „Weihnachten im Schnee“ ein Wohlfühlfilm (allerdings mit ein paar Tränen in den Augenwinkeln). Aber im Dezember ist eine solche Tonlage einfach passend. Da wird die Sehnsucht nach einer intakten Familie befriedigt, da wird der Kreislauf des Lebens ebenso beschworen wie die Suche nach dem „authentischen Selbst“, nach dem Leben, das man führen möchte, wenn man sich nur trauen würde. Manch einer mag das als pseudophilosophischen Kitsch abtun, doch so psychologisch stimmig durchdacht die Familien-Konstellation mit den drei erwachsenen Kindern ist und so wie die Botschaften hier von Ulrike Kriener, Rainer Bock, Inez Bjorg David, Anton Spieker und der unvergleichlichen Katharina Schüttler – stets mit einem leicht ironischen Augenzwinkern – präsentiert werden, das ist gut temperiertes Unterhaltungsfernsehen. Und das ist hierzulande eine echte Rarität!