Die Geschichte beginnt im Jahr 1968. Ein junger Österreicher kehrt eines Nachts vom Fischen am österreichisch-tschechischen Grenzfluss Thaya nicht mehr heim. Jahrzehnte später rollt ein Journalist die Geschichte wieder auf. Zur gleichen Zeit wird die Leiche eines 45-jährigen Touristen aus Tschechen namens Radok aus der Thaya gefischt. Ein Zufall? Im niederösterreichischen Waldviertel treffen Moritz Eisner und Kollegin Bibi Fellner auf Max Ryba, den Sohn des damals Verschwundenen. Schnell wird klar, dass der neue Mord und der lang zurückliegende Todesfall etwas miteinander zu tun haben. Die Ereignisse von 1968 wirken bis heute nach. Max rettet Bibi aus dem Fluss, knüpft zarte Bande und erzählt ihr, dass zur Zeit des Prager Frühlings der tschechoslowakische Geheimdienst Republikflüchtlinge mit einer fiktiven Grenze in die Falle gelockt und ihnen danach Informationen entlockt hat. Der heimtückische Plan funktionierte aber nur dank der Kooperation junger Österreicher, die dabei eine unrühmliche Rolle spielten. Offenbar wollte das Opfer Radok die einstigen Kollaborateure nun zur Rechenschaft ziehen. Musste er deswegen sterben?
Nachdem Oberstleutnant Moritz Eisner 2013 in dem „Tatort – Unvergessen“ in eine alte Grenz-Geschichte aus der Nazi-Zeit eingetaucht war, unternehmen er und Bibi im neuen ORF-„Tatort – Grenzfall“ einen weiteren Ausflug in die Geschichte. Seine Mitarbeit an der Ö1-Radio-Sendung „Tod an der Grenze. Eine Spurensuche“ hat Regisseur und Autor Rupert Henning zu diesem Krimi inspiriert. Es handelte sich um eine wahre Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges, die Geschichte eines verschwundenen Österreichers, die erst 2009 aufgeklärt wurde. Henning, der mit Uli Brée die „Brüder“-Trilogie verfasst und auch am Kinohit „Nordwand“ mitgeschrieben hat, hat den Fall geschickt zu einem Krimi verarbeitet. Es geht um Täter und Opfer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, um ein perfides Spiel und die fatalen Verstrickungen einer Familie in die Machtpolitik des Kalten Krieges.
„Der Film erzählt eine Geschichte über Menschen, deren Schicksale untrennbar miteinander verbunden sind, obwohl sie jahrzehntelang auf verschiedenen Seiten einer unüberwindlich scheinenden Grenze lebten – bewacht von schwer bewaffneten Soldaten, gesichert und abgeriegelt mit Wachtürmen, Stacheldraht und Minenfeldern… Es ist eine dramatische und aufschlussreiche, letztlich aber auch versöhnliche Geschichte. Nichts ist einfach vergangen in dieser Region, beinahe jede Familie war auf die eine oder andere Weise von den politischen Verhältnissen im Grenzland unmittelbar betroffen.“ (Rupert Henning)
„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Diesem Satz, der an einer Stelle des Films auch fällt, folgt der Krimi anhand der Figur des Max Ryba, der wissen will, was 1968 mit seinem Vater geschah. „Der Mensch begegnet der Wahrheit nicht in Zurückgezogenheit und Isolation, sondern in der möglichst konstruktiven und zugleich möglichst respektvollen Auseinandersetzung mit anderen Menschen wie auch mit den in seiner Zeit entstandenen und zu bewältigenden geistigen und gesellschaftlich-politischen Positionen“, sagt Henning. Ihm gelingt es mit traumwandlerischer Sicherheit, ein schweres, geschichtsträchtiges Thema leicht & entschleunigt zu erzählen. Dazu passt, dass er als Autor den Kommissaren wunderbar trocken-witzige Dialoge auf den Leib geschrieben und ihnen mit Manfred „Fredo“ Schimpf („mein Name klingt wie ein Imperativ“) – gespielt von Thomas Stipsitz – einen vorlauten Assistenten verpasst hat. Und selten zuvor hat man eine so witzige Analyse eines Gerichtsmediziners in einem Krimi gesehen – verpackt in eine Vorlesung vor Studenten, unter die sich Moritz Eisner mischt. Außerdem lässt Henning ihn und Bibi von einer Ärchäologin mit dem Satz beschreiben: „Bibi, Moritz, die heißen wie in Kinderbüchern“.
Und der Regisseur Henning erweist sich als exzellenter Kenner des Thayatals. Die Gegend präsentieren er und sein Kameramann Josef Mittendorfer in malerischen Bildern, die nächtlichen Szenen bieten intensive Licht-Schatten-Spiele und tragen zu der düsteren Atmosphäre bei, die Passagen in geschlossenen Räumen sind liebevoll ausgeleuchtet und ausgestattet. Und auch die Musik von Kyrre Kvam muss erwähnt werden; sie nimmt einen mit in die Landschaft und die Reise in die Vergangenheit. Wir wären aber nicht in Österreich, wenn nicht auch dieser „Tatort – Grenzfall“ durch kantige und kernige Typen bestechen würde. Charly Rabanser, Karoline Zeisler, Isabel Karajan und – ein Wiedersehen mit „Kottan“ – Lukas Resetarits hauchen diesen Charakteren Leben ein. Dass die Chemie zwischen Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser stimmt, nein, das ist keine neue Erkenntnis. Schon eher das Gefühl, dass sich die beiden in einer der nächsten Folgen durchaus noch näher kommen könnten. Darauf weist Bibis kleiner Flirt mit dem Journalisten Max und die eifersüchtige Reaktion von Moritz hin. Man darf gespannt sein. (Text-Stand: 17.2.2015)