Ermittlungen, Affären & ein alter Freund in der Schrottpresse
Ein Toter auf dem Schrottplatz. Ausgerechnet den Besitzer hat es erwischt: Dem hat jemand eine Kugel verpasst und anschließend hat die Schrottpresse ganze Arbeit geleistet. Kein leichtes Ermitteln für Franz Germinger junior (Maximilian Brückner). Denn bei dem Toten handelt es sich um Anton, der früher so etwas wie ein zweiter Vater für ihn war. Und weil er auch der besondere Spezi war von Franz Germinger senior (Friedrich von Thun), als Polizist eine Legende, als Vater aber offenbar etwas einseitig auf Tochter Anna (Marlene Morreis) fixiert, mischt sich der längst pensionierte Hauptkommissar heimlich in die Ermittlungen ein. Grund dafür ist, dass der Dritte im Bunde der alten Männer, Harry (André Jung), mächtig in Schwierigkeiten geraten ist. Ein ganz übler Kreditmafioso (Thomas Schmauser) macht ihm und seinem Neffe (Frederic Linkmann), der gern ein cooler Gangster wäre, das Leben schwer. Und so muss der Germinger senior seinem Sohn ins Handwerk pfuschen, um seinem alten Kumpel die Haut zu retten. Der Sohnemann aber ist ein ganz Korrekter – weshalb er auch seine Schwester, die gern mal die Dienstvorschriften umgeht und deshalb zum Bruder strafversetzt wurde, auf dem Kieker hat. Aber im Grunde stinkt ihm die ganze Familie: der Vater, der ins Luxusbordell geht, die Mutter Erika (Gundi Ellert), die eine Affäre mit seinem Kollegen Karl (Jockel Tschiersch) hat, der zudem der Nachbar ist – und er mit seiner Tochter (Stella Föringer) mittendrin. Denn alle wohnen unter einem Dach. Adresse: Schwarzach 23.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Faszinierend auf den ersten Blick: Exposition voller Rasanz & Ironie
Vor dem ersten Blick sieht es so aus, als ob bei der neuen Samstagskrimi-Reihe „Schwarzach 23“ in erster Linie Kalkül im Spiel war: Und was fehlt denn noch im ZDF-Programmkatalog an Krimi-Farben? Weil Blut dicker als Wasser ist, könnte Familie den Krimi bereichern – könnte eine Überlegung gewesen sein. Doch schon der erste Blick macht diese Spekulationen vergessen. Mit einer ebenso dichten wie originellen Exposition nimmt einen dieser Krimi mit einem Augenzwinkern sofort gefangen: ein toter Freund, makabre Todesumstände, eine Razzia im Puff, bei dem der junge den alten Germinger bei der Montagsmassage überrascht und dabei auf die aparte Lilly trifft, die auch der Junior später näher kennenlernen soll. Und weshalb hat sich wohl Kollege Karl vom Tatort weggeschlichen? Für ein Schäferstündchen mit Erika Germinger. Als Karl das Haus Schwarzach 23 verlässt, läuft ihm Erikas Gatte, der Franz senior, in die Arme („den Dings und den Bums gebracht“). Parallel zu dieser Einführung in die speziellen Familien-Verhältnisse wird aber auch schon der Tatort inspiziert, dabei kriegt gleichsam das Spannungsverhältnis der Geschwister erste Konturen, es kommt der mögliche frankophile Killer ins Spiel, der alsbald den noch lebenden Kumpel des alten Germinger zum Selbstmord zwingt. Nicht zu vergessen, dass der Germinger junior „Visionen“ hat, die ihm auch beim Lösen seiner Fälle gelegentlich nützlich sein dürften. Das alles erfährt man in 15 Minuten, die nicht nur dramaturgisch rasant, sondern auch Look- und Schnitt-technisch klare Ansagen machen. Die Kreativen, allen voran Regisseur Matthias Tiefenbacher („Tatort – Das Wunder von Wolbeck“) und Kameramann Martin Farkas, haben amerikanische Serien gesehen. Und die Autoren, Michael Comtesse und Christian Jeltsch, der das Buch bearbeitet hat, wissen, was deutsche Krimi-Reihen brauchen und wie man es verpackt.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
„Familie. Krimi. Bayern – Zutaten für altbekannte Programme. Wir haben das Bunte, das Liebliche, das Harmoniebedürfnis gestrichen. Haben geerdet. Und dabei Absurdes, Abgründiges, Wahrhaftiges gefunden. Herausgekommen ist „Schwarzach 23“, ein ‚Western’.“ (Christian Jeltsch, Michael Comtesse)
Suspense & Humor, Krimi & Komödie, Thrill & Beziehungsspiele
Das Geheimnis von „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“ hat gewiss einiges mit der bayerischen Mentalität zu tun, dem entsprechenden hinterfotzigen Humorverständnis, den dazu passenden Schauspielern und einer Erzähltonlage, die sich weniger an den ironisch gebrochenen Heimatkrimis der ARD orientiert, sondern sich einem schrägen Genre-Mix verschreibt. Der macht den Weg frei für Chansons, schmierige Gangster und Möchtegern-Stenze genauso wie für Familienzwiste, coole Songs, Alexis-Sorbas- & Western-Zitate oder Hitchcock-Mutter. Dass sich das Familienmotiv durch alle Geschichten und Konstellationen zieht, macht diesen Blutsbande-Krimi narrativ zu einer absolut runden Sache. Apropos Hitchcock: die große Kunst seiner Krimis war die Verbindung aus Suspense und schwarzem Humor, aus Krimi und Komödie, aus Thrill und Beziehungsgeschichten. Der Auftakt zur „Schwarzach“-Reihe sucht genau in diesen Spannungsfeldern eine Handschrift – und findet sie. Auch die „Figurenpolitik“ klappt bestens: trotz völlig realitätsferner Krimihandlung erdet die Familie das Genre und lässt die Figuren nah an den Zuschauer herankommen. Da ist mehr als Sympathie im Spiel. Und was auch jeder gute Hitchcock-Film hat, das sind die drei, vier Szenen, die man nicht vergessen wird. Im „Schwarzach 23“-Auftakt sind es die Szenen mit der schrecklichen Mutter, die mit ihren zahlreichen Brechungen zu einem Fest der absurden Doppelbödigkeit werden, die Puff-Razzia, der Showdown, der ein grandioses Bild für die Annäherung zwischen Vater und Sohn liefert und damit dem launigen Ende den Weg bereitet.
Überhöhung der Realität + Überzeichnung mit System = klarer Genre-Mix
Für einen TV-Krimi besticht dieser 90-Minüter der Münchner TV60Filmproduktion durch die systematische Überhöhung der Realität. „Schwarzach 23“ bewegt sich souverän auf einer fiktionalen Ebene und bleibt dennoch emotional anschlussfähig durch das zeitlose Thema Familie. Die Verzahnung von Tatort und Wohnort, von Fall und Privatleben wechseln mit traumwandlerischer Sicherheit. Das liegt vor allem auch daran, dass der Film – wie oben für die Exposition ausgeführt – auch auf die ganze Länge hin dramaturgisch geradezu vorbildlich strukturiert ist. Es passiert viel, es geht hin und her und doch fließen die oft parallel erzählten Szenen nahtlos ineinander, das Meiste erschließt sich, wenn einmal nicht, dann genießt man den Augenblick, lässt sich überraschen und wartet ein wenig. Tiefergehende und länger anhaltende Irritationen gibt es nicht. Beabsichtigt ist Unterhaltung auf höchstem Niveau – schnell und dicht erzählt, komplex, aber nie kompliziert, handwerklich internationales Premiumserien-Level im Blick und die Grund-Konstellation getragen von regionaler Mentalität und am Ende sogar von herzerwärmender Individualität. Und Ironie besitzen nicht nur die Dialoge (wie bei der Konkurrenz aus Münster), Ironie ist dem alten Germinger in sein Wesen eingepflanzt. Aber die Ironie steckt auch in der Erzählweise, in den Bildern und auch in der Abstraktion: der Kombination der verschiedenen Genre-Zeichenwelten (Liebe & Tod, Familienserie, Krimi, Western, Beziehungsfilm, Familienhorror), denen sich der Film bedient.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Vorzüglicher Hauptcast – und jeder Nebendarsteller hat seinen Moment
Kein „System“ ohne menschlichen Faktor. Die Besetzung weist keine Überraschungen auf – und doch gibt es nichts zu bemängeln. Im Gegenteil. Friedrich von Thun erweitert seine lebenslustigen Sugar-Daddy-Rollen um einen Mann, der zudem noch tut, was ein Mann tun muss, wenn ein Freund in der Klemme steckt. Der Fernsehdauergast (auch in mittelmäßigen Filmen) hat zuletzt mit der losen Reihe um die Unternehmerfamilie Maillinger, mit „Familie Sonntag auf Abwegen“ und „Letzte Ausfahrt Sauerland“ gezeigt, wie viel Spiellust noch in ihm steckt. „Schwarzach 23“ variiert nun seinen Rollen-Typus und hier trifft die Ironie der Vorlage auf einen Schauspieler, der in diesem Fach der dezenten Anführungszeichen einer der größten hierzulande ist. Auch Maximilian Brückner ist eine ebenso gute wie naheliegende Wahl, wenn es um die weißblaue Besetzung eines kernigen Mittdreißigers geht. Er wirkt hier sehr viel authentischer als im Saarbrücker „Tatort“, in dem er anfangs stark auf sein Bayerischsein reduziert wurde. Dass er ein Klasse-Charakterkopf ist, bewies er zuletzt in „München Mord“ als menschliche Zeitbombe. In „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“ ist er der Humorloseste der drei Hauptfiguren; damit muss er die Lockerheit von Vater und Schwester ausgleichen. Nach 90 Minuten deutet sich jedoch ein Wandel in der angespannten Figurenkonstellation der Germingers an. Allerdings wird Schwester Anna wohl weiterhin im Beruf die unkonventionellen Wege gehen. Marlene Morreis wurde nicht nur in ihrem Hang, ihre Rollen oft allzu karikierend anzulegen und dabei gelegentlich etwas bajuwarisch Penetrantes an den Tag zu legen, deutlich von Regisseur Tiefenbacher gebremst, sondern sie überzeugt auch in der wohl erinnerungswürdigsten Szene des Films, in der sie sich mit der großartig von Elisabeth Schwarz verkörperten Hitchcock-Mutter, Frau Spatz (die ihr Gegenüber „mit dem Mund“ ähnlich malträtiert wie die Krähen und Möwen in „Die Vögel“ mit ihren Schnäbeln), ein absurd-irres Wortduell liefert. Die besondere Klasse eines Films lässt sich im Übrigen oft an den Nebendarstellern respektive den Nebenrollen festmachen. In „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“ hat jeder seine großen Momente: Gundi Ellert (dieses indirekte Reden!), Thomas Schmauser (diese Lust aufs Krimiklischee!), Jockel Tschiersch (diese Verkörperung des schlechten Gewissens!), André Jung (diese Verzweiflung im Gesicht!), Frederic Linkemann (dieser Depp!), Judith Bohle (dieses Lächeln!!!), Dorothee Hartinger (diese eine Handbewegung!), Michael A. Grimm (dieser Gang!) & besagte Elisabeth Schwarz mit ihrem schrecklich komischen Kabinettstück. Fazit: ein intelligenter TV-Krimi – eine Genre-Mixtur, die gute Laune und Lust auf mehr macht. (Text-Stand: 14.9.2015)