Bei Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) kriselt es: Sie leidet darunter, dass nur Leichen ihren beruflichen Weg pflastern, er glaubt, dass sie sich deshalb versetzen lassen will. Doch reden können sie nicht miteinander. Bibi sucht Rat im Knast – bei ihrem alten Freund Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz). Wenig später liegt ein Spitzenkoch tot vor seinem Haus – erstochen mit einem Küchenmesser. In seinem Gourmettempel treffen Bibi und Moritz auf die Brigade um den Souschef Lars Eidmann (Simon Morzé) und die trauernde Witwe Alicia (Martina Ebm), Geschäftsführerin des Fine-Dining-Restaurants „Efeukron“. Die Küche entpuppt sich als Kampfplatz: vergiftetes Betriebsklima, militärische Sitten, sexuelle Übergriffe und Adrenalin pur. Jeder gegen jeden, und wenn in der Brigade jemand fällt, rückt in der Hierarchie der Nächste auf! So gibt es Tatverdächtige zuhauf. Allen voran Lars, der „Ziehsohn“ des Ermordeten, der neue Boss in der Küche, ein entlassener Mitarbeiter und der vorbestrafte Ex-Junkie „Ratte“ (Manuel Sefciuc), Lars‘ Halbbruder.
Foto: Degeto / ORF / Hubert Mican
Das Beste zu Beginn: Inkasso-Heinzi ist zurück. Der Wiener Stritzi, den Simon Schwarz so unnachahmlich und auf den Punkt spielt, dass man sich nur wünschen kann, dass es bald mal wieder einen Fall gibt, in dem er einen größeren Part bekommt, sitzt zwar im Knast (oder Hefen wie die Österreicher sagen), doch von dort aus gibt er Bibi lebenskluge Ratschläge und erklärt ihr Verhältnis zum Kollegen Moritz mit einer Leberkässemmel samt Essiggurke. Drei kleine Parts gibt es mit dem Inkasso-Heinzi, jede dieser Szenen ist wie ein kleiner, tiefsinniger Sketch. Aber es ist nur eine Art „Gruß aus der Küche“, um auf das Thema und den wichtigsten Schauplatz des neuen Wien-„Tatort“ mit dem Titel „Messer“ überzuleiten. Autorin Sarah Wassermair („Tatort – Azra“) schickt die Ermittler mitten hinein in die Welt der Gourmettempel. Hinein in die Küche, zentraler und sinnbildlicher Ort für das, was dieser Krimi schonungslos offenlegt: Hier köchelt ein Sud aus Ausbeutung, Übergriffigkeit, Affären und Leistungsdruck.
Foto: Degeto / ORF / Hubert Mican
Regisseur Gerald Liegel hat die Story in eine atmosphärisch stimmige und mit vielen schönen Details aus der Welt der Sterneküche angereicherte Milieustudie gebettet. Er zieht die Zuschauer in die toxische Arbeitswelt der Küche hinein, in der es mitunter menschenfeindlich zugeht. Wie die funktioniert, erklärt Liegel mit einem gelungenen filmischen Kniff, indem er die Hackordnung szenisch darstellt und in die reale Handlung einflechtet. Die Kamera fängt all das ein, was man als Gast eines Sternelokals nicht sieht, auch die Details und Techniken, die Köche anwenden, wenn sie sich schneiden. Denn Messer spielen in diesem Krimi eine zentrale Rolle. Eines ist die Tatwaffe, jeder in der Küche hat eine Tasche voller Messer, die ihm klar zugeordnet werden, und Messer können auch im Küchenalltag böse Verletzungen hinterlassen. Was man macht, wenn das Blut fließt, der Erste-Hilfe-Kasten aber mit Kabelbinder versperrt ist, auch das verrät der Film. Autorin Sarah Wassermair hat bestens recherchiert, auch einen medienwirksamen Fall mit Zucker (wird hier mit Salz erzählt) eingearbeitet. Casterin Marion Rossmann hat ein stimmiges Ensemble zusammengestellt: Simon Morzé spielt die zentrale Figur Lars, Martina Ebm („Vorstadtweiber“) gibt die trauernde (?) Witwe und Manuel Sefciuc überzeugt als „Ratte“.
Noch mehr Raum als üblich nimmt das Verhältnis zwischen den beiden Ermittlern ein. Bibis Zweifel am Sinn ihres Jobs, Moritz’ Angst, dass sie sich versetzen lassen könnte, das alles könnte zu wilden Dialogen führen, doch Gerald Liegel inszeniert ihren Konflikt wie eine Beziehungskrise – und das mit den Mitteln der Sprachlosigkeit. Die beiden, die in einer Art Symbiose leben, sich aber auch verrannt haben im „Lesen“ des anderen, sitzen nebeneinander, schweigen sich an, wollen daran etwas ändern, aber können nicht. Es sind wunderbare kleine Szenen, liebevoll, intensiv, sparsam in Mimik und Gestik, toll gespielt. Eine Mischung aus Poesie und Tragik. Apropos schweigen: Nach einer Stunde dieses sehenswerten Krimis gibt es eine Passage von rund drei Minuten, in denen kein einziges Wort gesprochen wird. Man sieht Koch Lars, die Witwe, die Brigade und Moritz in der Nacht sowie eine sich ankündigende Katastrophe. Eine bemerkenswerte Sequenz.