Sprachlos in Irland

Andrea Sawatzki, Götz Schubert, Beatrice Meier, Florian Gärtner. Angenehm britisch

Foto: Degeto / Martin Maguire
Foto Rainer Tittelbach

Eine Perfektionistin mit Englischschwäche, der das berufliche Aus droht, bucht in der irischen Pampa einen Sprachkurs und ist guter Dinge, doch der erste Eindruck ist niederschmetternd: Die Sprachlehrerin ist hauptberuflich Bestatterin und der zweite Kursteilnehmer, ein Tom-Jones-Imitator, ist noch gewöhnungsbedürftiger. Erwartungsgemäß ist der zweite Eindruck ein ganz anderer… Was wie die übliche Selbstfindungsmär klingt, die das öffentlich-rechtliche Unterhaltungsfernsehen ihrer Zielgruppe seit Jahren mit Vorliebe präsentiert, entpuppt sich bald als einer der schönsten „Endlich Freitag“-Filme der letzten Monate. „Sprachlos in Irland“ (Odeon Fiction) ist nicht nur gut gemacht, was die Dialoge, die luftig-rauen Outdoor-Szenen, die liebevolle Ausstattung der Innenräume, die an den Charakteren orientierte Narration, die Folk-Einlagen oder die sehr stimmige Besetzung betrifft, sondern dieser Film macht Laune, von der ersten bis zur letzten Minute. Es ist ein Feelgood-Movie mit kleinen Widerhaken. Im Anblick des Todes macht man sich eben grundsätzlichere Gedanken über das Leben.

Connie (Andrea Sawatzki) ist der Inbegriff der Perfektion und als Chefsekretärin ist sie ohnehin die Beste. Doch mit dem neuen Juniorchef weht ein neuer Wind in der Firma: Englisch wird Geschäftssprache – und das ist Connies wunder Punkt. Ihr erstes Meeting „in english“ geht daneben und dann wird auch noch ihr Kurs in Oxford-Business-Englisch gecancelt. Der einzige aktuell verfügbare Sprachkurs wird in Irland angeboten. „Buch das, Hase“, rät Göttergatte Dirk (Thorsten Merten). Gesagt, getan. Doch der erste Eindruck ist niederschmetternd: Sprachlehrerin Gillian (Claire O’Donovan) ist hauptberuflich Bestatterin. Und wenn sie Kundschaft hat, fällt der Kurs aus, dann gibt es „Lessons“ außer Haus. Bei ihrem ersten „Ausgang“ wird Connie gleich beklaut. Hinzu kommt, dass auch der zweite Kursteilnehmer, der Tom-Jones-Imitator Max (Götz Schubert), mehr als gewöhnungsbedürftig ist. Der strukturierten Connie ist das alles viel zu chaotisch. Nach dem ersten Tag will sie nur noch weg. Der zweite Eindruck fällt jedoch schon freundlicher aus: So muss Connie erkennen, dass Gillian keineswegs pietätlos ist, sondern dass sie ihren Beruf leidenschaftlich liebt, und auch der lebenslustige Max ist kein „Kinderschänder“, sondern nur ein Vater, der mit seiner in Irland lebenden Tochter Amy (Ella Lee) Versäumtes nachzuholen versucht.

Sprachlos in IrlandFoto: Degeto / Martin Maguire
Ein Pub-Besuch zur rechten Zeit kann helfen, die verfahrene Situation zu entspannen. Andrea Sawatzki spielt sich durch mehrere Tonlagen. Ein großes Plus dieses ARD-Freitagfilms ist auch die Irin Claire O’Donovan und der Umgang mit den Sprachen.

Selten war ein Filmtitel eines ARD-Freitagfilms so passend: „Sprachlos in Irland“ bezieht sich nicht nur auf die Englischschwäche der Hauptfigur, ihre Sprachhemmung, weil sie sich als Perfektionistin ständig selbst unter Druck setzt, sondern auch auf die „Sprachlosigkeit“ im Sinne von Entrüstung. Eine Sprachschule, die eigentlich ein Bestattungsunternehmen ist, ein Fahrer (Don Wycherley), der neben den Gästen aus Germany im Innenraum seines Wagens auch noch toten Fisch transportiert, eine Sprachlehrerin, die beim Frühstück mit der Asche der Toten hantiert und bei der Versorgung der Leichen ein fröhliches Liedchen trällert, nein, das geht der deutschen Chefsekretärin zu weit, das verschlägt ihr anfangs geradezu die Sprache. Darüber hinaus weckt der Titel dieser Degeto-Produktion Assoziationen an die Hollywood-Komödie „Schlaflos in Seattle“. Das aber ist weniger eine PR-Versprechung als vielmehr ein Hinweis auf die Tonlage dieser Dramedy, die anfangs auf das komödiantische Können von Andrea Sawatzki setzt, bevor sie zunehmend die Problemzonen jener Generation betont, die auf die Sechzig zugeht. Da ist der Mann, der erst jetzt erkennt, was seine jahrelange Abwesenheit für seine Tochter bedeutet hat, und da ist die Frau, die mal wieder glücklich ist und einiges in ihrem viel zu fremdbestimmten Leben infrage stellt. Die Begegnung der beiden plus dieser Irish Touch sorgt für Veränderung in kleinen Schritten: Connie zeigt Max wie Familie und Verantwortung geht, und er macht ihr Lockerheit und Coolness vor.

Sprachlos in IrlandFoto: Degeto / Martin Maguire
Der Englischkurs mag nicht optimal sein, aber Max (Götz Schubert) und Connie (Andrea Sawatzki) werden dafür von Shane (Don Wycherley) und Gillian (Claire O´Donovan) herzlich aufgenommen. Das Springen von der Klippe allerdings, ein Zeichen für die unbändige Lebenslust der Irländer, ist für die Deutsche noch zu viel.

Was nach Geschichte und Dramaturgie wie die übliche Selbstfindungsmär klingt, die das öffentlich-rechtliche Unterhaltungsfernsehen ihrer Zielgruppe seit Jahren mit Vorliebe präsentiert, entpuppt sich bald als einer der schönsten „Endlich Freitag“-Filme der letzten Monate. Kann Andrea Sawatzki zu Beginn noch etwas von ihrer Ulknudel-Figur aus „Familie Bundschuh“ zeigen, so erhält die Komik ihrer verzweifelten Sekretärin bald ein immer feinsinnigeres, menschlicheres Antlitz. Diese Frau steckt so fest in ihrem Leben, dass sie alles nur von ihrer Warte aus betrachten kann, und die Aussicht, statt Office-Managerin zu werden, bald vielleicht in der Buchhaltung zu landen, setzt sie zunehmend unter Druck. Spätestens als alle Vorurteile ausgeräumt sind, als die Figur ihre angelernten Hemmungen zugunsten einer gesunden, nie unglaubwürdig übertriebenen Lebensfreude abgelegt hat, zieht Sawatzki alle Register ihrer Darstellungskunst, bei der die Zwischentöne entscheidend sind. Gleiches gilt für die Erzähltonlage, die Autorin Beatrice Meier („Alleine war gestern“ / „Eine Sommerliebe zu dritt“) und Florian Gärtner („Schwarzbrot in Thailand“) für ihren Film gefunden haben. Alles ist präzise aufeinander abgestimmt: der trockene, leicht schwarze Humor, der nicht zuletzt von den „authentisch“ besetzten Claire O’Donovan und Don Wycherley lebt, der sorgfältige Umgang mit den Sprachen, Untertitel inklusive, und die typische britische Prise Realismus, der sowohl in den Bildern als auch der Handlung (in Irland braucht man mehrere Jobs zum Leben) seinen Widerhall findet. Insgesamt ist ein angenehmer Hang zum Episodischen auszumachen. Dazu gehören unter anderem die kleinen Missgeschicke und Missverständnisse im ersten Drittel des Films. Trotz aller Probleme, die die Hauptfiguren umtreiben, hat man bei „Sprachlos in Irland“ das Gefühl, der Film erzähle eine Geschichte, leicht und locker aus dem Alltag heraus, statt einen Konflikt durch eine stereotype Dramaturgie zum Happy End zu pressen, wie es immer noch zu viele deutsche Fernsehfilme des leichten Genres tun.

Sprachlos in IrlandFoto: Degeto / Martin Maguire
Statt Englisch-Lektionen: Lernen fürs Leben. Max (Götz Schubert) macht Connie Lockerheit und Coolness vor, sie zeigt wie Familie und Verantwortung gehen. Auch für den Umgang mit seiner Tochter (Ella Lee) hat sie ein paar gute Ratschläge parat.

Auch wenn im letzten Drittel gelegentlich die obligatorische Fernsehdramaturgie über die schönen kleinen, unerwarteten Momente obsiegt und Retardationen das glückliche Ende aufschieben, so gehört diese Degeto-Produktion doch zu den wenigen Fernsehfilmen dieser Programmfarbe, die der Kritiker mit bangem Blick auf die Uhr verfolgt hat – nicht in Hin-blick auf ein erhofftes baldiges Ende, sondern im Gegenteil mit einem Gefühl des Bedauerns, dass die 90 Minuten allzu bald vorbei sein könnten. „Sprachlos in Irland“ ist also nicht nur gut gemacht, was die Dialoge („Schon früher konnten wir uns unsere Klassenkameraden nicht aussuchen“), die luftig-rauen Outdoor-Szenen, die liebevolle Ausstattung der Innenräume, die an den Charakteren orientierte Narration, die folkmusikalischen Einlagen oder die durchweg sehr stimmige Besetzung angeht, sondern dieser Film macht Laune, von der ersten bis zur letzten Minute. Es ist ein Feelgood-Movie mit kleinen Widerhaken. Das Meer, der Himmel, die Weite und auch die besondere Profession ihrer Gastgeberin lassen die Heldin immer wieder nachdenklich werden. Im Anblick des Todes, der Vergänglichkeit des Menschen, macht man sich nun mal grundsätzlichere Gedanken über das Leben. (Text-Stand: 9.12.2021)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Andrea Sawatzki, Götz Schubert, Claire O’Donovan, Thorsten Merten, Ella Lee, Don Wycherley, Sarah Hannemann, Dagmar Döring, Axel Werner, Patrick Güldenberg

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Derek Wallace

Kostüm: Teresa Grosser

Schnitt: Bernhard Wießner

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Katja Kirchen, Stefan Kruppa

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Geraldine Voss, Rima Schmidt, Benjamin Schacht

Drehbuch: Beatrice Meier – nach einer Idee von Melanie Bukowski und Bianca Ritz

Regie: Florian Gärtner

Quote: 4,77 Mio. Zuschauer (15,2% MA); Wh. (2023): 2,72 Mio. (11% MA)

EA: 07.01.2021 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach