Thorsten Falke macht Urlaub bei seinem Freund Jan Katz auf Langeoog. Mit Partnerin Mimi hat sich der Ex-Kollege in dieser Idylle ein Nest gebaut – mit Baby, Häuschen und Mimis jüngerem Bruder Florian. Der seltsame, vom Unfalltod der Eltern traumatisierte Junge ist das Reizthema zwischen dem Paar. Jetzt steckt der Teenager richtig in der Klemme: Eine Kunst-Fotografin, mit der sich der verschlossene Junge angefreundet hatte, liegt erstochen in den Dünen – neben ihr Florian, blutverschmiert, halbnackt und auf Droge. Jan bittet seinen Freund, inoffiziell mitzuermitteln. Für die Kollegin aus Aurich scheint der Fall klar: Alles spricht gegen Florian. Er selbst schweigt und kann so nichts zu seiner Entlastung beitragen. Eine vertrackte Situation für Falke. Was ist, wenn der Junge tatsächlich die Tat begangen hat? Ein Verbrechen im Rausch? Tod auf Verlangen? Gut, dass die Behörden ein Amtshilfeersuchen gestellt haben: So kann Falkes Kollegin Lorenz mit einem Auftrag auf der Insel mitermitteln.
Für das neue „Tatort“-Team aus Hamburg ergibt sich aus dieser „Inselsituation“ die Möglichkeit, nach einem emotional „schwierigen“ Einstand besser zusammenzuwachsen. Katharina Lorenz ist in „Mord auf Langeoog“ nicht mehr wie in „Feuerteufel“ der Störfaktor, der dem verunsicherten „Junge“ Thorsten Falke als neuer, unerfahrener Partner an die Seite gestellt wird, vielmehr wird die Frau mit dem kühlen Kopf, die von der Juristerei auf Kripo umgesattelt hat, von ihm gerufen, sie ist seine Rettung bei einem Fall, bei dem ihm der Ermittlungsauftrag fehlt. Und sie ergänzen sich gut. Jeder macht seinen Job: der eine befragt, der andere schnüffelt herum – und am Ende bringt sich die eifrige Kommissarin mal wieder selbst in Gefahr. Dieser zweite Fall untermauert, dass mit Wotan Wilke Möhring und Petra Schmidt-Schaller wie zuvor mit Kurtulus zu rechnen ist und dass neben München, Kiel & Frankfurt dieser „Tatort“ aus Hamburg bald in der Top-Liga der Reihe mitspielen könnte.
„Mord auf Langeoog“ beginnt atmosphärisch. Der Strand, die Weite des Meeres, die Dünen, der Horizont. Fische werden ausgenommen. Aber mit Messern kann man auch etwas anderes machen. „Mord auf Langeoog“ lässt in den ersten Minuten Bilder sprechen. Florian bedroht seine Mutter mit einem Filettiermesser. Die Situation ist unklar. Was bleibt: dieses Bild. Wenig später, das nächste Bild, das sich einbrennt: die blutüberströmte Frauenleiche in den Dünen, ein Hund beschnuppert den grausigen Fund, daneben der mutmaßliche Täter, bibbernd, wie von Sinnen, der Körper voller Blut. Auch danach dominieren Bilder, Blicke, Stimmungen. Der einsame Mann und das Meer, der Wind, der Sand, das Dünengras. Zu einer solchen Landschaft gehört das Sehen wie die Möwen zum Meer. Die Wahrnehmung zu einem Bestandteil der Geschichte zu machen, das bietet sich außerdem an bei einem Geschehen ohne große äußere Handlung. Der Kreis schließt sich mit der Toten: Sie war Kunstfotografin – ihr Blick war ihr Handwerkszeug. Und ihr Thema war das Sterben. Die morbiden Fotos, die sie machte, erinnern an das grausig blutige Dünen-Szenario ihres eigenen Todes.
Stefan Kornatz über die Herausforderungen, die der Plot an die Regie stellte:
„Es war schwierig spannend zu erzählen, weil es recht wenige betont äußerlich ausgetragene Konflikte gibt. Wir waren also vor die Aufgabe gestellt, die inneren Konflikte der Figuren besonders spürbar zu machen, ohne dass die Handlung das immer so hergab. Das war der wesentliche Grund dafür, diesen Inselkrimi sehr atmosphärisch zu erzählen.“
Auch das Ermitteln läuft auf einer Nordseeinsel anders. Möhrings Falke, mit Wollmütze und Lederjacke, macht keinen Dienst nach Vorschrift wie die Kollegin aus Aurich. Er sucht im Leben des mutmaßlichen Mörders nach Spuren und dringt dabei auch in das Innenleben der Insel ein. Da ist der trinkfeste Wattführer, der ehemalige Käpt’n oder der Drogenlieferant der Insel, spezialisiert auf K.o.-Tropfen – bei so viel Reizklima will auch der größte Döspaddel mal seinen „Spaß“. Ohne diesen feinen Blick für die Details würde diese reduzierte Geschichte wohl kaum funktionieren, die entsprechend auch immer wieder die spannungsreichen Beziehungen zwischen Falke, seinem Freund und seiner Frau geschickt ins Spiel bringt. Diese Sensibilität für den Moment ist die Stärke dieses Films. Dazu gehört auch, dass sich die Kommissare nicht überdeutlich, sondern eher beiläufig annähern. Mal ein wissendes Lächeln, das muss reichen. Es ist auch die Sisyphosarbeit der beiden Ermittler, durch die die Geschichte nach 60 Minuten eine neue Wendung bekommt. Auch wenn, wie Regisseur Stefan Kornatz anmerkt, dieser handlungsarme Plot für einen „Tatort“ eine Herausforderung darstellte, so fließt hier doch alles, die Bauteile der Geschichte und das Konzept der Insze-nierung, so stimmig und stimmungsvoll ineinander, dass man sich an diesen Insel-„Tatort“, für den es im Übrigen nur neun Drehtage auf Langeoog gab (es ist eine beachtliche Regieleistung, das nicht deutlich werden zu lassen) länger erinnern dürfte als an so manchen anderen gut gemachten Reihen-Krimi. Und wenn dann – mit Riesenbrille aber ohne großen Durchblick – noch Nina Kunzendorf mit ermittelt…! (Text-Stand: 26.10.2013)