Kein Alaaf, kein Helau. Fasching in München wird anders gefeiert. Ruhiger, kleiner, mehr in der Kneipe um die Ecke. Auch in „Irmis Stüberl“ (Johanna Bindenbinder ist Irmi). Kurz darauf liegt unweit von hier ein alter Mann tot auf einer Treppe am Isarhochufer. Ein Fall für die Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl). Doch die haben zwei flotte Bienen – kein Chauvispruch, sondern ein Faschingskostüm – auf der Bude und haben anderes im Sinn. Batic hat die beiden als falscher Pilot an- bzw. abgeschleppt. Doch Schluss mit süßem Honig, die Ermittlungen rufen. Eine erste Spur führt die Bayern-Cops eben zu jenem „Stüberl“. Dort hatte sich der Mann zuvor scheinbar mit einem kostümierten Faschingsgast gestritten. Wichtigster Zeuge der Auseinandersetzung ist ein „Rotkäppchen“. Doch das ist hackedicht und muss die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbringen, bevor es befragt werden kann. Am nächsten Morgen ist Silke Weinzierl (Nina Proll) nach Aspirin und Kaffee halbwegs nüchtern, aber unausgeschlafen und nicht gut drauf. Nein, sie kenne den Mann nicht und weiß auch nicht, weshalb es zu dem Streit kam. Und schon ist sie weg.
In der Wohnung des Opfers stoßen die Kommissare auf ein Foto, das zeigt, dass sie gelogen hat. Silke wird zur Fahndung ausgeschrieben. Denn an der angegebenen Adresse wohnt sie nicht mehr – wie sie von der snobistischen Wohnungsinhaberin (gespielt von Comedy-Größe Monika Gruber) erfahren. Die kennt Silke aus alten Zeiten, beide tanzten in der selben Garde, Silke war stolze Faschingsprinzessin. In den letzten Jahren ist sie jäh abgestürzt: Ehe kaputt, das Sorgerecht für den Teenagersohn will der Vater, diverse Geschäftsideen gingen schief. Hat sie was mit dem Tod des Mannes zu tun? Der war Goldhändler, wollte am Tag eigentlich nach Südafrika fliegen, um Gold anzukaufen. Das Geld dafür ist verschwunden. Silke findet es. Doch es gehört einem niederländischen Gangster, der es zurück haben will. Und das um jeden Preis. Dann nimmt der Mordfall eine unerwartete tierische Wende.
Schon irgendwie komisch: Der zweite Fasching in Folge ist in München wegen Corona ins Wasser gefallen. Doch im Film ist alles wie früher. Und dieser „Tatort“ ist keine Wiederholung. Klar, es ist schwierig, wie soll man mit dem Leben mit dem Virus im Film umgehen? Schließlich sollen die Produktionen ja in den nächsten Jahren noch oft wiederholt werden. Und dann kann und will das vielleicht niemand mehr sehen? Aber die Realität einfach ausblenden und so tun, als wäre nichts, das fühlt sich schon komisch an. Besonders deutlich wird das bei so rituellen Ereignissen wie dem Fasching (anderswo sagt man Karneval). Der hat in der Isar-Metropole eine lange Tradition. Er findet weniger auf der Straße und bei Großveranstaltungen statt, als vielmehr in den unzähligen Kneipen, die für die kurze Faschingszeit zu kleinen Hochburgen mutieren. Auch Filme und Serien haben sich gerne dieses Motivs bedient. Beispielsweise der unvergessene Filmklassiker „Kehraus“ mit Gerhard Polt und Dieter Hildebrandt oder der legendäre „Monaco Franze“, der als “Herr der sieben Meere“ tragikomisch durch die Kneipen zog. Fasching in München hat einen besonderen Flair. Diese geschlossene, rauschhafte Welt bietet Stoff für tolle Geschichten. Doch wenn die Realität eine andere ist und im Film alle so tun, als gäbe es sie nicht, dann ist man irritiert.
„Für uns als Produzenten war es eine große Herausforderung, diese Produktion unter Corona-Bedingungen durchzuführen und geeignete Motive zu finden, die dieses besondere München zur Faschingszeit wirklich erzählen können. So war das ehemalige Roy’s Bistro am Sendlinger Tor unser Irmis Stüberl. Den Tattoo-Laden gegenüber vom Goldhändler haben wir in der Kreuzstraße in einen Leerstand hineingebaut. Für das Polizeipräsidium haben wir im Schlachthofviertel die geeigneten Räumlichkeiten gefunden. Und auch die Kulissenstraße auf dem Bavariafilmgelände konnten wir für die Dreharbeiten nutzen. Wir haben aber auch immer wieder die Stadt München und ihr markantes Stadtbild mit der zur Faschingszeit auch manchmal melancholischen Stimmung, als Rahmen für unseren Tatort mit einbeziehen wollen um uns dem Milieu, in dem unser Tatort spielt, anzunähern.“ (Robert Marciniak und Philipp Budweg)
Aber vielleicht ist das alles ja auch als nostalgischer Blick gedacht, um den Menschen Ablenkung von der aktuellen Viruslage zu bieten. Sieht man das so, dann gelingt das dem Krimi „Tatort – Kehraus“ aus der Feder des krimierfahrenen Stefan Holtz („Tatort – KI“) und des eher im Komödienlager anzusiedelnden Stefan Betz („Kaiserschmarrnblues“). Letzterer zählt als Richy Semmler ja seit einigen Jahren auch zum Ermittlerteam um Batic und Leitmayr, schiebt meist Innendienst und hat nur kurze Auftritte. Die kleine feine Geschichte um die ehemalige Faschingsprinzessin Silke führt in eine trist anmutende Welt der zerplatzten Träume. Nina Proll („Vorstadtweiber“) spielt diese gefallene Frau, die sich wieder hochkämpfen will, um das Sorgerecht für ihren Sohn zu bekommen, mit enormer Kraft und Präsenz. Tragik, Komik, Stärke, Schwäche, Verzweiflung, Trotz, Frechheit, Sinnlichkeit, all das vereint sie in der Rolle, die wohl das stärkste Argument für diesen Film ist. Man leidet mit ihr, hofft, dass sie sich aus ihrer Lage befreit, und doch hat man das Gefühl, das wird nicht gutgehen. Wenn sie in „Irmis Stüberl“ am Tresen sitzt, wartet, dass jemand kommt und ihr ein Getränk ausgibt und einen Schlafplatz für die Nacht bietet – ihr Hab und gut hat die wohnungslose Frau in einem abgemeldeten Wagen –, dann wird die ganze Tragik dieser Figur sichtbar. Und wenn sie tags darauf wieder kommt, sich wieder an den Tresen setzt, einen teuren Cocktail bestellt, weil sie urplötzlich zu viel Geld gekommen ist, danach ins 5-Sterne-Hotel eincheckt, die teuerste Suite bucht und denkt, sie hat es geschafft, dann ist auch hier diese Tragik spürbar. Denn hinter „Rotkäppchen“ ist jetzt der böse Wolf her.
Christine Hartmann („Charité 3″, Tatort: „Kaputt“) hat den Fasching in München einfallsreich und stimmig in Szene gesetzt – irgendwo zwischen Tragik und Melancholie. In den Kneipen wird gefeiert, mal ist es voll, mal trist und leer, ein paar Betrunkene ziehen durch die Straßen, stören Leitmayrs Nachtruhe. Markante Orte und Plätze im Zentrum der Stadt hat die Regisseurin dafür gefunden, die Eckkneipe, der schmucklose Tattoo-Laden gegenüber dem Geschäft des Goldhändlers, die eintönige, leblos anmutende Reihenhaus-Siedlung, in der Silkes Ex-Mann mit neuer Familie wohnt – es sind Orte der Tristesse. Sie stehen für diese Welt der zerplatzten Träume, um die sich der Krimi dreht. Und der Fasching steht für Silkes Möglichkeit für ein schnelles kurzzeitiges Entfliehen aus der Realität. Doch es kommt anders für sie. Und so viel sei verraten: Das Ende hat es in sich. Der „Tatort – Kehraus“ ist eine meist spannende, sehenswerte Krimitragödie mit einer famos aufspielenden Nina Proll. Lust auf Fasching macht er nicht. Aber der findet ja dieses Jahr eh nicht statt. (Text-Stand: 2.2.2022)