Spreewaldkrimi – Spiel mit dem Tod

Redl, Okon, Eichhorn, Kirchner, Görlitz. In den Märchenwald zieht der Krieg ein

Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Foto Rainer Tittelbach

Sprengstoffanschlag im Hochwald. Ein junges Pärchen stirbt. Ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat steht unter Anfangsverdacht. Der sonst so mundfaule Kommissar Krüger schlägt im neunten „Spreewaldkrimi“ zwei Fliegen mit einer Klappe – sprich: Er therapiert ansatzweise nicht nur einen jungen Mann mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, sondern sorgt auch für sein eigenes Seelenheil, indem er über sein Lebenstrauma spricht: Sein Vater kam als Wrack aus dem Krieg, bevor er seine Familie zerstörte. „Spiel mit dem Tod“ ist vornehmlich ein psychologisches Drama, das den Krimifall eher nebenbei und unspektakulär löst. Autor Kirchner nutzt wie immer das Genre, um eine tiefe Menschengeschichte zu erzählen, wie sie im Ermittlungskrimi kaum möglich ist. Dass Redls Melancholiker den therapeutischen Wert des Redens entdeckt hat, macht neugierig auf die kommenden ZDF-„Spreewaldkrimis“.

Ein traumatisierter Ex-Soldat & Krüger machen Alleingänge in den Spreewald
Ein junges Pärchen fällt einem Sprengstoffanschlag im Hochwald zum Opfer. Es wurde per GPS-Schnitzeljagd vorsätzlich in den Tod gelockt. Unter Verdacht steht der ehemalige Bundeswehrsoldat Timo (Rick Okon), der seit seinem Afghanistan-Einsatz unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Der ist allerdings unauffindbar, hat sich in den Spreewald zurückgezogen. Kommissar Krüger (Christian Redl) befragt zunächst Timos Mutter (Karoline Eichhorn), Kollege Fichte (Thorsten Merten) hat dagegen einen guten Draht zum Vater des Jungen (Christian Kuchenbuch), der ebenfalls in Afghanistan stationiert war und im Rollstuhl zurückkehrte. Das Schicksal dieser drei Menschen rührt an Krügers eigener Familiengeschichte: Der Kommissar musste in seiner Kindheit und Jugend mit ansehen, wie sein von der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg traumatisierter Vater, ein sogenannter „Kriegszitterer“, die Familie zerstörte. Am Ende stand das, was man heute einen erweiterten Selbstmord nennt. Liegt auch dem Mord im Spreewald ein solches Muster zugrunde? Das tote Mädchen war bis vor einem halben Jahr die Freundin von Timo, der tote Mann sein Nachfolger und zugleich sein Sachbearbeiter beim Sozialamt. Und vielleicht hat sich ja Timo schon selbst gerichtet? Krüger glaubt das eher nicht und wagt einen Alleingang in den brandenburgischen Urwald, dem er seine tragische Geschichte erzählt, in der Hoffnung, der junge Mann könne ihn hören und würde sich auf ein Gespräch mit ihm einlassen.

Spreewaldkrimi – Spiel mit dem TodFoto: ZDF / Julia von Vietinghoff
„Die Welt da draußen kann mir gestohlen bleiben.“ Timo (Rick Okon) interessieren keine Versorgungsansprüche, ist aber nicht unbeeindruckt von Krügers Ratschlägen. Wenn er gereizt wird, dann allerdings schlägt er zurück – und im Überlebenskampf ist er geübter als andere, wie man im kurzen, spannenden Showdown sehen kann.

„Im neunten Film der Reihe spielt der Spreewald nicht im Vordergrund und doch eine wichtige Rolle: er ist leise und er wirkt nachdenklich. Er hört zu, antwortet auf seine Art und lässt dann wieder geschehen. Alles Eigenschaften, die man normalerweise Kommissar Krüger zuschreibt. Der wiederum ist laut Drehbuch ungewöhnlich offen, transparent und gesprächig.“ (Wolfgang Esser, Produzent)

Die einzig mögliche Abhilfe gegen die Melancholie und die Dämonen ist Reden
Es hat lange gedauert, bis dieser melancholisch wortkarge Kommissar mal aus sich rauskommt. In „Spiel mit dem Tod“, dem neunten „Spreewaldkrimi“, gibt ihm der Drehbuchautor Thomas Kirchner eindrucksvoll dazu die Möglichkeit. Und indem dieser Krüger sich selbst öffnet, kommt er auch näher an die Menschen, die ihm begegnen, heran. Gewisse Seelenverwandtschaften mag es immer schon in den vorherigen Episoden gegeben haben, aber am Ende lag immer eine tiefe Traurigkeit und schmerzliche Ausweglosigkeit über den Schlussbildern der Filme. Dieses Mal ist es anders. So belastend die häuslichen Dramen auch sind, die verhandelt werden – es gibt eine Lösung: Reden ist der Schlüssel. So könne man die Dämonen besänftigen, könne lernen, mit ihnen zu leben, verschwinden werden sie nie, weiß der Kommissar, der endlich darüber spricht, was er jahrzehntelang sorgsam in seiner Seele abgelegt und verschlossen hat. Auch die beiden verwundeten Kriegsheimkehrer, Timo und dessen Vater, erkennen offenbar, dass Selbstisolation und Weltflucht nicht die Antwort auf ihre traumatischen Erlebnisse sein können. Und auch der Rechtsmedizinerin Marlene, die Frau, die Krüger gern sehr viel näher wäre, als er zulassen kann, lastet etwas schwer auf der Seele. Es sind tiefgreifende Ängste, eine existenzielle Verzweiflung, die sie mit dem Tod liebäugeln lässt. Beinahe hätte die Vergangenheit seiner Familie Krüger schon wieder eingeholt. Doch jetzt geht er – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Riesenschritt nach vorn, rettet seine Vertraute und scheint sich von dem Einsiedlerleben verabschieden zu wollen.

Spreewaldkrimi – Spiel mit dem TodFoto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Der Kommissar und die Rechtsmedizinerin. Zwei, die sich in allen „Spreewaldkrimis“ so nahe sind und doch nicht zueinander finden, ja die es nicht einmal schaffen, miteinander über das Wesentliche in ihrem Leben zu reden. Claudia Geisler & Christian Redl

„Dieser Film ist der Einbruch des Realen in das Märchenhafte. Der Spreewald gehört zum Osten Deutschlands. Alle Probleme des Landes finden sich auch hier. Vielleicht etwas gedämpfter, etwas malerischer als in einer Großstadt. Aber die Membranen sind durchlässig – in beide Richtungen. Für mich war der Spreewald noch nie so entzaubert wie dieses Mal.“ (Thomas Kirchner, Drehbuchautor)

Der Spreewald wird (sozial)politisch entzaubert, wird zum Spiegel des Krieges
„Der Spreewaldkrimi“ öffnet sich deutlicher als bisher der gesellschaftlichen Realität und Zeitgeschichte. Der Kriegsalltag in Afghanistan findet zwar nur mit wenigen Bildern Eingang in den Film, dafür werden seine Folgen für die Betroffenen umso deutlicher: Wir sehen den Ex-Soldaten, wie er sich kurz nach der Heimkehr in Kriegsspielen die Erinnerung aus dem Kopf ballern möchte, und wir sehen ihn, wie er sich im Überlebenstraining jenseits der Zivilisation übt. Für den jungen Mann scheint diese Reise in den Spreewald eine Reise in seine Kindheit zu sein, um mit Erinnerungen aus jener glücklichen Zeit den Afghanistan-Albtraum zu überdecken. Aber immer wieder werden Kriegsbilder in den Survivaltrip eingeschnitten. So stellen sich für den kriegsbildererprobten Zuschauer kraftvolle Assoziationen her: Wer den Vietnamkrieg noch aus den Nachrichten kennt oder wer ihn später nachgestellt in Kriegsfilmen wie „Platoon“, „Apocalypse now“ und „Full Metal Jacket“ im Kino erlebt hat – der imaginiert mit diesem Spreewald auch ein Stück weit jenen legendären Dschungelkrieg. Ein weiterer Blick auf den Krieg kommt durch die jüngere Halbschwester des Soldaten ins Spiel. In einer Art Prolog singt sie ein Klagelied über den Krieg in Afghanistan („Sie irren wie Blinde und sind uns so nah“) und begleitet sich dabei auf der Gitarre. Diese zarte, anrührende Reminiszenz an die Folk- und Protestsongs gegen den Vietnamkrieg – der Text stammt irrwitzigerweise von Theodor Fontane, „Das Trauerspiel von Afghanistan“ (1859) – wird mit Bildern unterlegt von der Vorgeschichte des Films: der Einsatz in Kabul, das Sterben, der Schmerz, das Überbringen der Todesnachricht von Karl, Timos bestem Freund, der mit ihm zur Bundeswehr und nach Afghanistan ging, weil es für sie keine Jobalternativen gab. Eine stimmungsvolle Einführung in die Geschichte, passend zu einem Film, der in Bildern erzählt.

Spreewaldkrimi – Spiel mit dem TodFoto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Ein Bild wie aus längst vergangenen Zeiten. Eine Frau, zu der sich Thorsten Krüger offensichtlich hingezogen fühlt. Das fängt beim Brotbacken an – was ihn an seine Kindheit und seine Mutter erinnert. Katrin Schwalm (Karoline Eichhorn) erlebt heute ähnliches mit ihrem Sohn wie der überforderte Thorsten als Kind mit seinem Vater.

„In jedem ‚Spreewaldkrimi’ gibt es mehrere parallele Handlungsstränge, Rückblenden und daher Zeitsprünge, Visionen und Träume – alles sorgfältig ineinander verwoben. Hierfür eine angemessene Bildsprache zu finden ist für Regie, Kamera, Szenenbild und Kostüm eine der größten Herausforderungen. Jede Szene verlangt Authentizität, muss sich aber in ein geschlossenes Ganzes einfügen, damit der Film auch bei den Abschweifungen durchgehend seine hohe Krimi-Spannung hält. Der Wald hat uns dabei geholfen – er ist immer wieder verbindendes Topos der Erzählstränge.“ (Christian Görlitz, Regisseur)

Trotz Krieg-Diskurs bleibt der Film der poetischen Tonlage der Reihe treu
Auch wenn die (sozial)politische Wirklichkeit in diesen „Spreewaldkrimi“ gleich doppelt eindringt, weil braune Brühe eben nicht nur durch die Spree fließt, wie Kollege Fichte weiß, und weil es neben dem biologischen auch noch den materiellen Überlebenstrieb gibt, so bleibt auch der Film von Christian Görlitz (wann wird sein Grimme-Preis-gekröntes ZDF-Drama „Freier Fall“ endlich einmal wiederholt?!) der poetischen Tonlage dieser außergewöhnlichen ZDF-Krimidrama-Reihe treu. Der Mordfall von „Spiel mit dem Tod“ mag auf einem eher unspektakulären Nebenschauplatz aufgelöst werden. Das ist hier aber nicht Zeichen eines schlecht strukturierten Krimis, sondern Hinweis auf ein außergewöhnlich gutes Drama. Der Krimi ist in dieser Reihe seit jeher im besten Sinne äußerer Vorwand, um eine sehr viel tiefere und nachhaltigere Menschengeschichte zu erzählen. Prototypisch steht dafür Christian Redls Kommissar Krüger. Er ist kein klassischer Reihen-Kriminaler, für dessen Verkörperung sein Darsteller Schießtraining machen müsste. Dieser Krüger verabscheut sogar die strategische Psychologie, wie sie die Polizeiarbeit in herkömmlichen Ermittlerkrimis fordert. Wenn dieser kahlköpfige Schweiger in den Wald geht, um mit dem jungen Soldaten zu sprechen, dann nicht, um ihn zu manipulieren. Er tischt ihm keine Märchen auf, sondern erzählt ihm ehrlich seine eigene Geschichte. Krüger verfolgt eine zutiefst humanistische Psychologie. Er ist ein Kommissar – besser: ein Mensch mit Charakter. Schön, dass er nun auch den therapeutischen Wert des Redens für sein eigenes Selenheil entdeckt hat. (Text-Stand: 19.1.2017)

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Reihe

ZDF

Mit Christian Redl, Thorsten Merten, Rick Okon, Karoline Eichhorn, Claudia Geisler, Lea van Acken, Eva-Maria Jost, Jan Pohl, Jil Funke, Christian Kuchenbuch, Ludwig Simon, Katrin Wehlisch, Anke Retzlaff, Golo Euler, Christian Blümel, Walter Kreye

Kamera: Andreas Höfer

Szenenbild: Thilo Mengler

Kostüm: Petra Fichtner

Schnitt: Marcel Peragine

Musik: Ulrich Reuter

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Wolfgang Esser

Drehbuch: Thomas Kirchner

Regie: Christian Görlitz

Quote: 5,75 Mio. Zuschauer (17,5% MA)

EA: 13.02.2017 20:15 Uhr | ZDF

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