Die launige, gut getimte Aufweichung zementierter Rollenmuster ist erfolgreich
Das war mal eine gute Idee, in der TV-Hoch-Zeit des sogenannten „Mutter Teresa“-Genres einen Mann in die weibliche Phalanx der Helfercharaktere reinzulassen. Dazu noch einen bayerischen Pfundskerl wie diesen Toni Hasler. Der Mann um die 40 ist Hebamme. So heißt der Berufsstand auch für Männer (nicht etwa „Hebammerich“). Bei ihrem Start im Februar 2019 stieß die ARD-Reihe auf gute Resonanz: Knapp 4,5 Millionen Zuschauer verfolgten die beiden sympathischen Wohlfühlkomödien, die sich besonders mit der launigen und gut getimten Aufweichung zementierter Rollenmuster hervortat. Selbst die Qualitätspresse war angetan: „Im Detail wirkt das Miteinander der Figuren erstaunlich realistisch und von feinem Humor durchzogen, der auch ein wenig Geist und Atmosphäre des Handlungsortes München einfängt“, hieß es in der Süddeutschen Zeitung, sogar „eine Bartspitze Helmut Dietls“ wurde da entdeckt. „Das kann sich sehr gut sehen lassen“, urteilte auch die im U-Genre sonst so gestrenge FAZ. Auch bei den Programmzeitschriften ging der Daumen nach oben. Und Tilmann P. Gangloff schrieb auf tittelbach.tv: „Nachdem das konservative Publikum Frauen auch im Fernsehen in typischen Männerberufen akzeptiert hat, ist es an der Zeit, Männer in typischen Frauenberufen zu emanzipieren.“ Alle loben die unaufgeregte Art der Reihe, aber auch Leo Reisinger spielt Toni locker vom Hocker, ähm, vom Gymnastikball natürlich. Und so zieht Gangloff Bilanz: „Während die Frauen auf dem besten Weg zur Seligsprechung sind, macht Toni einfach seine Arbeit; ein Heiliger will er offenbar ohnehin nicht sein.“
Erzählt werden keine typischen Geburtsfälle: Die Beziehungen stehen im Fokus
Ein gutes Jahr später stehen nun zwei neue Filme mit dem unverstellten und unbestechlichen Toni auf dem Programm. Wieder mit dabei sind seine Praxiskollegin und „heimliche“ Liebe, Frauenärztin Luise (Wolke Hegenbarth), sein bester Kumpel und WG-Mitbewohner Franzl (Frederic Linkemann), Tonis Ex Hanna (Kathrin von Steinburg), ihres Zeichens Anwältin, und seine Ex-Chefin Dr. Evi Höllriegel (Juliane Köhler), die diesmal eine sympathischere Seite ihrer Wechseljahre ausleben darf. In „Sündenbock“ bekommt der aufopferungsvolle Entbindungspfleger eine Anklage wegen grob fahrlässiger Körperverletzung an den Hals. Die Geburt war eine Notsituation. Kein Kreißsaal war frei, und so musste Toni das Baby von Fanny (Sophia Schober) und Nico (Sebastian Fritz) bei einer nächtlichen Hausgeburt allein holen – und das bei einer Beckenendlage. Einige Tage später stellt der Hausarzt bei dem Neugeborenen zwei Rippenbrüche fest. Der Vater der jungen Mutter (Heinz-Josef Braun), ein eher unangenehmer Zeitgenosse, zeigt Toni an, woraufhin die Polizei Ermittlungen aufnimmt. Erzählt wird hier kein typischer Fall aus der Geburtspraxis, der an Plot-Wendungen reiche Film zeigt vielmehr, wie sehr die jungen Eltern von dem Kind und dessen gesundheitlicher Beeinträchtigung überfordert sind. In solchen Fällen sorgt ein Sündenbock für Entlastung; in diesem Film sind es gleich zwei. Das „Geheimnis“, nachdem es entschlüsselt wurde, wirkt ein bisschen ausgedacht. Auch die szenische Auflösung sorgt für einen Bruch mit der lockeren Tonart des Films: Im Stile eines Heimatdramas stehen sich alle Beteiligten in der guten Stube des Brauerei-Königs auf den Füßen, bevor jeder seinen entscheidenden Satz sagen darf.
Foto: Degeto / Raymond Roemke
Das Herzstück sind die Schauspieler: Reisinger, Hegenbarth, Linkemann & Köhler
Dennoch bleibt „Sündenbock“ weitgehend Komödie und macht großen Spaß. Die offenbar unglückliche Verliebtheit der männlichen Hebamme erfährt eine ungewöhnliche Wendung, als Luise Toni als möglichen Erzeuger ihres Kindes ins Auge fasst. „Kein Sex, nur Samen“, beruhigt sie ihn sofort. Ein Heiratsantrag wäre ihm lieber gewesen. Komödiantisch hält vor allem die Männerfreundschaft zwischen Toni und seinem Mitbewohner Franzl das, was sie schon zum Auftakt versprach. Leo Reisinger und auch Frederic Linkemann verkörpern ihre Jungmänner auf dem Weg ins verspätete Erwachsenenleben authentisch – sprich: mit viel Mundart und gelegentlich köstlichem Herumgedruckse. Im Spiel miteinander scheinen beide die Pause als (komisches) rhetorisches Mittel regelrecht zu kultivieren. Komödiantisch große Klasse ist einmal mehr auch Juliane Köhler, deren Auftritte in den beiden Filmen an ihre Rolle aus Doris Dörries „Klimawechsel“ erinnern. Tragik und Slapstick gehen bei ihr Hand in Hand: „Es fühlt sich so an, als würde ich mich auflösen – als Frau“, sagt sie – und ihre Ärztin hat da was für sie: ein Aphrodisiakum. Später sieht man, wie Luise das Wundermittel-Fläschchen mit Wasser auffüllt. Der Placebo-Effekt beschert der verzweifelten Evi schließlich einen 15 Jahre jüngeren Lover – ausgerechnet den Franzl. Für den Dating-müden ist es Liebe auf den ersten Blick. Zum Thema Partnervermittlung hat im Übrigen auch Tonis Ex-Frau, die ihn juristisch mit harter Hand vertritt, ein Schmankerl parat: „Du fühlst dich wie so a Stück Fleisch in der Auslage beim Metzger, aber nicht wie so ein frisch geschlachtetes, saftiges Medaillon, na, na, eher wie so ein altabgehangenes Hüftsteak von gestern, das so am Rand liegt, reduziert.“
Drei ist im Leben oft einer zu viel – in einer (beiläufig-lockeren) Komödie nicht!
Mag die Makrodramaturgie der Reihe auch etwas grobgerastert sein, so ist es doch clever, wie Plot-Motive und Figuren narrativ miteinander verbunden werden. Das zeigt sich dann auch immer wieder in den intelligent aufgelösten Szenen. So setzen die Autoren, der 31jährige Sebastian Stojetz (Webserie „Der Lack ist ab“) und Sibylle Tafel (auch Regie), häufig auf Dreierkonstellationen – was sich vor allem komödiantisch auszahlt. So ist oft noch ein Dritter dabei, der das „Gespräch“ kommentieren kann – und sei es nur mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck wie Linkemanns Franzl, während Toni für seine Ex die Problemgeburt rekonstruiert (was ja eine eher komödienferne Situation ist). Einmal gibt es einen Moment, in dem Toni und Luise etwas Intimes zu bereden haben; da aber die Sprechstundenhilfe (Soogi Kang) neugierig um sie herumschwirrt, müssen sie auf eine indirekte, nicht unkomische Art der Kommunikation ausweichen. Im zweiten Film wird der dritte Blick häufiger fürs Drama genutzt: Da gibt es einen Streit zwischen zwei Männern und eine (verwunderte) Frau ist Augenzeugin. Ein anderes Mal küssen sich zwei, und es gibt einen unsichtbaren Dritten.
Foto: Degeto / Jacqueline Krause-Burberg
Es gibt nachhaltige Störfaktoren für die „Freundschaft“ von Ärztin und Hebamme
Auch wenn in „Sündenbock“ die liebenswerte Titelfigur von dem Problemfall unmittelbar betroffen ist, so dürfte die Geschichte von „Eine runde Sache“ dem Zuschauer mindestens genauso nahe gehen. Das liegt auch daran, dass es in diesem, dem insgesamt vierten Film zwei bemerkenswerte, stark besetzte Episodenhauptfiguren gibt: den Star-Fußballer Walli (Artjom Gilz), dessen Frau (Jessica Matzig) von Toni bei der Nachversorgung tatkräftig unterstützt wird, und Wallis Mentor, den Vereinsfunktionär Leo Attinger (Marcus Mittermeier), der auch als der Mann, der Luises Herz erobert hat, ein entscheidender Störfaktor für die „Freundschaft“ von Ärztin und Hebamme sein wird. Das führt soweit, dass die Zusammenarbeit der beiden auf der Kippe steht. Vielleicht ist es ja mehr als nur Eifersucht, die den Helden antreibt, der für alle immer nur der gute Freund (oder Samenspender) ist: Der großzügige Bräutigam in spe ist als Fußballmanager jedenfalls ein knallharter Geschäftsmann.
Soundtrack:
(1): Noah and the Whale („5 Years Time“), Mark Ronson ft. Bruno Mars („Uptown Funk“), Lianne Le Havas („Unstoppable“), Scott Bradlee’s Postmodern Jukebox („All About That Bass“), Finneas („Let’s Fall in Love For The Night“)
(2): Clash („Should I Stay Or Should I Go“), Sufjan Stevens („Visions of Gideon“), The Strokes („Last Nite“), The Beatles („Love Me Do“)
Das Zusammenspiel von Figuren, Fällen & Alltag ist flüssig und wirkt realistisch
Dem Titel zum Trotz beginnt „Eine runde Sache“ ein wenig unrunder als „Sündenbock“. Der Star-Kicker und sein Manager (Tom Keune) neigen zur Karikatur: der eine die Arroganz in Person, der andere ein unerträglicher Scherzkeks. Das ändert sich aber bald, dann ist Walli gar nicht mehr so unerträglich. Wäre auch seltsam – schließlich hilft ihm der Babyflüsterer Toni ja ständig aus der Klemme. Auf der Zielgeraden entwickelt dieser Unterhaltungsfilm sogar etwas „Spannung“. Das liegt nicht daran, dass ein Unhappy End in den Bereich des Möglichen fallen würde, sondern an der Sympathie, die man Toni, Luise, Franzl und am Ende auch Walli entgegenbringt. Darin spiegelt sich auch die besondere Qualität von „Toni, männlich, Hebamme“: Im Zentrum nämlich stehen die Charaktere und ihre horizontal erzählten Geschichten. Sie sind das Herzstück der Reihe und der potenzielle Einschaltgrund. Die Fälle kommen bereichernd hinzu. Sie generieren Alltag, sie machen Toni & Friends lebendig.
Foto: Degeto / Jacqueline Krause-Burberg