Die AfD hat es nicht nur in den Bundestag, sondern nun auch in Deutschlands beliebteste Krimi-Reihe geschafft. In der „Tatort“-Folge „Dunkle Zeit“ heißt die erfolgreiche rechtspopulistische Partei „Deutschlands Neue Patrioten (DNP)“. Die Parallelen zur AfD sind deutlich, auch wenn die Fiktion der Realität hinterherhinkt: Frauke Petry ist bekanntlich kurz nach der Bundestagswahl aus der AfD ausgetreten. In Niki Steins Polit-Thriller spielt Anja Kling die scharfzüngige Partei-Vorsitzende Nina Schramm, das Gesicht der DNP, die von einer ursprünglichen Partei der Euroskeptiker zum rechten Sammelbecken geworden ist. Es geht freilich nicht um eine Frauke-Petry- oder Alice-Weidel-Kopie: Schmerzhaft genau treffen Niki Steins Drehbuch und Anja Klings Darstellung jedoch den aggressiven Ton und die Opfer-Pose der Rechtspopulisten, die sich für die wahren, von Volksfeinden umstellten Patrioten halten. Auch in den internen Querelen und in der Unterwanderung durch Rechtsextreme lassen sich in Steins Story Parallelen zur AfD-Geschichte erkennen.
Kaputte Ehe, zerrissene Partei – und eine Drohung
Aber die Fiktion entfernt sich gleichzeitig großzügig von der Realität: Nach einer Wahlkampf-Veranstaltung der DNP explodiert im Auto der Schramms eine Bombe. Nina Schramm befindet sich nicht im Wagen, weil sie gemeinsam mit Generalsekretär Reinders (Ben Braun) einen anderen Termin wahrnimmt, der kurzfristig anberaumt wurde. Niki Stein lässt in seiner Inszenierung keinen Zweifel daran, dass die beiden eine Affäre haben – die Spur wird nicht gerade subtil gelegt, und Ben Braun glaubt man vielleicht den Casanova, aber weniger den politisch ambitionierten Strippenzieher. Durch die Bombe getötet wird Ninas Mann Richard, ein Professor, der zu den Parteigründern zählte. Dabei ist das Publikum den Kommissaren Falke (Wotan Wilke Möhring) & Grosz (Franziska Weisz) einen Schritt voraus, denn es kennt das Telefonat Richard Schramms mit Parteifreund Gerhard Schneider (Patrick von Blume) kurz vor dem Anschlag. Er wolle alle Ämter niederlegen und aus der Partei austreten, erklärt Ninas Gatte. Und: „Ich lasse Nina hochgehen und ihren schnöseligen Deckhengst gleich mit.“
Populisten wie Autonome: Alle gegen die Polizei
Sieht man von dem etwas plumpen Eifersuchtsmanöver ab, gelingt es Niki Stein („Dunkle Zeit“ ist seine 17. „Tatort“-Beteiligung), das Thema Rechtspopulismus in einer packenden Krimi-Episode zu verarbeiten. Falke und Grosz sind dabei von Beginn an gewaltig unter Druck. Weil in einem anonymen Video Bilder vom Privatgrundstück der Schramms samt Morddrohung zu sehen sind, werden sie als Personenschützer für die allerdings wenig kooperative Politikerin eingesetzt. Während des Wahlkampf-Auftritts – von Stein als moderne One-Woman-Show inszeniert – kommt es vor der Halle zu Ausschreitungen von Autonomen, die Parolen gegen „Nazis“ und den „Bullen-Staat“ skandieren. Und wie sich später herausstellt, wurde die Bombe während der Tumulte an Schramms Auto platziert. Die Bilder einer von der Polizei übersehenen Überwachungskamera zeigen zwei vermummte Personen; allerdings wird das Video nicht den Behörden, sondern dem rechten Blogger Peter Roman (Wilfried Hochholdinger) zugespielt. Dessen Webseite heißt wie Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“ – ein Verweis darauf, dass die amerikanische „Alt-Right“-Bewegung die viktorianische Jane-Austen-Welt nostalgisch verklärt und ideologisch benutzt. Die Populisten treiben die Polizei nach den Pannen nun propagandistisch vor sich her.
Politverschwörung und Bonnie-und-Clyde-Thriller
Ein zweiter Handlungsstrang folgt der militanten Aktivistin Paula (Sophie Pfennigstorf), die sich unter den Autonomen auf der Suche nach einem Unterschlupf den jungen und blassen Vincent (Jordan Dwyer) ausguckt. Ein ungleiches Paar aus dem Schwarzen Block ist das, und dass Paula ihr eigenes Spiel treibt, ist dem Publikum angesichts der von Sophie Pfennigstorfs deutlich zur Schau getragenen Entschlossenheit sofort klar. Vincent ist allerdings durch Paulas vermeintliches Interesse ziemlich geblendet. Dass er nun aus Bewunderung für Paula bei allem blind mitmacht, ist nicht immer leicht nachvollziehbar. Spannend ist es dennoch, wenn Niki Stein am Ende die Fäden zu einem harten, temporeichen Thriller verknüpft und in die Politverschwörung Bonnie-und-Clyde-Motive mischt. Die Ermittler, die immer noch „ein bisschen unentspannt“ (Falke) miteinander umgehen, wachsen hier allmählich zu einem Team zusammen. Dieses langsame Herantasten lässt noch viele Spielräume offen. Auch ohne private Avancen bilden die spröde Afghanistan-Rückkehrerin Grosz und der impulsive Hamburger Falke ein vielversprechendes Duo. Ihre unterschiedlichen Temperamente kommen auch in den Dialogen zur Geltung, in denen sie sich mit der geschickten Rhetorik Nina Schramms konfrontiert sehen. Beide werden vernünftigerweise nicht aus didaktischen Gründen zu Intellektuellen, die in Debatten auftrumpfen.
Nina Schramm hat immer das letzte Wort
Nur eine forsche ARD-Journalistin (Tatiana Nekrasov) vermag es, die DNP mit einer Recherche über falsche Abrechnungen im Europaparlament in Bedrängnis zu bringen – ein bisschen Eigenwerbung mit der allerdings korrekten Botschaft, dass investigativer Journalismus in „dunklen Zeiten“ umso wichtiger ist. Weil Niki Stein das Phänomen des Rechtspopulismus weder karikiert noch simplifiziert, wirkt diese „Tatort“-Folge wie ein bedrückend treffendes Zeitbild. Nina Schramm lebt mit ihrem Mann in einem herrschaftlichen Anwesen, ist umgeben von bürgerlichen Professoren, smarten Karrieristen und vielen jungen Leuten in bunten T-Shirts. Sie spricht aus, was der Wutbürger denkt, und hat in den Dialogen mit den Kommissaren immer das letzte Wort. „Ich finde es interessanter, wenn Figuren ambivalent sind und den Konflikt für den Zuschauer nachvollziehbar machen. Am Anfang denkt vielleicht der eine oder andere, es ist gar nicht so falsch, was die Frau sagt, um am Ende zu erkennen, sie ist eine Verschwörerin. Es ist doch langweilig, wenn ich den Zuschauer von Beginn an gegen Nina Schramm aufbringe“, sagt Niki Stein.
Der Film geht konsequent und ernsthaft mit dem Thema um
Anja Kling ist hier mal auf eine andere Weise verführerisch, in der ungewöhnlichen Rolle einer kühlen, eloquenten Politikerin und Überzeugungstäterin. Spürbar wird die Spaltung der Gesellschaft, der Hass, die Ängste, die Unfähigkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, die Abschottung in der eigenen Filterblase, auch der verbreitete Rassismus. Bemerkenswert, wie konsequent und ernsthaft der Film mit dem Thema umgeht. Dass damit zugleich die Tiraden gegen den Islam, gegen Einwanderer und Flüchtlinge, gegen Medien und etablierte Parteien die große „Tatort“-Bühne betreten, ist ein schmerzhafter Preis. Aber der Anspruch der „Tatort“-Reihe, gesellschaftlich Relevantes aufzugreifen, kann auch nicht immer billig und schmerzfrei eingelöst werden. (Text-Stand: 14.11.2017)