Kein Wunder, dass die ARD-Beschreibung dieses Films mit der Vergangenheit beginnt, denn die war offenbar weitaus interessanter als die Gegenwart: Eine Gräfin aus dem Saarland, heißt es in der Inhaltsangabe, „war in jungen Jahren von den Ideen der 68er-Zeit fasziniert. Sie verließ das Saarland und ihre Liebsten Knall auf Fall und lebte ihre wilden Jahre in Berlin.“ Fünfzig Jahre später kann von „Knall auf Fall“ oder gar Wildheit keine Rede mehr sein, und das nicht nur, weil Gräfin Eva (Eleonore Weisgerber) mittlerweile um die siebzig ist. Da die Vorgeschichte erst viel später in Form ungelenk integrierter Informationsdialoge („Du bist ja, wie wir alle wissen…“) nachgereicht wird, wirkt „Villa Eva“ zunächst wie der zweite Teil eines Films, dessen ersten man verpasst hat: Die Gräfin scheint in einer Art WG mit zwei ähnlich alten Herren zu leben, ein neugieriger Journalist treibt sich auch noch rum, und das Gesinde bemüht sich mit seinen im gewöhnungsbedürftigen rheinfränkischen Dialekt vorgetragenen Auftritten nach Kräften, Heiterkeit zu verbreiten. Das erinnert an Lustspiele aus weit zurückliegenden Jahrzehnten, in denen der Adel durch den Kakao gezogen wurde, während sich die Angestellten durch Mutterwitz und Herzensgüte auszeichnen durften. Der Chef der Kleinstadtpolizei ist selbstverständlich eine unfähige Witzfigur.
Auch sonst ist „Villa Eva“ reichlich angestaubt, und das nicht nur wegen Sätzen wie „Hast du ’nen Triller unterm Pony?!“; die Inszenierung mutet gleichfalls eher altbacken an. Der Film ist zwar mit Unterstützung der ARD-Tochter Degeto zustande gekommen, ansonsten aber eine der seltenen Eigenproduktionen des Saarländischen Rundfunks, dessen Engagement in dieser Hinsicht meist auf einen „Tatort“ pro Jahr beschränkt ist. Womöglich war die ARD ganz froh, die Komödie im Doppelpack mit „Club der einsamen Herzen“ zeigen zu können, schließlich geht es beide Male um ältere Herrschaften. Selbst den seit einiger Zeit wieder weniger anspruchsvollen Qualitätsmaßstäben des Freitagsfilms im „Ersten“ hätte dieses misslungene Boulevardstück nicht genügt.
„Villa Eva“ beginnt mit einem Zoom auf ein Album und ein Foto des Anwesens. Unmerklich geht der Zoom in einen Kameraflug über; das ist in Sachen Bildgestaltung (Heinz Wehsling) der einzige originelle Moment des Films (Regie: Michi Riebl). Die Handlung verzichtet auf jedwede Einführung, doch der Auftakt lässt bereits erahnen, wie der Humor der Geschichte funktioniert: Eva schimpft mit ihrem Reisewecker, der sie im Stich gelassen hat, und schüttet später statt Milch Orangensaft in ihren Morgenkaffee; derweil versucht eine Frau ebenso ächzend wie vergeblich, sich von einem korpulenten Mann zu befreien, dessen totes Gewicht auf ihr lastet. Bei der Dame handelt es sich um die österreichische Köchin (Susi Stach) des Hauses, beim Herrn zum Glück nur um ein Nachtmahr. Evas Probleme sind dagegen sehr real: Ihr verblichener Vater hat sein Vermögen einer Stiftung vermacht und Eva bloß das Anwesen hinterlassen; wenn sie nicht jedes Jahr eine stattliche Summe in die Stiftung einzahlt, verliert sie das Haus. Zum Sachwalter hat der alte Graf ausgerechnet ihre Jugendliebe erkoren: Als Eva einst nach Berlin gezogen ist, um ihre Sturm-und-Drang-Phase auszuleben, ist Philipp (Reiner Schöne) grollend im Saarland geblieben, weil er keine Lust auf Kommune und linke Schwärmereien hatte. Um den jährlichen Obulus zahlen zu können, hat die Gräfin aus dem alten Anwesen ein Hotel gemacht, das eher an eine Seniorenresidenz erinnert; hier leben auch ihr ehemaliger Anwalt (Oliver Nägele) und ihr früherer Arzt (Paul Faßnacht). Beide buhlen um ihre Gunst, aber selbstredend gehört ihr Herz insgeheim nach wie vor Philipp. Der Eremit ist die interessanteste Figur des Films, neigt aber wie Eva zu nervigen Selbstgesprächen.
Was den handelnden Personen noch fehlt, ist eine Geschichte, und für die sorgt Ahmad (Deniz Cooper) vom örtlichen deutsch-persischen Kulturverein: Ein Lyriker hat ihm einen Koffer mit Spendengeldern und wichtigen Unterlagen anvertraut, darunter auch eine Liste mit Regime-Gegnern. Ahmad wird unfreiwillig Evas Gast, als er ihr auf der Flucht vor iranischen Agenten vors Auto läuft und das Gedächtnis verliert. Sein Geld kann sie gut gebrauchen, aber die Agenten geben nicht auf, und so kommt es schließlich zur einer Verfolgungs-„Jagd“, bei der sich ausgerechnet der von Eva gern als „Waldschrat“ diskreditierte Philipp als Retter in der Not erweist, weil er als Hüter des Waldes die Umgebung kennt wie seine Westentasche.
Der Österreicher Rupert Henning gehört unter anderem zu den Schöpfern der ORF-Kultserie „Vier Frauen und ein Todesfall“ und hat für den „Tatort“ aus Wien einige gute Drehbücher geschrieben; „Virus“ zum Beispiel war nicht nur ein fesselnder Krimi, sondern auch ein wunderbares Beispiel für die österreichische Schmähkultur. Henning arbeitet als Autor oft mit Uli Brée zusammen, und wenn ihre Vorlagen von Wolfgang Murnberger verfilmt werden, sind die Ergebnisse – etwa der Öko-Thriller „Bauernopfer“ (2011) oder die Kunstfälscherkomödie „Alles Schwindel“ (2013) – in der Regel sehenswert. Auch Regisseur Michi Riebl, ebenfalls Österreicher, hat seine besten Filme nach Vorlagen von Brée gedreht, darunter ein Wiener „Tatort“ mit dem treffenden Titel „Sternschnuppe“, eine grimmige Abrechnung mit Castingshows. Ähnlich gut war Riebls vergnügliche Öko-Komödie „Der Wettbewerb“ mit dem Ehepaar Krassnitzer/Kramer, weil er die Handlung mit großer Freude an Slapstick und Situationskomik umgesetzt hat. Umso seltsamer, dass „Villa Eva“ überhaupt nicht funktioniert. Die Darsteller agieren ausnahmslos wie im Theater, die Dialoge sind lebensfern, die Umsetzung entbehrt jeder inneren Spannung, die Mundartmomente lassen das Stück wie eine peinliche Produktion aus dem dritten Programm wirken. Ihren „Witz“ bezieht die Handlung vor allem aus der Tatsache, dass Eva keinen Führerschein und einen entsprechend halsbrecherischen Fahrstil hat, oder aus typischen Bühnenscherzen: Wenn ein Gästepaar aus Berlin, das natürlich berlinern muss, das Nachttischlicht löscht, geht die Stehlampe an; und so weiter. Unterm Strich ist es schade um die Zeit. Wer trotzdem nach etwas Gutem Ausschau halten möchte, wird sich noch am ehesten über die schönen Herbstbilder freuen.