Auf einer kleinen Insel in der Flensburger Förde haben sich zwei befreundete Familien in landschaftlicher Idylle ihr privates Paradies erschaffen. Sie leben dort in Sichtweite des dänischen Festlands und wirken, bevor es zur Tragödie kommt, wie eine harmonische Patchwork-WG. Bernd (Jan Josef Liefers) ist mit Sabine (Katharina Schüttler) liiert und betreibt mit Charlie (Lene Marie Christensen) ein gemeinsames Architekturbüro, das gerade dabei ist, einen großen Auftrag an Land zu ziehen. Sabine unterrichtet Tanz, Charlies Mann Jakob (Thure Lindhardt) ist Künstler und Hausmann. Die vier Jugendlichen haben sich wie die Musketiere geschworen: „Einer für alle – alle für einen“. Der autistische Karl (Anton Petzold) und sein Bruder Kjell (Lukas Zumbrock), die Kinder von Sabine und Bernd, sind mit Cecile (Milena Tscharntke) und Emile (Oskar Belton), den Kindern von Charlie und Jakob, eng befreundet. Bernd trainiert Emile und Kjell überdies beim Kanupolo, Cecile und Kjell tanzen gemeinsam in Sabines Kurs. Ein deutsch-dänisches Bilderbuch-Glück mit großer Fallhöhe.
In der verschachtelten Erzählstruktur des Drehbuchs von Friedemann Fromm steht jede der acht Folgen für eine der Perspektiven der Hauptfiguren. Das führt zwar dazu, dass Schlüssel-Szenen zum Teil mehrfach wiederholt werden. Allerdings gewinnen sie häufig auch eine neue Bedeutung, weil sich Kontext und Perspektiven verändern. Und in jeder Folge kommen weitere Aspekte hinzu, wird die Handlung mit neuen Wendungen vorangetrieben. Langeweile kommt keine auf, aber acht Stunden Gesamtdauer sind auch kein Pappenstiel. Bei einer Dramaturgie, die nach einem Schritt vorwärts häufig erst mal wieder zwei zurück macht, um alles (buchstäblich) noch mal in einem anderen Licht zu betrachten, bedarf es zwischendurch etwas Geduld und Durchhaltevermögen. Schauplatz und Dramaturgie lassen die Familien bis zuletzt etwas isoliert wirken, abgekoppelt von der übrigen Welt. Dafür kommt hier jede Haupt-Figur zu ihrem Recht, entfaltet sich das anfangs gekünstelt wirkende Insel-Paradies von zwei Mittelschichts-Familien sorgfältig und umfassend. Den entscheidenden Dreh bietet schließlich die sechste Folge („Karl“), und mit der letzten Episode („Kjell“) werden die wichtigsten Fragen beantwortet, ohne ein all umfassendes Happy – oder Unhappy – End zu erzählen.
Lange hält sich Friedemann Fromm mit idyllischer Ausschmückung nicht auf. Bereits in der ersten Folge („Sabine“) zeigen sich erste Risse durch das Auftauchen von Jakobs Bruder Jonas (Jacob Cedergren). Rückblenden in Schwarz-Weiß lassen auf eine gemeinsame, politisch-militante Vergangenheit schließen. Sabine ist alarmiert, stellt Jonas zur Rede („Der Deal war: Du hältst dich fern von uns“) und droht ihm. Als Faustpfand und Beweisstück für den Mord an einem Polizisten verwahrt sie die Tatwaffe, eine Pistole. Auch Jakob reagiert abweisend auf Jonas. Die Jugendlichen lassen sich allerdings die Eröffnung von Jonas‘ Bar nicht entgehen. Insbesondere für Sabine hat sich mit dem Leben auf der Insel ein Traum erfüllt. Sie organisiert zum Jahrestag ein großes Fest („auf die nächsten 100 Jahre“) und wünscht sich von Bernd ein weiteres Kind. Von der Zwickmühle ihres Mannes weiß sie vorerst nichts: Bernd und Charlie haben gute Aussichten, den Auftrag für den Neubau einer Brücke in New York zu ergattern, was einen Umzug in die USA nach sich ziehen würde. Um etwas Zeit für sich selbst zu haben, bleiben Sabine und Bernd zu Hause, während die anderen sechs auf den verhängnisvollen Segeltörn gehen, bei dem Kjell ins Wasser fällt und nicht mehr gefunden wird.
Der Ablauf der Ereignisse an Bord wird nun über mehrere Folgen wie in einem Krimidrama nach und nach enthüllt. Die Schuld-Frage heizt schlummernde Konflikte an und sorgt für eine Art Kettenreaktion, in der sich die vermeintliche Idylle als ziemlich zerbrechliches Gebilde erweist. Jakob übernimmt bei der Polizei die Verantwortung für das Unglück und deckt damit auch das Fehlverhalten seiner Frau an Bord, gerät mit Charlie jedoch zunehmend in Streit über die eigene Beziehung. Bernd verlangt zunehmend aggressiv Klarheit über die Vorgänge in der Unglücksnacht. Cecile, in die Kjell verliebt war, wird völlig aus der Bahn geworfen und gerät ins Drogen-Milieu, was ihren Bruder Emile wiederum zu lebensgefährlichen Rettungs-Versuchen animiert. Und Karl glaubt fest daran, dass sein geliebter Bruder wiederkehren wird, wenn er nur genügend Lichter an verschiedenen Orten in Küstennähe aufhängt. „Nichts geht verloren, niemals“, sagt er immer wieder, was in der Tat ein treffender Satz für diese Serie ist, in der Fehltritte in der Vergangenheit erhebliche Wirkung in der Gegenwart entfalten.
Beinahe jede Folge beginnt mit einem Schuldbekenntnis. Beinahe alle ringen mit ihrem schlechten Gewissen, damit, Wahrheiten verschwiegen, den Sohn und Freund im Stich gelassen zu haben. Und tatsächlich haben alle ihren Anteil, sowohl am Verschwinden von Kjell als auch am Auseinanderbrechen der familiären Idylle. Herausragend, wie das Drehbuch des erfahrenen und mehrfach ausgezeichneten Filme- und Serienmachers Friedemann Fromm („Weissensee“, „Unter Verdacht“, „Die Wölfe“) die komplexen Beziehungen in ihre Einzelteile zerlegt und die emotionalen und psychologischen Aspekte wie in einem gigantischen Puzzle wieder zu einer dramatischen, ineinandergreifenden Filmreise zusammensetzt. Die Geschichte im deutsch-dänischen Milieu anzusiedeln, bietet zudem ein überraschend gelungenes Spiel mit der Zweisprachigkeit. Die meisten Darstellerinnen und Darsteller wechseln in den Dialogen zum Teil mehrfach vom Deutschen ins Dänische und umgekehrt. Ob dies den realen Gepflogenheiten entspricht, ist zweitrangig: Hier steht die besondere Ausdrucksweise für das Wechselbad der Gefühle der jeweiligen Figuren und wirkt nur anfangs irritierend. Pure grenzüberschreitende Freundlichkeit gibt es dagegen nicht, deutsch-dänische Ressentiments bleiben nicht außen vor.
Das Ensemble bewältigt die Herausforderung der Zweisprachigkeit glaubwürdig und eindrucksvoll (jedenfalls für deutsche Ohren). Katharina Schüttler hat überdies einige grazile Szenen auf dem Tanzparkett, auf dem auch Milena Tscharntke und Lukas Zumbrock eng umschlungen glänzen. Und wer hätte gedacht, dass Jan Josef Liefers die Kenterrolle im Kanu drauf hat? Der Schauplatz einer kleinen, naturbelassenen Insel und das Leben am und auf dem Wasser garantieren ohnehin „schöne Bilder“. Tanzen und Kanupolo bringen zusätzliche Dynamik und Sinnlichkeit ins Spiel, auch dank der enorm beweglichen Kameraführung, die das Publikum mitten hineinwirft in den wirbelnden Tanzsaal und in die tanzenden Boote. Die vielseitige Bildgestaltung von Ralf Noack nutzt Unterwasser- und Drohnen-Aufnahmen und setzt in den unterschiedlichen Perspektiven der Figuren eigene Akzente. Häufig zoomt die Kamera nahe an die Gesichter, während die Umgebung unscharf verschwimmt oder in der Dunkelheit verschwindet. Oder: Figuren bewegen sich dank des blendenden Gegenlichts und greller Farben in einer scheinbar unwirklichen Welt. Dann wieder zeigt Noack die Realität im klaren Licht des Nordens.
Das Spiel mit Perspektiven, Licht und Farben ist – wie die eindringliche, eigenwillige Musik von Stefan Mertin und Mirko Michalzik – nicht nur hübsches „Kunsthandwerk“. Es sind unverzichtbare Elemente eines Gesamtwerks, die die Charaktere unterstreichen und wesentlich zum Aufbau von Spannung beitragen. Der ästhetische Rahmen ist sogar derart eindringlich gestaltet, dass das Spiel der Darstellerinnen und Darsteller zum Teil übertrieben erscheint. Eine weniger heftig nach außen getragene Emotion wäre in manchen Szenen ausreichend gewesen. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau. Das Ensemble bietet eine interessante Mischung aus Jung und Älter, aus Etablierten (Liefers, Schüttler), großartigen dänischen Gast-Stars (Christensen, Lindhardt) und deutschen Nachwuchsdarstellern, die auf der Bühne einer ambitionierten öffentlich-rechtlichen Serie eine tolle Vorstellung abliefern. Denn die Rollen sind in jeder Hinsicht anspruchsvoll, verlangen physische Präsenz und Beweglichkeit ebenso wie (zwei)sprachliche Präzision und psychologisches Feingefühl. Cecilie, Emile und Kjell sind sich auf besondere Weise nahe – drei Heranwachsende, die anfangs noch erotisch-verspielt das neue Terrain von Freundschaft und Liebe erkunden. Und während Liefers mühelos seinen komischen „Tatort“-Boerne hinter sich lässt und einen zornigen Vater, zweifelnden Ehemann und sensiblen Freund spielt, erinnert Katharina Schüttler, die zuletzt in eher mäßig interessanten Fernsehfilmen zu sehen war, wieder an bessere Zeiten. Mal schwebt sie förmlich durchs Bild, filigran und anmutig, mal stürzt sie voran, kämpferisch und aufrecht. Sabine ist die Frau, die mit ihrem Traum von der Insel vorangeht und ebenso wenig auf die Mutterrolle reduziert bleibt wie Architektin Charlie, die in der dänischen Familie für das Einkommen sorgt, aber andere Träume hat.
Zum Sympathieträger entwickelt sich nach und nach der autistische Karl, schon weil er der Einzige ist, der nicht zerknirscht und schuldbewusst herumläuft. Nun ist die Darstellung von Autismus im Film, obwohl die Erscheinungsformen vielfältig sind, meist eher stereotyp. Auch in „Tod von Freunden“ fallen die einschlägig bekannten Verhaltensweisen auf: das betont monotone Sprechen des nicht-autistischen Darstellers Anton Petzold, das Hin-und-Her-Wiegen in Stress-Situationen, der Hang zu Zahlen, Ordnung und Pünktlichkeit. Autisten sind in Filmen oft Nerds oder Genies. Karl vereint geradezu alle Autismus-Klischees in sich. Er ist ausgesprochen intelligent, ein blitzschneller Kopfrechner, flink mit Drohne und Computer und ein talentierter Zeichner – was den Film als Stilmittel allerdings unbedingt bereichert. Aber Karl erfreut eben auch durch klare Ansagen („ich bin nicht behindert, ich bin Autist“), einen kuriosen Hang zum Witze-Erzählen und unerschütterliche Tatkraft. Er ist eine durch und durch positive Figur, die nicht als bedauernswerter, unzugänglicher Soziopath gezeichnet wird. Karl ist ein ebenbürtiger Musketier im Bündnis der Jugendlichen. Er hat einen besten, ihm treu verbundenen, nicht-autistischen Freund: Ole (Yuri Völsch). Er zeigt sich im Gespräch mit der Therapeutin (Idil Üner) aufgeschlossen und reflektiert. Und es ist Karl, dem mit seinen Spiel-Figuren D’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis eine Schlüsselrolle in dem Drama zukommt.