Einer, der mordet, weil er es kann
Die Vergangenheit holt Anna Janneke (Margarita Broich) ein. Die Kripo-Seiteneinsteigerin hatte vor 19 Jahren, damals noch als Polizeipsychologin, mit Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek) zu tun – einem Psychopathen von der besonders gefährlichen Art: Einer, der mordet, weil er es kann. Jannekes Gutachten hat den Mann, der mit guten Manieren und einem gewissen Charisma vor allem Frauen zu manipulieren weiß, lebenslänglich hinter Gitter gebracht. Jetzt wurde Nolte „völlig resozialisiert“ aus der Haft entlassen. Die Kommissarin sorgt sich mehr um die öffentliche Sicherheit als um ihre eigene – schließlich scheint sie noch immer Objekt seiner feuchten Träume zu sein; und im Notfall hätte sie noch ihre Waffe. Als sie und Paul Brix (Wolfram Koch) in ihrem neuen Fall, ein fachmännisch erstochener Obdachloser, ein Mord offenbar ohne Motiv, nicht weiterkommen, umschleicht sie eine furchtbare Ahnung. Was hat Nolte vor? Will er, der den vorbildlichen Ex-Häftling mimt, seine geliebte Feindin, die mit ihren verdächtigen Alleingängen ohnehin schon den Unmut ihres Kollegen und ihres Chefs (Roeland Wiesnekker) auf sich gezogen hat, weiterhin diskreditieren und als unglaubwürdig hinstellen? Wird Janneke sich auf Brix verlassen können? Ohne ihn hat sie wenig Chancen in Noltes bösem Spiel – hat der doch mit der Psychologin seines Vertrauens, Helene Kaufmann (Ursina Lardi), einen Joker im Ärmel. Sie steht nicht nur hinter, sondern liegt auch unter ihm.
kurz & knapp: der Autor Volker Einrauch, geb. 1950, „Gangster“ (Regie), seit 25 Jahren Zusammenarbeit mit Huntgeburth, u.a. bei „Teufelsbraten“, „Väter – denn sie wissen nicht, was sich tut“, „Effi Briest“, „Eine Hand wäscht die andere“
Aber kein klassischer Serienmörder
„Der Friederich, der Friederich, der war ein arger Wüterich“, heißt es im „Struwwelpeter“; der dritte Frankfurt-„Tatort“ mit Margarita Broich und Wolfram Koch nimmt eindruckvoll auf „Die Geschichte vom bösen Friederich“ Bezug. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der keine Moral kennt und für den nur eines im Leben zählt: sein ICH! Das Wort prangt denn auch als eine Art verkürztes Mantra an der Wand von Alexander Noltes Wohnung. Auch er quält Tiere, „peitscht“ Frauen und – wenn es ihm danach ist – ertränkt er auch schon mal seine Freundin. Das Leben ist für ihn ein Experimentierfeld für seine kranken Neigungen. Mal sehen, was passiert! Der Antagonist ist „elegant, eloquent und sehr intelligent“, sagt seine Lieblings-Kommissarin über ihn. Aber er ist kein eiskalter Psychopath, der sich Muster-gültig verhält, vielmehr ist er „ein Wüterich“, der sich leidenschaftlich immer wieder seiner Macht vergewissern will, ein Selbstdarsteller, der Gefallen findet an der Improvisation und der Unvorhersehbarkeit seiner Taten. Das ist dramaturgisch ein großes Plus. Dieser Nolte ist kein klassischer Serienmörder so wie auch Janneke und Brix keinen nervigen Profiler-Ehrgeiz entwickeln; sie sind angenehm normale Polizeibeamte. Drehbuchautor Volker Einrauch, erfreulicherweise kein routinierter Krimiautor, verzichtet auf Katz-und-Maus-Spielchen zwischen Psychopath & Polizistin, wie man sie aus Thrillern kennt. Das Fehlen einer Mord-„Motivation“ ist aber auch eine Herausforderung; außerdem kennen wir den Mörder von Anfang an. Aber dieser Täter gibt dem Moment seine Bedeutung zurück. Dieser Böse tut nicht das, was andere Killer tun. Das Unvorhersehbare, das Ambivalente, ist bei dem Ausnahme-Mimen Nicholas Ofczarek („Unter Feinden“) in besten Händen. Aus diesem Mephistopheleschen Charakter wird vornehmlich die Spannung geboren, Genre-Muster bemüht Einrauch weniger und er bedient auch nicht die Konventionen des Ermittlungskrimis.
kurz & knapp: der Schauspieler Nicholas Ofczarek, geb. 1971 in Wien, Wiener Burgtheater, spielte von 2010-2012 den Jedermann bei den Salzburger Festspielen, Serien: „Braunschlag“ & „Bösterreich“; „Unter Feinden“ & „Zum Sterben zu früh“
Wie ein Chamäleon schleicht der Böse
Die Frage nach dem Wie steht in vielerlei Hinsicht im Zentrum von „Die Geschichte des bösen Friederich“. Wie wird man diesen Wüterich wohl überführen? Eine Frage an die Geschichte. Zunächst schürt der Böse mit freundlicher Miene Zweifel – und er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, bei der Psychologin, die längst ihre professionelle Distanz aufgegeben hat, und bei der Kommissarin, damit sie dem Zustand der Hysterie näherkommt. „Diese Frau hat den Kontakt zur Wirklichkeit verloren“, behauptet er gegenüber Brix. Es sind immer wieder Zweier-Szenen (sprich: Szenen ohne Zeugen), in denen Autor Einrauch seine Protagonisten aufeinandertreffen lässt. Und der Psychopath versucht dabei stets, den Dompteur und Manipulator zu geben. Die Geschichte läuft darauf hinaus, dass nach ihren Alleingängen die Kommissarin auf der Zielgeraden Brix als Verbündeten braucht (in „Hinter dem Spiegel“ war es umgekehrt), um den Wüterich zu entlarven und Schlimmeres zu verhindern. Und wie wird dieser Gott spielende Mörder ins Bild gerückt und visuell interpretiert? Regisseurin Hermine Huntgeburth hat sich noch nie besonders für Fernsehkrimis interessiert; Routine war noch nie ihr Ding. Dieser Hessen-„Tatort“ ist nun aber auch alles andere als Gebrauchsware, vielmehr ein Vier-Personen-Stück, entwickelt als Solo eines großen Verführers. Dieser Mann frisst Kreide, versteckt sich, tarnt sich – und die stilvollen Szenenbilder unterstützen ihn dabei mit Kräften: gedeckte Farben, beige oder cremeweiße Ton-in-Ton-Arrangements besänftigen die Geschichte eines Wütenden, wie dieser selbst seine Raserei unter dem Deckmäntelchen der Freundlichkeit versteckt. Wie ein Chamäleon schleicht „der böse Friederich“ von Szene zu Szene. Nur in Bildern ohne Mitwisser bricht es aus ihm heraus: „ICH komm’ wieder!“, lässt er Rammstein brüllen. Und immer wieder mordet er in Gedanken! (Text-Stand: 21.3.2016)