Diese Frau bleibt lange Zeit ein Rätsel! Sabine Schmidt (Sibylle Canonica) wechselt gern ihr Outfit. Gerade noch als ältliches Muttchen in Scheveningen auf der Seebrücke, Minuten später rothaarig attraktiv unterwegs – und tags drauf gibt sie sich bodenständig burschikos als Bewohnerin einer Kleingartenanlage, die sich liebevoll um ihre zwei Eichhörnchen kümmert. Diese umtriebige Dame, Ende 60, ist topfit und doch ereilt sie alsbald der Exitus und ihre beiden kleinen Lieblinge gleich mit. Nicht nur diese Frau, auch ihr Tod gibt Kommissar Thiel (Axel Prahl), Kollege Schrader (Björn Meyer) und vor allem Professor Boerne (Jan Josef Liefers) Rätsel auf. Der Schädel völlig unversehrt, keine Einstichstellen und drin‘ nur Matsche. Auch die Befragungen der Mitbewohner ergibt wenig. Das Interesse an Schmidts Parzelle oder die Eifersucht von Vera Winer (Almut Zilcher) sind keine Mordmotive. Deren Gatte allerdings, Ulrich Winer (Hans-Uwe Bauer), hat alsbald eine Aussage zu machen: Der Historiker glaubte, gut mit dieser weltgewandten Frau befreundet gewesen zu sein, doch dann wurde er in dem holländischen Seebad Augenzeuge eines Mordes, den Sabine Schmidt begangen hat. Zu des Rätsels Lösung könnte der Schrebergarten entscheidend beitragen, vermutet Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und lässt ihren Chef kräftig buddeln.
Foto: WDR / Thomas Kost
Der fünfundvierzigste „Tatort“ aus Münster nimmt sich zunächst der deutschen Kulturgeschichte an. Schrebergartenkult und Landlust zum Trotz – selbst „Unter Gärtnern“ ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Dass in Frau Schmidts Grünanlage tödliche Flora wuchert, ist noch das kleinste Problem. Fruchtbare, reichhaltige Böden und verschiebbare Wände geben so manches Geheimnis preis. Auch ein Überwachungsvideo, auf dem Sabine Schmidt einem Möchtegern-Räuber in Profi-Manier das Handwerk legt, sorgt für posthume Anerkennung („krass, die Alte“) und legt die Vermutung nahe, dass diese Dame im Auftrag einer höheren Macht unterwegs war. Dazu würde auch passen, dass das Jahr 1990 zunehmend in den Fokus der Ermittlungen rückt. Von den typisch deutschen Laubenpiepern von nebenan geht es direkt an den Tisch der Weltgeschichte, zur deutschen Wiedervereinigung und zum deutsch-russischen Treffen der Außenminister Genscher und Schewardnadse in Münster. Autorin Regine Bielefeldt hat sich da eine recht komplexe Geschichte ausgedacht, reine Fiktion mit realen Eckdaten, und doch mehr als nur eine Spinnerei. Im Schlussdrittel überschlagen sich die Erkenntnisse bezüglich der innovativen Mordmethode und der möglichen Auftraggeber; die Handlung in dieser Krimikomödie mit Politthriller-Zugabe bleibt allerdings überschaubar und verständlich, soweit dies möglich ist in der kalten, durchtriebenen Welt der Spionage.
In den ersten sechzig Filmminuten haben Thiel, Boerne & Co alle Hände voll zu tun, dem verzwickten Mordgeschehen auf die Spur zu kommen. Da schlägt die Stunde des Ensembles. Dabei halten sich in den Szenen die gewohnt launigen Interaktionen und der Fall gekonnt die Waage. Thiel und Boerne geraten weniger aneinander, dafür ist das, was der Herr Professor und Haller miteinander austragen, mehr als nur das übliche Geplänkel auf Kosten der kleinwüchsigen Kollegin: Oft ist sie Punktsiegerin, nicht zuletzt, weil sie mit den „miesen Sprüchen“ und diskriminierenden Untertönen ihres Chefs Kasse macht: ein gelungener Running Gag. Die Verbaljokes sind wohl dosiert. Wenn sie kommen, dann kommen sie gut. Mal knapp und pointiert. Boerne: „Seit wann geht der Prophet zum Berg?“ Thiel: „Seit wann wedelt der Schwanz mit dem Hund?“ Mal rhetorisch ausgefeilt und Typus-adäquat. Boerne: „Wenn der kleine Mann weiß, wo seine Scholle endet, dann hat der große Mann auf dem Golfplatz des Lebens seine Ruhe.“ Mal fast poetisch, ironisch pathetisch, nachdem Boerne den verletzten Thiel verarztet hat: „Überfallen im Schrebergarten. Das waren einmal proletarische Oasen hemdsärmeliger Kameradschaft, wo fleißige Arbeiter liebevoll Spalierobst schnitten und dem kargen Boden die Rüben für den abendlichen Eintopf abrangen.“
Foto: WDR / Thomas Kost
Soundtrack: Pink Floyd („Shine On You Crazy Diamonds“ / „Wish You Were Here“), Steve Miller Band („The Joker“), Rebekka Bakken („Little Drop of Poison“), Depeche Mode (Just Can’t Get Enough“), Harold Faltermeyer („Axel F“)
Auch wenn die Profis lange im Dunkeln tappen und der Zuschauer ihnen nur das Wissen um den Mord in Scheveningen voraushat, kommt bei „Unter Gärtnern“ nie Langeweile auf. Nach der Befragungsroutine sorgt ein Gartennachbar (Tobias van Dieken) im Adamskostüm für gute Laune. Später geht’s an die Tanke, in den Knast, ins Rathaus oder an den Eiswagen, derweil die Rechtsmedizin auf der Suche nach der Mordmethode zum Versuchslabor wird oder Ansichtskarten mit Skalpell fachmännisch seziert werden. Sehr hochwertig umgesetzt sind auch mehrere Rückblenden, jeweils nur zehn bis dreißig Sekunden lang, in denen die „Weltenbummlerin“ Sabine Schmidt im Einsatz gezeigt wird. Sogar historisches Doku-Material fand Eingang in diesen „Tatort“. Und auch die Staatsanwältin schaut gelegentlich vorbei, gibt ihren Senf zum Zeitgeist der späten Achtziger ab und darf einen guten, beiläufigen Joke in Richtung Thiel loslassen, der mal wieder für Vaddern den Handwerker geben muss (und keine Zeit zum Umziehen hatte): „Aber Sie arbeiten hier noch oder haben Sie sich beruflich umorientiert?“ Und ein Höhepunkt in Sachen Action ist eine Verfolgungsjagd, die originell und amüsant – insbesondere, was die Montage angeht – umgesetzt wurde: Es geht per pedes durch die Laube mit einem Gartengerät als finalem Wurfgeschoss.
Fazit: Was an diesem „Tatort“ vor allem besticht, das sind die narrative und filmische Dichte, die fein ausbalancierten Genre-Tonlagen, das vorzugsweise Setzen auf Understatement statt auf knallige Pointen, der gleichmäßig austarierte Einsatz des festen Ensembles, eine markante Leiche, über den Tod hinaus, dazu noch mit Sybille Canonica markant besetzt, und eine intelligente Inszenierung (Regie: Brigitte Maria Bertele), der man die Lust am Sujet und die Leidenschaft am Filmemachen in jeder Szene ansieht. (Text-Stand: 22.2.2024)
Foto: WDR / Thomas Kost