Schattenwelt

Noethen, Petri, Kockisch, Mattes, Connie Walther. RAF-Drama als Arthaus-Diskurs

Foto: BR / Olaf Aue
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Handlungskern ist faszinierend: Ein begnadigter Ex-Terrorist trifft auf die Tochter eines seiner Opfer. Regisseurin Connie Walther erzählt die Geschichte, an der auch RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Book mitgewirkt hat, im entschleunigten Rhythmus eines Arthaus-Dramas, im wahrsten Sinne des Wortes farblos und sehr dialoglastig. Besonders im Fernsehen ist diese Ästhetik eine Herausforderung für den Zuschauer. Bei seinem Kinostart erhielt der Film dagegen vorwiegend positive Kritiken, hatte aber so gut wie kein Publikum. Die Besetzung von „Schattenwelt“ ist äußerst bemerkenswert und Ulrich Noethen ist hervorragend.

Das Etikett ist rasch vergeben: „Schattenwelt“ erzählt von den Folgen eines missglückten terroristischen Anschlags, die das Leben sämtlicher Betroffenen auch über zwei Jahrzehnte später noch bestimmt; es handelt sich also im weitesten Sinne um ein RAF-Drama. Regisseurin Connie Walther und SWR-Redakteur Ulrich Herrmann erzählen eine scheinbar bekannte Geschichte aus ungewohnter Perspektive. Der Täter spielt zwar eine zentrale Rolle, doch die bestimmende Figur der Handlung ist eine junge Frau, die damals nur mittelbar an den Ereignissen beteiligt war und deren Dasein dennoch für immer aus der Bahn geworfen ist.

Aus der theoretisch faszinierenden Konstellation hat Walther, die im selben Jahr (2007) die wunderbare Stasi-Romanze „12 heißt ich liebe dich“ (Deutscher Fernsehpreis) und kurz darauf „Frau Böhm sagt nein“ (Grimme-Preis) gedreht hat, einen Film gemacht, der es gerade in der ersten Hälfte dem Zuschauer nicht leicht macht. In langen starren Einstellungen schaut die Kamera dabei zu, wie sich der nach 22 Jahren Haft in einem Freiburger Gefängnis überraschend begnadigte Ex-Terrorist Widmer (Ulrich Noethen) in der Freiheit einrichtet, was durchaus wörtlich zu verstehen ist, weil er erst mal das Mobiliar in seinem Apartment neu arrangiert. Nebenan wohnt eine junge Frau (Franziska Petri), über die das Drehbuch, an dem auch RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock beteiligt war, zunächst nur zwei Dinge preisgibt: Sie hat einen kleinen Sohn, der aber bei Pflegeeltern lebt; und sie hat ein Verhältnis mit einem deutlich älteren Mann. Der verschwindet zwar gleich wieder aus der Handlung, aber da er von Uwe Kockisch verkörpert wird, ist klar, dass er später noch eine größere Rolle spielen wird.

„‚Schattenwelt’ wird von der Frage bestimmt, wie Opfer und Täter zu gleichberechtigt aktiven Figuren gemacht werden können, die gewissermaßen auf Augenhöhe agieren, ohne dass das Leid des einen und die Schuld des anderen relativiert werden. Connie Walther findet dafür ein paar starke, verstörende Bilder, etwa wenn der Ex-Terrorist und die Rächerin auf dem Balkon kiffen, während unter ihnen im Garten das Leben der anderen stattfindet. Fremd ist die Welt ihnen beiden im gleichen Maße – bloß ist eben der alte Mann dafür verantwortlich, dass es der jungen Frau so geht.“ (Christian Buß, Spiegel online)

SchattenweltFoto: BR / Olaf Aue
Der Zielfahnder von einst & die Anwältin des Ex-Terroristen: Uwe Kockisch & Tatja Seibt in Connie Walthers „Schattenleben“

Selbst wenn man weiß, um wen es sich bei der Frau handelt, werden die ersten vierzig Minuten nicht vordergründig spannender, regen aber zumindest schon die Phantasie des Zuschauers darüber an, wohin sich die Geschichte entwickeln könnte. Und dann überschlägt sich die Handlung urplötzlich, weil verschiedene nicht näher erläuterte Figuren, die in kurzen Einschüben zu sehen waren, eine Identität bekommen, und nun wird auch endlich die komplette Vorgeschichte nachgereicht: Mitte der Achtziger wollte RAF-Terrorist Widmer einen Bankpräsidenten entführen. Die Aktion misslang und eskalierte, als der Gärtner des Mannes seinem Chef zu Hilfe eilte, was beide mit dem Leben bezahlten. Bis heute ist nicht restlos geklärt, wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Fest steht jedenfalls, dass auch die „Pocke“ genannte Freundin Widmers beteiligt war. Sie hat sich anschließend in die DDR abgesetzt und sich später als Kronzeugin zur Verfügung gestellt. Außerdem ist sie die Mutter von Widmers damals noch kleinem Sohn. Die junge Nachbarin wiederum ist Tochter des Gärtners. Gemeinsam mit Widmer fährt sie nach Berlin, um nach seinem Sohn Samy (Christoph Bach) zu suchen. Unterwegs offenbart sie ihre wahre Identität, was zu kleineren Eskalationen führt; der Besuch bei Samy endet erwartungsgemäß mit einer Tragödie.

„‚Schattenwelt’ spielt im Hier und Jetzt und zeigt, dass die Geschichte keineswegs vergangen ist, sondern noch immer nachwirkt… ‚Schattenwelt’ provoziert nicht nur mit dem Affront, dass das Opfer am Ende zurückschießt (was wiederum einen Unschuldigen trifft)…“ (Peter Zander, Die Welt)

Auch wenn es einen gewissen Reiz hat, wie die Bruchstücke nach und nach ein Gesamtbild ergeben: Es ist alles andere als verwunderlich, dass „Schattenwelt“ trotz der namhaften Besetzung ein Jahr nach Bernd Eichingers und Uli Edels aufwändigen Spielfilm „Der Baader Meinhof Komplex“ eine fast schon grotesk enttäuschende Kinoauswertung erlebt hat (laut FFA nicht mal 5.500 Zuschauer). Dabei spielt Ulrich Noethen seine Rolle großartig, und Eva Mattes (als Pocke) war vermutlich froh, endlich mal wieder aus der Haut von „Tatort“-Kommissarin Klara Blum herauszukönnen. Doch der Film ist betont ungefällig inszeniert, die Bilder sind fahl und farblos (Kamera: Birgit Gudjonsdóttir), Musik gibt es mit Ausnahme des zweimal markant eingesetzten Can-Songs „Spoon“ gar nicht, und die Geschichte wird vorwiegend über die Dialoge erzählt. Das passt zwar durchaus zum Thema, wie auch der Verzicht auf Sympathieträger, dürfte den Film aber für viele Zuschauer – gerade im Fernsehen – zur Geduldsprobe werden lassen. Zwar sind sämtliche Figuren auf die eine oder andere Weise beschädigt, aber echtes Mitgefühl will sich anders als bei den vergleichbaren RAF-Dramen Christian Petzolds („Die innere Sicherheit“) oder Volker Schlöndorffs („Die Stille nach dem Schuss“) nicht einstellen.(Text-Stand: 1.8.2015)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kinofilm

Arte, BR

Mit Franziska Petri, Ulrich Noethen, Tatja Seibt, Uwe Kockisch, Eva Mattes, Christoph Bach, Mehdi Nebbou, Rino Zepf

Kamera: Birgit Gudjonsdóttir

Szenenbild: Agi Dawaachu

Schnitt: Karen Lönneker

Musik: Rainer Oleak

Soundtrack: Can („Spoon“)

Produktionsfirma: Gambit Film & Fernsehproduktion, Next Film Filmproduktion

Drehbuch: Ulrich Herrmann, Peter-Jürgen Boock, Connie Walther

Regie: Connie Walther

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach