Ihr cooler Job als Game-Programmiererin und gelegentliche Sex-Abenteuer können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mila (Friederike Kempter) immer öfter eine gewisse Unzufriedenheit verspürt. Diesem Gefühl der inneren Leere weiß das Unternehmen Tender Hearts mit vollmundigen Versprechungen ihrer Frontfrau Andreja (Marie-Lou Sellem) zu begegnen. Eine „echte Erfahrung“ mit einem humanoiden Roboter – warum nicht?! Mila wählt von den drei aktuellen Prototypen den „Friendly Bo“ (Madieu Ulbrich); der ist wissensbegierig, immer sehr zuvorkommend, ist um kein Kompliment verlegen, und für den Sex gibt es individuell austauschbare Ersatzteile. Und wenn man das Beutelaustauschen nicht vergisst, kann man mit ihm sogar gemeinsam essen und trinken. Milas bester Freund Toni (Vladimir Korneev) ist nicht der einzige, den dieser „Walking Dick“ befremdet. Ein Mann, der einem nicht weglaufen kann, die Flucht in die monogame, heteronormale Zweierbeziehung, naive Digital-Romantik: Diese sogar öffentlich als „Robo-Schlampe“ beschimpfte Frau um die 40 muss sich im Jahre 2039 einiges anhören – sogar von der eigenen Schwester (Heike Makatsch), bei der der Lovedroid wenig später selbst sexuelle Begehrlichkeiten weckt. Mila ist hin und hergerissen: So ein Frauen-Versteher und Träume-Wahrmacher ist schon sexy; andererseits plappert dieses Lexikon auf zwei Beinen nur alles nach – ohne eigenen Willen.
Foto: Sky / Odeon Fiction / Konietzny
Von „Metropolis“ über Kraftwerk bis „Terminator“ – Die Mensch-Maschine ist ein Topos der Science-Fiction. Mit Susan Seidelmans „Making Mr. Right – Ein Mann à la Carte“ (1987) fand das Sujet Eingang ins Genre der Komödie, mit John Malkovich als liebendem Roboter. Zuletzt war es Maria Schrader, die in „Du bist mein Mensch“ (2021) diesem faszinierenden Mythos nachspürte in Form einer Liebesgeschichte zwischen einer unzufriedenen Frau und einem Androiden. Die philosophischen Dimensionen dieses 90-minütigen Filmpreise-Abräumers erreicht die achtteilige Sky-Serie „Tender Hearts“ zwar nicht, allerdings werden in den vier Stunden so ziemlich alle Fragen aus dem Bereich Partnerschaft & Liebe launig andiskutiert und typische Stationen von Paarbeziehungen (tragi)komisch durchgespielt. Als der „Friendly Bo“ da so vor ihr liegt, frisch ausgepackt und aufgeladen, ist die Heldin hin und weg: „Oh, bist du schön.“ Wie ein verliebter Teenager schwärmt sie: „Der ist irgendwie total süß.“ Und was ihm zunächst mit seinen Aufsätzen nicht gelingt, das kriegen seine Lippen vorzüglich hin. Köstlich, wie Marie-Lou Sellems Figur die hochwertigsten Penis-Modelle anpreist, das feinsinnige Gegenstück zu Rudolf Kowalskis Loriotschem Staubsaugervertreter („Es saugt und bläst der Heinzelmann“). Was oft nur den Männern eingeräumt wird, darf hier diese verunsicherte junge Frau tun, die seit ihrem sechsten Lebensjahr mit einer Beinorthese leben muss, sich also mit Ersatz auskennt. Sie kleidet Bo neu ein, modelt ihn für sich zurecht. Aber dieser Mann aus feinster Kunstfaser ist bald sehr viel mehr für sie als nur ein Ersatz.
Foto: Sky / Odeon Fiction / Konietzny
Diese Phase der beglückenden Selbsterfahrung (Folgen 2 +3) ist reine Komödie. Danach schlägt die Serie zunehmend ernsthaftere Töne an. Angestachelt von den Freunden und ihrer Familie macht sich die zunehmend verunsicherte Mila so ihre Gedanken. Sie sucht Rat bei dem Psychologen (Yousef Sweid) von Tender Hearts, was sie aber eher verwirrt als weiterbringt, weil es da eine gewisse Anziehung gibt zwischen ihr und diesem sympathisch zurückhaltenden Mann aus Fleisch und Blut. Sie wirkt unzufrieden, weil Bo keine echten Gefühle haben kann. Und so funktioniert bei ihr nicht einmal die gute alte Projektion: In einen echten Mann kann sie zwar auch nicht reinschauen, aber bei ihm kann sie – anders als bei Bo – an dessen romantische Liebe glauben. „Du wirst ihn nicht ändern. Er ist zu bestimmten Dingen in der Lage und zu anderen nicht“, sagt der Psychologe. Ein Satz wie aus einem Beziehungsratgeber. Maschinen sind also auch nur Menschen. Und dieser Lovedroid scheint „ein typischer Mann“ zu sein, ein Langweiler ohne Phantasie, ohne Interessen, ohne eigene Ideen. Immer müsse sie alles managen, meckert Mila ihn an. Als er für sie Neues lernen will („Gehe meinen Interessen nach“), ist es ihr auch nicht recht. Mila leidet unter Verlustängsten. Mit sechs starb ihr Vater nach einem Unfall. Und zuletzt machte nach zehn Jahren ihr Freund mit ihr Schluss. Und mit Bo sind die Schmetterlinge im Bauch bald Geschichte. Auch die Liebe zwischen Mensch und Maschine ist vor Verhaltensschablonen nicht gefeit.
Foto: Sky / Odeon Fiction / Konietzny
„Tender Hearts“ nimmt auf der Zielgeraden dann noch deutlicher tragi(komi)sche Züge an. Mila verletzt ihren „Friendly Bo“ nicht nur mit Worten. Er und das geschäftstüchtige Unternehmen fressen ihre Ersparnisse auf, sie lässt ihre Wohnung und sich selbst verwahrlosen. Nach der romantischen Komödie wechselt die Tonlage also in Richtung Liebes(psycho)drama. Ob es ein romantisches Happy End geben wird oder ob die Macher auf eine zweite Staffel spekulieren, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden. So oder so – die Serie macht ab der zweiten Folge Spaß, weniger, weil sich hier ein horizontal-serieller Sog ergibt, sondern vielmehr wegen der unterhaltsamen Auslassungen über die Liebe. Die sind bekannt, Abwechslung allerdings bietet das Sci-Fi-Ambiente. Dabei droht anfangs gerade dieser Blick in die Zukunft deutlich danebenzugehen. Die erste Folge jedenfalls, in der von Bo noch nichts zu sehen ist, vermittelt einen völlig falschen Eindruck von der Serie. Grell, bunt und nervend wird die schöne neue Medienwelt, in der alles „perfekt“ zu sein hat, gezeichnet. Die Warenwelt wird zur wahren Welt. Heike Makatsch als übergriffiges Schwesterherz vor ihrer Schamlippenstraffung, Milas Bi-Freund Toni affektierter als jede 70er-Jahre-Klischee-Tunte. Möglicherweise mag das deutsch-englische Fachchinesisch der hippen Gamer- und Selbstoptimierungsbranchen 2039 so klingen, 2023 aber geht einem das gehörig auf den Geist.
Wer diese erste Folge übersteht, wer gerne zwischen Comedy, Dramedy und Tragödie switcht, wen launiger Liebesdiskurs mehr interessiert als Schwelgen in romantischen Gefühlen, wen der verklemmte Umgang mit Sex und weiblicher Lust im deutschen Fernsehen nervt, wer mal wieder eine filmisch inszenierte deutsche Comedy (Regie: Pola Beck) und Friederike Kempter sehr stimmig in einer Hauptrolle sehen möchte, wer trotz des englisch-amerikanischen Vorsprungs in diesem Genre („Fleabag“, „Ted Lasso“) deutschen Dramedys gern mal eine Chance gibt, der könnte Gefallen finden an „Tender Hearts“. Für die Sky-Serie gilt allerdings auch das, was „Friendly Bo“ über sich selbst sagt: „Man muss sich erst an mich gewöhnen.“