Der unverbesserliche Straftäter Fritz Meinering (Lars Eidinger), der in Rio mit 12 Kilo Kokain festgenommen wurde, vegetiert in einem brasilianischen Gefängnis vor sich hin. Sein Halbruder (Jürgen Vogel), von dem der unbedarfte Drogendealer nichts weiß, beauftragt den Anwalt Friedrich Kronberg (Moritz Bleibtreu), sich für Meinering und dessen Prozess in Brasilien zu engagieren und sich für eine rasche Überführung nach Deutschland einzusetzen. Die Hoffnung, vielleicht bald in die Heimat zurückzukehren, lässt den vom Alkohol gezeichneten Berliner wieder aufleben, der überraschend gut mit Kronberg kooperiert. Er erzählt dem Anwalt seine Lebensgeschichte: Alkoholiker-Mutter, Kinderheim, abgebrochene Ausbildung, selbst dem Alkohol verfallen, Schulden; ein stümperhafter Überfall bringt ihn schließlich das erste Mal in den Knast. Er rappelt sich wieder auf: Entzug, Job, Freundin (Jennifer Ulrich), doch mit dem Alkohol kommt die Eifersucht; er schlägt brutal zu und landet wieder im Gefängnis, wo die Weichen für seine missglückte Karriere als Dealer gelegt werden. Meinering kommt in dem brasilianischen Gerichtsverfahren glimpflich davon. Nach seiner Entlassung wieder in Deutschland erhält er eine letzte Chance. Wird er sie nutzen?
Foto: ZDF / Julia Terjung
Die vier neuen Episoden der ZDF-Reihe „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach – „Kinder“, „Anatomie“, „Das Cello“, und „Familie“ – schließen mit dem gleichen narrativen Konzept und denselben filmischen Qualitätsstandards an die ersten sechs Filme an. Erzählt werden Lebensgeschichten als faszinierende Miniaturen, die auf das Wesen eines Menschen und auf das Wesentliche einer Erzählung reduziert sind. Die Schauspieler, allen voran Moritz Bleibtreu, sind namhaft, und ihr Spiel ist konzentriert. Die Zeitebenen verschmelzen wie von Geisterhand miteinander, Situationen werden häufig assoziativ montiert. Mit ihren Auslassungen, Andeutungen und symbolischen Verdichtungen ähneln diese 45-Minüter der Art, wie Rock- und Popsongs ihre Geschichten erzählen. Und wie meistens in Moovie-Produktionen gibt es viel zu gucken und zu entdecken.
„Familie“, der letzte Beitrag der zweiten Staffel der Ausnahmeserie „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach, erzählt die Geschichte zweier völlig unterschiedlicher Halbbrüder. Der eine hat sich von dem kriminellen Erbe des Vaters losgesagt, war eine Zeitlang in Japan im Kloster, hat sich auf ehrliche Weise genügend Wohlstand erarbeitet, um heute als Privatier sein Leben zu genießen. Der andere verfällt früh – wie seine Mutter – dem Alkohol. Diese Sucht wird ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen und in immer größere Schwierigkeiten bringen. Der Film wird zunehmend zu einem Porträt eines Unverbesserlichen, der nach jeder „Rettung“ gute Vorsätze hat, aber dem ein langfristiger Neuanfang nicht gelingen will. Immer wieder zieht dieser Unglückselige das Unheil an. Lars Eidinger spielt ihn mit psychophysischer Lust an diesem ungepflegten Chaoten, mit diversen Brillen, mit Zauselfrisur, mal mit mal ohne Bart. Der Alkohol mag die Geisel seiner Biographie sein; der von Jürgen Vogel nach dem Prinzip „In der Ruhe liegt die Kraft“ gespielte Bruder, der vielleicht entspannt, aber nicht glücklich wirkt, glaubt dagegen an einen Fluch, der auf der Familie liegt. Die Episode „Familie“ ist eine Tragödie, die in Form einer kontinuierlichen Abwärtsspirale erzählt wird. Diese esoterisch angehauchte mythologische Geschichte behält dennoch über die gesamten 45 Minuten ihre innere, aber auch äußere Spannung. Und vom Spiel her sind die Doppel Eidinger/Bleibtreu und Vogel/Bleibtreu einfach ein Genuss. Aber auch Lars Eidingers Solos in den Rückblenden, dieser ambivalente Charakter in seiner Anlage als hoffnungsloser Traumtänzer am Abgrund zur Gosse, sind eine große Menschen-Darstellung in einem kleinern Format. Auch die ästhetische Eleganz der Zeit- und Ortsprünge fällt immer wieder angenehm ins Auge.
Foto: ZDF / Julia Terjung
Die sechs Filme der ersten Staffel von „Schuld“ (2015)
„Der Andere“: Ein Ehepaar lässt sich auf nicht ungefährliche sexuelle Praktiken ein: die Frau schläft mit anderen Männern und ihr Mann filmt sie dabei. Die Gier nach dem Kick endet mit einer Anklage wegen versuchten Mordes. „Schnee“: Einem alten Mann, in dessen Wohnung Drogen gestreckt und abgepackt werden, droht eine hohe Haftstrafe wegen Drogenhandels „unter Mitführung einer Waffe“. Er schweigt, weil ihm das Glück einer jungen Frau wichtiger ist als seine Freiheit. „Ausgleich“: Eine Ehefrau wird über Jahre von ihrem Mann misshandelt und vergewaltigt. Dann ist der Peiniger plötzlich tot, ihm wurde nachts im Schlaf der Kopf eingeschlagen. Ein klarer Fall von Heimtücke? „Die Illuminaten“: Ein Junge wurde in einem Internat über Jahre gemobbt. Endpunkt ist eine tragische Dämonen-Austreibung. Das Fatale: der Teenager fühlt sich schuldig und willigte in das grausame Ritual ein. „DNA“: Ein junges Obdachlosen-Pärchen tötet in Panik einen Mann, beklaut ihn und gibt seinem Leben mit dem Geld eine glückliche Wende – bis die forensische Wissenschaft dem Familienglück ein Ende zu bereiten droht. „Volksfest“: Unbemerkt vergewaltigen die Musiker einer Showkapelle während eines Volksfests eine Kellnerin. Einer der neun Männer ist unschuldig. Wird die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten die Tat nachweisen können?