Ein rumänischer Fahrer des Deutschen Paketdienstes (DDP) – der Name ist erstaunlicher Weise nur einen Buchstabendreher von einem realen Unternehmen entfernt – rast ungebremst in eine Gruppe von fröhlich schwatzenden Passantinnen und jungen Skatern. Eine Frau stirbt, weitere Menschen werden schwer verletzt, darunter der Fahrer Ilie Balan (Adrian Djokić) selbst. Der Verdacht einer Amokfahrt, vielleicht sogar eines Terroranschlags steht für die Polizei im Raum. Die Inszenierung von Christine Hartmann legt freilich von Beginn an nahe, dass der überarbeitete und aufgebrachte Balan lediglich die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hat. Der Fahrer hatte zuvor eine Auseinandersetzung mit Mischa Reichelt (Christoph Letkowski), einem von DDP beauftragten Subunternehmer, für den Balan wiederum selbst als Subunternehmer tätig war. So lagern die Lieferdienst-Unternehmen Risiken und Kosten auf die unteren Ebenen aus. Kurz vor dem Unfall musste Balan ausgerechnet ein Paket beim Göttinger Polizeipräsidium abliefern. Er kam zu spät und wurde prompt von Rechtsmediziner Nick Schmitz (Daniel Donskoy) angemotzt. Nur Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) schien zu bemerken, dass der Fahrer mit Wut im Bauch unterwegs war.
Ein bisschen sehr auffällig werden hier die Fährten gelegt, und auch sonst wird der sozialkritische Teil der Story recht konventionell und vorhersehbar erzählt, einschließlich eines typischen Pro-Contra-Dialogs zwischen Lindholm und DDP-Manager Ingo Wegener (Max Urlacher). Im Gegensatz zur kürzlich ausgestrahlten Kölner „Tatort“-Episode „Des anderen Last“ bleibt das Thema Lieferdienste nicht im Mittelpunkt, sondern wird in der zweiten Hälfte von einem familiären Drama überlagert. Eine Vorblende offenbart gleich zu Beginn einen wichtigen Hinweis. Gerd Liebig (Luc Feit), der Vorgesetzte von Lindholm und Anäis Schmitz (Florence Kasumba), wird von Reichelt mit Fotos unter Druck gesetzt. Spannend ist somit vor allem die Frage, was wohl auf den Fotos zu sehen ist – während die Frage nach der Ursache des tragischen Unfalls eigentlich keine Zweifel zulässt. Ein typischer Krimi-Zufall muss außerdem dazu herhalten, dass die Konstruktion des Drehbuchs trägt: Die Unfall-Opfer werden im Krankenhaus gleichzeitig von der mit dem Polizeichef verheirateten Ärztin Tereza Liebig (Bibiana Beglau) und von der mit dem Subunternehmer verheirateten Krankenschwester Jutta Reichelt (Lea Willkowsky) behandelt.
Das Drehbuch von Christine Hartmann (nach einer Vorlage von Stefan Dähnert) stellt die resolute Einzelgängerin Lindholm in den Vordergrund, die sich von Widerständen nicht aufhalten lässt – aber aufgrund ihres fehlenden Talents für Teamarbeit mal wieder in die Rolle der einsamen Außenseiterin gerät. Lindholm kämpft dagegen an, sucht die Nähe zur sympathischen Tereza Liebig, die sie bei der Feier zum 60. Geburtstag ihres Chefs kennenlernt, und verbringt mit Nick, dem Ehemann ihrer Kollegin Anäis, einen delikaten Abend zu zweit. Bevor es zum Äußersten kommt, ergreift sie die Flucht, aber das ungeklärte Dreiecks-Verhältnis sorgt für privaten Konfliktstoff, während sich die Aufklärung der Unfall-Tragödie mit dem Drama um häusliche Gewalt vermischt. Der Film erzählt einmal mehr auf bedrückende Weise, dass Frauen auch in gutsituierten Familien und höher gestellten Milieus von Übergriffen betroffen sind.
Dennoch ist der Film nicht unbedingt das von NDR-Fiction-Chef Christian Granderath versprochene „große Finale“ geworden. Florence Kasumba steht auch im sechsten gemeinsamen Film im Schatten von Maria Furtwängler, wobei es sehenswert ist, wie die beiden Schauspielerinnen das spannungsreiche Verhältnis beider Figuren anlegen: als eine professionelle und letztlich auch von gegenseitigem Respekt getragene Beziehung. Der Eindruck bleibt, dass das Potenzial der von Florence Kasumba gespielten Figur nicht ganz ausgeschöpft wurde. Und mit der schwarzen Kommissarin, die allerdings noch bei einer Hamburger „Tatort“-Episode an der Seite von Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) zu sehen sein wird, geht auch ein Stück Diversität verloren.