Der deutsche Ordnungsliebhaber und die attraktiv-flippige Holländerin
Raus aus dem Kleinstadtmief, rein in die Metropole mit Herz. Anwalt Max (Vladimir Burlakov) hat sein Leben in Kassel hinter sich gelassen, um in Amsterdam neu durchzustarten. Es passt ihm gar nicht, dass ihn seine kleinkarierten Eltern, der penetrante Herbert (Hans-Joachim Heist) und die mit dem Gatten allzu geduldige Dorothea (Rita Russek), ausgerechnet jetzt besuchen, um mit ihm seinen anstehenden 30. Geburtstag zu feiern. Denn sein Chef (Raymond Thiry) hat ihm ein Großprojekt anvertraut – mit der Empfehlung obendrauf: „kein Privatleben mehr.“ Die Eltern, die sowieso nur nerven und ihn zur Rückkehr in die Heimat überreden wollen, kann er ja noch guten Herzens versetzen, mit Sophie (Bracha van Doesburgh) aber, der herrlich unkonventionellen jungen Frau, die er am Ankunftstag seiner Eltern in einem Club kennenlernte, geht das nicht so einfach. Und er will es auch gar nicht. Denn diese Frau hat alles, was er aus seinem bisherigen Leben, das er ganz nach dem Willen der Eltern ausrichtete, nicht kennt. Kein Wunder, dass sich Papa Herbert herausgefordert sieht, den Jungen auf den Pfad der deutschen Tugend zurückzuholen: Diese Frau, die „Brote schmiert“ für ihren Lebensunterhalt, die seinen Sohn mittags zum Sex überredet, auf einem Hausboot wohnt in einer WG mit ihrer Schwester und deren Partnerin, die auch noch ein Baby von einem schwulen Freund haben, nein, das kann nicht die Richtige sein für den lieben Maxi! Zu allem Überfluss fährt dieser Haustyrann – unbekannterweise – auch noch Sophies Fahrrad fahrenden Vater (Reinout Bussemaker) mit seinem geliebten Auto über den Haufen.
Thomas Kirdorf schreibt seit 1990 Drehbücher, mal einen Beziehungsthriller („Eine mörderische Liebe“, 1995), mal eine Krimi-Komödie („Der Coup“, 1997, mit Heinz Schubert), ansonsten fast nur einrassige Komödien. Anfangs gut & zeitgeistig à la „Hausmänner“ (1991) und „5 Zimmer, Küche, Bad“ (1992, mit Waltz), zwischendurch auch mal degetoesk belanglos („Die göttliche Sophie“, 2009), immerhin Grimme-Preis-nominiert („Der kleine Mann“, 2001, mit Korittke) und zuletzt inklusive „Verliebt in Amsterdam“ mit drei sehr guten Geschichten: „Keine Ehe ohne Pause“ (2016) & „Das beste Stück vom Braten“ (2016)
Mehr ein Film über das sich Verlieben als eine klassische Romantic Comedy
„Verliebt in Amsterdam“ erzählt, wie es bereits der einfache und absolut treffende Titel verrät, eine Liebesgeschichte. Der Film hält sich erfreulicherweise nicht an das reichlich abgenutzte Romantic-Comedy-Muster à la Sat 1, bei dem ein Paar häufig lange braucht, um sich „riechen“ zu können, bevor im letzten Drittel die Beziehung wieder infrage gestellt wird, damit sich am Ende alle über das Happy End so richtig freuen zu können. Komödienautor Thomas Kirdorf, der in über 25 Jahren für so manche Perle des Genres sorgte, variiert den Handlungsverlauf dramaturgisch klug und insgesamt überaus lebensnah: Er entwirft die Liebe auf den ersten Blick in einer sehr modernen, aufgeklärten Version. Der deutsche Ordnungsliebhaber, ganz Sohn seiner Spießereltern, verguckt sich in die flippige, leicht chaotische Holländerin – weil sie so ganz anders ist als das, was er bisher für normal hielt. Diese Frau zieht ihn magisch an. Für Sophie steht zunächst mehr der Spaß-Faktor im Vordergrund. Auch wenn das Thema Sex komödiantisch eingesetzt wird (ein sehr komisches Missverständnis macht Papa Herbert glauben, sein Sohn bezahle Sophie mindestens fürs Nacktputzen), so erfährt es wohl mit Hinblick auf den Degeto-Freitagssendetermin keine ernsthafte Vertiefung. Allein das Funkeln in Sophies Augen nach der ersten Nacht und der Hinweis auf die Jugend des Lovers deuten an, was die in Liebesdingen nach einer großen Enttäuschung vorsichtig gewordene Holländerin sich von der Beziehung – oder besser Affäre? – verspricht. Liebe passiert selten ohne Grund, auch wenn einem Kitschfilme etwas anderes vormachen wollen. „Verliebt in Amsterdam“ macht deutlich, dass das sich Verlieben wesentlich von der Lebensphase abhängig ist, in der man sich befindet. Das unterscheidet den Film von den ZDF-„Herzkino“-Movies, insbesondere denen von der Pilcher-Sadlo-Stange.
„Das Drehbuch hat mich vor allem deswegen überzeugt, weil hier eine Liebesgeschichte so erzählt wird, wie sie im Leben tatsächlich passieren könnte, auf eine wunderschöne tragikomische Art und Weise und meiner Meinung nach absolut unprätentiös.“ (Vladimir Burlakov)
„Sophie ist eine starke Persönlichkeit und kommt gut alleine zurecht. Vor einiger Zeit war ich ihr sehr ähnlich. Mit 17 bin ich um die Welt gereist, habe als Model gearbeitet, in Paris, London und New York gelebt. Ich musste auf mich selber aufpassen und habe dieses Abenteuer geliebt.“ (Bracha van Doesburgh)
Regie, Bildgestaltung, Licht & die coole Heimeligkeit der Grachtenstadt
Sogar noch einen Tick überzeugender als die (lebens)kluge dramaturgische Logistik, die das Drehbuch vorgibt, ist das, was man als Zuschauer unmittelbar wahrnimmt von diesem bezaubernd sinnlichen Film. „Verliebt in Amsterdam“ lebt von seinen Situationen und der Nähe zum (luftigen) Alltag, den Bildgestalter Jörg Widmer unaufdringlich und in natürlich flüssigen Kamerabewegungen eingefangen hat. Widmer und Regisseur Florian Froschmayer („Süßer September“) arbeiten viel mit visuellen Kontrasten: Den freundlichen Tagesbildern, die eine sommerlich offene Stadt präsentieren, deren Flair wunderbar zur Geschichte passt, stehen stimmungsvolle Abend- und Nachtaufnahmen der cool-heimeligen Grachtenstadt gegenüber. Da hat auch Valerie Bloom, die Oberbeleuchterin, sichtbar vorzügliche Arbeit geleistet. Bilder wie Erzählfluss besitzen – besonders zu Beginn – etwas beiläufig Lakonisches. Die Filmsprache spiegelt quasi das Erzählte: Liebe passiert, irgendwie. Und alle Gewerke sind deutlich einer frischen Anmutung verpflichtet. Die filmische Auflösung des Kennlernabends des jungen Paares besitzt fast schon Kinoqualität: die entzückende Annäherung während eines Live-Konzerts, die Bootsfahrt bei Nacht, der Absacker auf dem Hausboot und das erotische Vorspiel im Bett – wann hat man dieses an sich simple Kennlernritual schon mal so aufregend, so verspielt und sexy in einem deutschen Fernsehfilm erzählt bekommen?! Schön, dass ARD und Degeto wenigstens im Frühjahr thematisch und tonlagentechnisch etwas wagemutiger sind als im Herbst und Winter, wo vornehmlich ja die älteren Zielgruppen bedient werden.
Kameramann Jörg Widmer beeindruckt durch die Bandbreite seiner bisherigen Arbeiten. Er zeichnete verantwortlich für die Bildgestaltung von drei frühen „Tatort“-Episoden mit Maria Furtwängler, drehte die Event-Zweiteiler „Die Frau vom Checkpoint Charly“ & „Die Gustloff“, und seine sinnlich-dokumentarischen Qualitäten wusste Wim Wenders für „Buena Vista Social Club“ und „Pina“ zu nutzen. Zuletzt verlieh er den Fernseh(krimi)dramen „Im Namen meines Sohnes“ und „Kommissarin Louise Boni – Jäger in der Nacht“ einen realistischen Look.
Ein Paar, das alle Sympathien besitzt, und zwei Schauspieler zum Verlieben
Diese Liebe auf den ersten Blick könnte sich leicht auch auf den Zuschauer übertragen. Vladimir Burlakov und Bracha van Doesburgh sind zwei, denen man gern durch Amsterdam folgt: ein Pärchen zum Verlieben. „Die unordentlichste Frau Hollands und der Deutsche mit dem Handstaubsauger“, witzelt Sophies Schwester – auch diese Wesensarten nimmt man den beiden Schauspielern ab: hier Burlakov mit adretter Kurzhaarfrisur und die Verunsicherung ob des ständigen Zwiespalts zwischen Pflicht und Neigung ins Gesicht geschrieben, dort van Doesburgh, dank Maske und Kostüm mit vielen hübschen Ausdrucksnuancen, süß die Frisur, süß der Akzent. Beide Menschentypen kennt man aus der Realität, in Unterhaltungs-Fernsehfilmen werden sie allerdings selten so präzise gezeichnet; lieber pumpt man, anstatt die Charaktere sich entfalten zu lassen, vordergründige Handlung in die Komödie, und läuft damit Gefahr, die Figuren klischeehaft wirken zu lassen. In „Verliebt in Amsterdam“ gibt es keine fadenscheinigen Nebenkriegsschauplätze; auch die Nebenhandlungen entspringen dem Alltag: Die Familie der Helden, die Baumanns aus Kassel & Sophies Vater Herr de Jong, übernehmen den B- und C-Plot, die Kirdorf geschickt miteinander verschränkt; so können sie ihren Einfluss auf die Liebesgeschichte geltend machen. Der Hauptreiz entsteht aber nicht aus den Verwicklungen der Story, sondern aus der Verbindung des Paares, der Chemie zwischen den beiden Schauspielern. Und weil die dargestellte Beziehung inklusive erotischer Subtext glaubwürdig & nachvollziehbar erscheint, hat man bei den persönlichen Gesprächen nie den Eindruck, hier würden jetzt handlungswichtige Infos nachgereicht, sondern man befindet sich auf Augenhöhe mit den Figuren und ist mittendrin in der Geschichte. Und weil das alles so stimmig wirkt, lässt sich auch der überraschend spontane, aber zu erwartende Lernprozess des megaunsensiblen Herbert und die kurze Versöhnungsarie hinnehmen, bevor dieser liebenswerte Film nach einer für TV-Verhältnisse eindrucksvollen Nacht-&-Nebelaktion unter der „Magere Bruck“ sein augenzwinkernd herzliches Ende findet. (Text-Stand: 28.3.2017)