Die junge Dorfpolizistin Ulli (Julia Franz Richter) tritt mit einem gelben Regenmantel bekleidet in den überschwemmten Keller eines alten Hauses im niederösterreichischen Krumau am Kamp. Draußen prasselt der Regen, im Hintergrund hört man eine Frau „Heidschi Bumbeidschi“ singen. Die Feuerwehr hat beim Auspumpen die skelettierten Überreste dreier Säuglinge entdeckt. Die beiden Mädchen und der Bub sind gleich nach der Geburt erstickt und an Ort und Stelle verscharrt worden. Die Kindstode liegen mehr als zehn Jahre zurück. Das Haus war lange unbewohnt, davor lebte dort die Familie Trummler. Die Mutter zog weg, nachdem erst ihre elfjährige Tochter Claudia spurlos verschwand und danach ihr Mann Selbstmord beging. Jetzt hat ein schwuler Arzt (Manuel Rubey) aus Wien das Haus gekauft: „Ich weiß gar nicht, ob ich da überhaupt noch leben will“, sagt er als er von dem grausigen Fund erfährt. Der eher unerfahrenen, aber hartnäckigen Polizistin Ulli wird Marion Reiter (Regina Fritsch) vom Morddezernat St. Pölten zur Seite gestellt. Die ist forsch und fordernd, bevorzugt einen rauhen Ton – auch im Umgang mit ihren Kollegen: „Wenn sie bei der Polizei mal mehr machen wollen, als nur Kaffee holen“, sagt sie zu Ulli, „dann müssen sie sich ein bisschen mehr anstrengen … und zwar doppelt soviel wie der junge Kollege“.
Während Ulli und Marion Reiter immer tiefer in die dunklen Familiengeheimnisse der Trummlers eindringen, bezieht der neue Eigentümer, Benjamin Ludwig, mit seinem Lebensgefährten Matthias (Laurence Rupp) das verwunschene, im Dorf als „verflucht“ verschrieene Haus. Die beiden scheint die makabre Vorgeschichte zunächst nicht zu stören, aber schon bald holen auch sie die Schatten der Vergangenheit ein. Denn Ulli gelingt es, Marlene (Susanne Michel), die Mutter der verschwundenen Claudia, aufzuspüren. Die wird unter ihrem Mädchenname Engelmayer in der Psychiatrie behandelt und gibt bald zu, die Kinder nach der Geburt getötet zu haben. Für Ermittlerin Reiter ist der Fall damit gelöst, doch Ulli sucht weiter nach Claudia. Sie befragt deren ehemaligen Lehrer Deisenberger (Rainer Doppler), der – wie sich herausstellt – aus dem Schuldienst entlassen wurde, weil er die Nähe zu Schülerinnen gesucht hat. Bald hat die Polizistin, die nach zwei Fehlgeburten erneut schwanger ist und daher zusätzlich emotional mitgenommen scheint, eine Spur.
Für Marie Kreutzer ist es die „Landkrimi“-Premiere. Die Regisseurin und Drehbuchautorin war 2019 mit ihrem Kinofilm „Der Boden unter den Füßen“ im Wettbewerb der Berlinale vertreten und drehte fürs Fernsehen zuletzt die wunderbare Stadtkomödie „Die Notlüge“ von (und mit) Pia Hierzegger. Kreutzer hat mit „Vier“ keinen klassischen Krimi inszeniert. Die Kindstötungen liegen lange zurück, spielen auch nur eine untergeordnete Rolle und werden relativ früh aufgeklärt. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Rätsel um ein vor 20 Jahren verschwundenes Mädchen, das die hartnäckige Polizistin quasi im Alleingang lösen will.
„Vier“ ist der zweite Niederösterreich-Fall der Landkrimi-Reihe. Der erste, „Die Frau mit dem Schuh“, bildete 2014 den Auftakt zu der arrivierten und hoch angesehenen Landkrimi-Reihe. Mittlerweile sind mehr als 20 Filme, verortet in den verschiedenen österreichischen Bundesländern und Landschaften, mit unterschiedlichsten filmischen Handschriften entstanden. 2014 spielten noch Nina Proll und Karl Fischer, jetzt bilden Julia Franz Richter und Regina Fritsch das Ermittler-Duo. In der Waldviertel-Landschaft mit ihrer düsteren Kühle bekommen sie es mit einem Haus mit schrecklicher Vergangenheit, einem spurlos verschwundenen Mädchen und einem verhängnisvollen Verdacht zu tun. Klingt nach einem schweren Stoff. Ist es auch, doch Marie Kreuzer gelingt es, mit den kleinen lokalen Petitessen das Ganze ein wenig aufzulockern. Wenn die Bedienung im Dorfcafe zum Stammkunden sagt: „Mögen’s noch einen Verlängerten?“, dann antwortet der trocken: „In zehn, 15 Minuten fragst mich nochmal, dann geht das wieder mit dem Blutdruck“. Ein bisschen Schmäh muss sein. Nur auf den ersten Blick geht es der Autor-Regisseurin um einen Krimifall, in den Mittelpunkt ihres Erzählens stellt sie das darunterliegende menschliche Drama um getötete, verlorene und verschwundene Kinder. Ungeliebt die einen, ersehnt das andere (von der schwangeren Ulli), und ein Kind mit zwei Geschlechtern, über das die Mutter ganz nüchtern urteilt: „Ein halbes Mädchen ist besser als ein halber Bub, ein Stammhalter muss ohne Fehler sein“.
Ein starkes Element, das die düstere Atmosphäre des Films einfängt, ist die Musik. Sie stammt von dem norwegischen Schauspieler und Filmkomponisten Kyrre Kvam. Der hat auch die Musik zu Serien-Hits wie „Braunschlag“ und „Andere Eltern“ sowie Krimis von „Tatort“ bis „Landkrimi“ komponiert. Zu Beginn lässt er Caroline Frank das Kinder-Wiegenlied „Heidschi Bumbeidschi“ singen, am Ende leiht er dem Lied seine Stimme. Und auch die Version von „Take on me“ interpretiert er sehr markant. Die Krönung des Films ist das Ensemble: Manuel Rubey, gerade im Landkrimi „Flammenmädchen“ als Kommissar zu sehen, mimt den schwulen Arzt aus Wien, als dessen Lebensgefährte liefert Laurence Rupp („Barbaren“) eine beeindruckende Performance. Fein und nuanciert spielt er jenen Matthias, der ein Geheimnis in sich trägt und im Lauf des Films immer mehr in das Zentrum des Geschehens rückt. Und Julia Franz Richter und Regina Fritsch bilden ein erfrischendes Ermittler-Doppel.