Brix, Janneke & junge Frauen, die rechtsextrem unterwegs sind
Bei einem Brandanschlag mit einem Molotowcocktail auf einen Frankfurter Friseursalon stirbt die Auszubildende Melanie. Am Rande bemerkt: Das Metallkettchen mit ihrem Namen ist erstaunlich intakt, bedenkt man, dass es am Arm einer vollkommen verkohlten Leiche baumelt. Auf das Trottoir vor dem Laden hat jemand „Kill all Nazis“ gesprüht. Wie sich bei den ersten Ermittlungen der Kommissare Brix (Wolfram Koch) und Janneke (Margarita Broich) herausstellt, hatten Melanie und ihre befreundete Kollegin Vera (Jasna Fritzi Bauer) Streit mit dem dunkelhäutigen, aus Afrika stammenden Drogendealer John Aliou (Warsama Guled). „Die haben uns beschimpft, weil wir die weghaben wollen. Aber deswegen sind wir noch lange keine Nazis, oder?“, sagt Rosi Grüneklee (Birge Schade), die Besitzerin des Friseurladens. Allerdings sind Vera und ihre WG-Genossin Juliane (Anna Brüggemann) tatsächlich im rechtsextremen Milieu unterwegs.
Foto: HR / Bettina Müller
Ernst Jandl, vom „finsteren Meerungeheuer“ rezitiert
„Land in dieser Zeit“ ist mal wieder ein „Tatort“, der gesellschaftspolitische Konflikte zum Thema macht – allerdings auf ungewöhnliche Weise. Es geht um Flüchtlinge, Ausländer-Kriminalität und die neue Rechte. Die didaktischen Dialoge halten sich in Grenzen. Das aufgeheizte Klima spiegelt sich nur dezent wider, allenfalls in der Sorge der Polizei, den Fall samt Herkunft des Tatverdächtigen öffentlich zu machen („Dann schürt das nur noch mehr Hass“). Stattdessen wird gesungen & rezitiert. Der HR-„Tatort“ ist ja für Überraschungen gut, und auch diesmal fordert er sein Publikum auf besondere Weise heraus. Und zwar mit den lautmalerischen Gedichten des Österreichers Ernst Jandl, die hier von Fosco Cariddi (ein Name wie von Jandl erfunden!), dem neuen Chef des Frankfurter Teams, immer mal ziemlich unvermittelt und scheinbar ohne inhaltlichen Bezug in die Handlung eingebracht werden. Fosco Cariddi könnte man mit „finsteres Meerungeheuer“ übersetzen, jedenfalls tröstet der Schweizer Schauspieler Bruno Cathomas über den Verlust von Roeland Wiesnekker hinweg, der das Frankfurter Team zuvor ebenfalls mit einer guten Portion Verschrobenheit leitete.
Die rechtsradikalen Frauen singen deutsche Volkslieder im Chor
Der Theater-erfahrene Cathomas ist wie geschaffen dafür, die eigenwillige Jandl-Poesie in den Polizei-Alltag einfließen zu lassen, als wäre es das Normalste von der Welt. Sperrige, komische Fremdkörper sind die Gedichte, die zwar für die Kriminalermittlung gar keine Rolle spielen. Aber Jandl einzusetzen, ist in dieser filmischen Bestandsaufnahme der deutschen Gesellschaft eine ziemlich geniale Idee. Zum Beispiel „etude in f“: In diesem Gedicht ersetzt Jandl den Buchstaben w durch ein f. Es geht los mit einem beherzten „eile mit feile“ und endet mit dem poetisch-komischen Seufzer „ach die heimat / ach die heimat / fen ferd ich fiedersehn / ist so feit“. Die mehrdeutigen Jandl-Texte wirken natürlich befremdlich, stehen aber nicht beliebig im Raum, sondern bilden den Kontrast zu den populären Volksliedern, die ein Chor darbietet und wohl für die Sehnsucht nach einer reinen deutschen Kultur stehen. Schon der Titel dieser Frankfurter „Tatort“-Folge ist ein Spiel mit Sprache: Das „Kein schöner“ wurde weggelassen, man denkt es sich dazu, was in diesem Kontext ohnehin naheliegt. Die rechtsradikalen Frauenfiguren in diesem Film sind Chormitglieder. Da liegt das Missverständnis nahe, hier solle deutsche Volksmusik etwas plump in die rechte Ecke gestellt werden. Allerdings verweist der Film mit Friedrich Gundolfs „Schließ Aug und Ohr“, das als Lied der Weißen Rose bekannt wurde, sowie dem Klassiker „Die Gedanken sind frei“ auch auf andere Traditionen. Und dann ist da noch das musikalische Getöse in der Disco, die zur rechten Szene gehört und in der sich Vera gerne den Zorn und die Aggressionen aus dem Leib tanzt. Oder mit dem Neonazi Heimer (Enno Hesse) eine schnelle Nummer schiebt.
Foto: HR / Bettina Müller
Die Komposition aus Liedern und Gedichten ist keine selbstverliebte Spielerei
Allenfalls durch die Disco-Musik wird das gewalttätige Potenzial angedeutet. Ansonsten kommt der Rechtsextremismus hier ganz harmlos und bieder daher. Juliane bietet jungen, verunsicherten Frauen Quartier, um sie für die neue Rechte zu gewinnen. Die ist mit vermeintlich sozialer Fürsorge und Chorsingen in der Mitte der Gesellschaft angekommen – ein sehr aktuelles Zeitbild. Auch Brix‘ Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) nimmt Menschen auf: Drei Flüchtlinge, zwei Männer und eine Frau, die nun einen Stau vor dem Badezimmer verursachen und auf alle Gegenstände kleine Zettel mit der deutschen Bezeichnung schreiben. Am Ende sehen wir, wie einer der Flüchtlinge, der abgeschoben werden soll, ein kleines Notizbuch aufschlägt, in dem er all die Zettel gesammelt hat. Sie fügen sich, übereinander geklebt, zu einer besonderen Form von Lyrik zusammen. Derweil verteilt Fosco Cariddi als Einstandsgeschenk bei der Mordkommission Jandl-Bücher und rezitiert „Lichtung“, eines von Jandls berühmtesten Gedichten: „manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum“. Wenn das nicht hochaktuell ist. Schließlich sieht man das Frankfurter Team an einem Tisch sitzen, jeder liest laut einen anderen Jandl-Text, man hört Wortfetzen, die aneinander vorbei fliegen. Ein Durcheinander wie in diesem Land in dieser Zeit. Toll: Ein lyrischer „Tatort“, der über das Spiel mit Sprache zur Reflexion über den Zustand der Republik einlädt. Diese Komposition aus Liedern und Gedichten, aus Musik und Sprachbildern ist alles andere als selbstverliebte, intellektuelle Spielerei.
Die Geschichte endet in Möglichkeiten und nicht in Gewissheiten
Allerdings hält sich die Spannung durchaus in Grenzen. Und für Zuschauer, die einen klassischen Krimi erwarten, bei der der Täter überführt und die durch ein Verbrechen in Unordnung geratene Welt wieder geheilt wird, muss „Land in dieser Zeit“ unbefriedigend bleiben. Die Geschichte endet in Möglichkeiten und nicht in Gewissheiten. Viele Figuren werden nur schwach angerissen, und in die Milieus dringen Buch und Inszenierung von Markus Imboden kaum vor. Wer eigentlich ist diese Juliane, die von Anna Brüggemann ganz zurückhaltend gespielt wird? Wie angelt sie sich die jungen Frauen, die sie aufnimmt? Woher rührt das Interesse an der Polizeiarbeit von Najla (Maryam Zalee), die zu den drei von Fanny aufgenommenen Flüchtlingen gehört? Wieso wurde John zum Drogendealer? Dafür wird hier keine Analyse dargeboten, werden keine Fakten aufeinander gehäuft oder aktuelle Konflikte in steifen Dialogen stellvertretend diskutiert wie in anderen Themen-Filmen. Nur einmal schießt der Zeigefinger in die Höhe – als Janneke entgeistert ausruft: „Die Hautfarbe und die Nationalität haben doch gar nichts mit Gut und Böse zu tun.“ Unter der kriminalistischen Oberfläche erzählt der Film leise, poetisch, dass die Fundamente zu bröckeln begonnen haben.