Tatort – Zugzwang

Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Robert Löhr, Nina Vukovic. Dame schlägt König

27.04.2025 02:25 One
27.04.2025 20:15 ARD TV-Premiere
27.04.2025 20:15 ARD-Mediathek Streaming-Premiere
27.04.2025 21:45 One
29.04.2025 01:10 ARD
Foto: BR / Linda Gschwentner
Foto Tilmann P. Gangloff

Der vorzügliche „Tatort“ aus München spielt diesmal in den Alpen: Während eines prominent besetzten Schachturniers in einem Luxushotel ereignen sich mehrere rätselhafte Anschläge. Die Bildgestaltung ist ebenso vorzüglich wie das Ensemble; Regisseurin Nina Vukovic steht ohnehin für Topniveau. Robert Löhrs kluges Drehbuch hat alles zu bieten, was ein guter Krimi braucht: faszinierende, vielschichtige Figuren, überraschende Handlungswendungen und ein dramatisches Finale. Für Augenfutter sorgt der Schauplatz: „Zugzwang“ (BR / Bavaria) ist auf Schloss Elmau gedreht worden.

Schach ist als Filmthema so alt wie das Kino. Das „königliche Spiel“ wird häufig gern genutzt, um die überdurchschnittliche Intelligenz eines Schurken zu belegen. Geschichten, in denen die 32 Figuren auf den 64 Feldern im Mittelpunkt stehen, sind seltener, aber dafür umso prominenter, allen voran Stefan Zweigs erst vor wenigen Jahren wieder verfilmte Erzählung „Schachnovelle“. „Das Damengambit“ (2020) gilt gar als eine der erfolgreichsten Netflix-Serien überhaupt. In Robert Löhrs Drehbuch zu „Zugzwang“ spielen das Spiel und eine Spielerin ebenfalls zentrale Rollen. Die Handlung beginnt mit einem vermeintlichen Suizid, und im Grunde hat der Film schon mit dieser dank der kräftigen Farben sehr wirkungsvollen Auftaktszene gewonnen: Eine Frau treibt am späten Abend scheinbar leblos im dampfenden Außenpool eines Nobelhotels in den Alpen. Sie verlässt das Becken, greift sich eine Flasche Champagner, geht aufs Dach, beugt sich über die Brüstung und stürzt in die Tiefe.

Tatort – ZugzwangFoto: BR / Linda Gschwentner
Ermitteln außerhalb von München: Batic (Miroslav Nemec), Leitmayr (Udo Wachtveitl) & Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer)

Mit Hilfe eines simplen Kniffs sorgt Löhr dafür, dass die Münchener Polizei quasi bereits vor Ort ist: In dem Hotel findet ein mit internationaler Prominenz besetztes Schachturnier statt. Rechtsmediziner Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) ist Schach-Enthusiast und kann auf diese Weise die im Rahmen einer Amtshilfe gerufenen Kollegen Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) sowie das Publikum über die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs aufklären. Statt „Zugzwang“ könnte der Krimi auch „Dame schlägt König“ heißen: Natalie Laurent (Roxane Duran) wird nachgesagt, als erste Frau gegen einen (bislang in der Tat stets männlichen) Weltmeister gewinnen zu können. Um den amtierenden Titelträger herausfordern zu dürfen, muss die gern provokant auftretende Französin jedoch dieses Turnier gewinnen. Allerdings kursieren hartnäckige Gerüchte, sie habe bei früheren Online-Partien betrogen. Lilit Kayserian, die Frau aus dem Pool, war mehr als bloß Natalies Sekundantin, wollte jedoch angeblich gegen eine hohe Summe Beweise für den Betrug liefern.

Schon allein dieser Hintergrund wäre faszinierend, aber Löhr, der für die Münchener bereits die sehenswerte Episode „Königinnen“ (2023) geschrieben hat, setzt noch eins drauf, denn es kommt zu weiteren zum Teil tödlichen Vorfällen. Im Umfeld der Opfer fand sich jeweils ein Turm. Die phallische Komponente dieser Schachfigur ist offenkundig. Im Zusammenhang mit Natalie Laurent wird jedoch eine andere Metapher draus. Ein Zeitschriftcover zeigt sie mit einem übergroßen auf den Kopf gestellten Turm: Die Französin revolutioniert die Schachwelt. Gerade beim Blitzschach dient der umgedrehte Turm gern als Ersatzfigur für eine Zweitdame.

Tatort – ZugzwangFoto: BR / Linda Gschwentner
Oben: Dame schlägt König? Natalie Laurent (Roxane Duran) wird nachgesagt, als erste Frau gegen einen (stets) männlichen Weltmeister gewinnen zu können. Unten: Schach sei nur etwas für Männer, so der Präsident des Weltverbandes (Husam Chadat).

Löhrs wendungsreiches Drehbuch hat viele solcher Details zu bieten, aber „Zugzwang“ ist nicht nur aus diesem Grund ein großes Krimivergnügen. Der Schauplatz und die damit verbundene Einheit von Zeit und Ort sorgen für eine klassische Agatha-Christie-Konstellation, denn der Mörder oder die Mörderin gehören auf jeden Fall zu den Hotelgästen. Favorit der Kommissare ist der Präsident des Weltverbands, ein Chauvinist alter Schule, der Schach als Männersache betrachtet. Husam Chadats demonstrativ breitbeinige Verkörperung dieses misogynen Zeitgenossen am Rand der Karikatur ist eine riskante, aber erfolgreiche Gratwanderung: Kamran Hasanov leidet unter ausgeprägtem Verfolgungswahn und sieht sich von Feinden umzingelt wie ein König unmittelbar vor dem Schachmatt. Tatsächlich ist Turnierveranstalter Kändler (Robert Dölle), der den imposanten Rechtsmediziner vielleicht auch wegen der identischen Frisur für den Einsatzleiter hält, ziemlich scharf auf den Posten des Aserbaidschaners.

Nicht zuletzt dank der Inszenierung durch Nina Vukovic, deren Name spätestens seit der grandiosen ZDF-Serie „Der Schatten“ (2023) eine Garantie für Topniveau ist, gelingt auch dem Krimi die Balance: Gerade die erste Hälfte ist höchst unterhaltsam. Die Stimmung ändert sich jedoch schlagartig, als es zu einem tragischen Todesfall kommt; jetzt nehmen die Kommissare den Fall persönlich. Reizvoll ist auch der Drehort: Der Film ist auf Schloss Elmau entstanden. Weil ein Störsender Betrugsversuche per Funk verhindern soll, müssen die Kommissare zum Telefonieren nach draußen gehen; das winterliche Wettersteingebirge, gern im Nebel, bildet einen reizvollen Kontrast zu den luxuriösen Innenaufnahmen. Die Bildgestaltung (Clemens Messow) ist ohnehin ein Genuss. Der Krimi erfordert allerdings eine hohe Konzentration, und das nicht nur wegen des großen Erklärungsbedarfs: Viele Gespräche sind auf Englisch und mit Untertiteln versehen.

Tatort – ZugzwangFoto: BR / Linda Gschwentner
Rechtsmediziner Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) ist Schach-Enthusiast und kann im Rahmen einer Amtshilfe gerufenen Kollegen Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic sowie das Publikum über die Rahmenbedingungen des Schachturniers aufklären.

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Robert Joseph Bartl, Roxane Duran, Husam Chadat, Max Befort, Ferdinand Hofer, Robert Dölle, Bardo Böhlefeld, Elwin Chala

Kamera: Clemens Messow

Szenenbild: Christiane Musäus

Kostüm: Birgitta Lohrer-Horres

Schnitt: Patricia Testor

Musik: Can Erdogan, Beat Solèr

Redaktion: Cornelius Conrad

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Ronald Mühlfellner

Drehbuch: Robert Löhr

Regie: Nina Vukovic

EA: 27.04.2025 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 27.04.2025 20:15 Uhr | ARD-Mediathek

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