Saat des Terrors

Christiane Paul, Lauterbach, Roll, Heidenreich, Harrich. Spannender Politthriller

Foto: SWR / Diwafilm
Foto Thomas Gehringer

Jana Wagner, BND-Agentin in Pakistan, erhält Hinweise auf einen Terror-Anschlag in Mumbai. Doch ihre Warnungen verhallen im Geflecht der verschiedenen Geheimdienste und politischen Interessen. „Saat des Terrors“ (ARD / diwafilm) ist ein packender Agenten-Thriller mit Anspruch. Grimme-Preisträger Daniel Harrich erzählt auf der Basis eigener Recherchen zu den Anschlägen von Mumbai im Jahr 2008 vom „Geschäftsmodell“ Terror und vom Versagen der westlichen Politik. Exzellent besetzt (Christiane Paul, Axel Milberg, Navid Negahban) und gekonnt von Alt-Meister Gernot Roll in Szene gesetzt. Was diese spannende, aufrüttelnde Polit-Fiktion mit der Gegenwart und mit Anschlägen in Europa zu tun hat, wird nur angedeutet – denn anschließend gibt’s noch die Doku zum Thema.

Der Anschlag zu Beginn des Fernsehfilms „Saat des Terrors“ ist nicht erfunden: Am 20. September 2008 explodierte ein mit Sprengstoff gefüllter Lastwagen vor dem Marriott Hotel in Pakistans Hauptstadt Islamabad. Mehr als 50 Menschen starben. Im Film tagt dort gerade eine internationale Agenten-Runde, bei der Jana Wagner (Christiane Paul) vom BND von Hinweisen auf ein geplantes Attentat im indischen Mumbai berichtet. Allerdings interessiert sich niemand so recht dafür. Die Prioritäten lägen gerade woanders, heißt es. Dann knallt es, die Agenten stürzen blutüberströmt auf den Boden, und bevor sich einige – nicht alle – gut 60 Film-Minuten später wieder aufrappeln werden, springt die Handlung erst einmal drei Wochen zurück. Man sieht Jana Wagner am Schreibtisch ihres Büros in der deutschen Botschaft. Die pakistanische Ehefrau eines westlichen Informanten behauptet, ihr Mann plane Anschläge. Jana zweifelt. Vielleicht ist Lamia Davis (Ankita Makwana) auch nur eifersüchtig, weil sie erfahren hat, dass ihr Mann noch mit einer zweiten Frau in den USA zusammen ist. Aber Lamia warnt eindringlich: „Das nächste Ziel ist Europa.“

Saat des TerrorsFoto: SWR / Diwafilm
Jana Wagner ist keine allzu ambivalente Figur, aber sie greift im Rahmen der Polit-Thriller-Dramaturgie und ist mit Christiane Paul perfekt besetzt. Angenehm zurückhaltend: Heiner Lauterbach als ihr Leibwächter & Chauffeur – ein stiller Begleiter.

Die Rolle der Geheimdienste im Krieg gegen den Terror
Daniel Harrich ist ein Spezialist für aufwändig recherchierte Primetime-Fiktion: Nach dem Oktoberfest-Attentat („Der blinde Fleck“), illegalen Waffenexporten („Meister des Todes“) und dem Handel mit gepanschten Medikamenten („Gift“) widmet sich Grimme-Preisträger Harrich nun der Rolle der Geheimdienste im Krieg gegen den Terror. Und auch diesmal bildet das Paket aus Fernsehfilm und anschließender Dokumentation („Spur des Terrors“) einen aufregenden und aufrüttelnden Programm-Abend im Ersten, der hoffentlich nicht folgenlos bleiben wird. Harrichs These, dass der Westen mit seiner Politik der Unterstützung der Feinde seiner Feinde den islamistischen Terror selbst mit gezüchtet hat, ist nicht neu. Allerdings untermauert der Autor-Regisseur dies mit wenig bekannten Details zur Vorgeschichte der Anschläge von Mumbai 2008 und Paris 2015 und zum Versagen westlicher Geheimdienste.

Hilfsgelder für Länder, die den Terror fördern
Dabei analysiert er Terror nicht nur als religiös oder ideologisch motiviertes Phänomen: „Terror ist ein Geschäftsmodell und Hebel für politischen Einfluss und Relevanz“, sagt Harrich. Das „doppelte Spiel“ von Nachrichtendiensten, beispielsweise in Pakistan, funktioniere so: Offiziell seien Länder wie Pakistan Partner im Kampf gegen den Terror, würden aber gleichzeitig heimlich genau die Terrororganisationen unterstützen, die sie eigentlich bekämpfen sollten. „So brodeln Konflikte weiter, bleiben Staaten relevant – und die Hilfsgelder fließen“, sagt Harrich laut ARD-Presseheft. Als Konsequenz fordert SWR-Redakteur Thomas Reutter forsch: „Ich erwarte, dass die deutschen Sicherheitsbehörden, insbesondere der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz, sich mit den Ergebnissen unserer Recherchen auseinandersetzen und genauer prüfen, mit wem sie zusammenarbeiten und wie weit sie sich selbst am Terror beteiligen, um Informationen aus Terrorkreisen zu erhalten. Aus meiner Sicht heiligt der Zweck nicht jedes Mittel.“

Saat des TerrorsFoto: SWR / Diwafilm
Jana Wagner (Christiane Paul) ist dem Bombenanschlag in Islamabad entgangen. Oberst Baqri (Navid Negahban, „Homeland“) vom pakistanischen Geheimdienst spielt eine zwielichtige Rolle im Zusammenhang mit den Geschehnissen.

Christiane Paul in einer Carrie-Mathison-Light-Version
Einen solchen komplexen politischen Stoff setzt man heutzutage gern auch als Serie um. Und natürlich darf man sich angesichts der Schauplätze, des Mitwirkens des Schauspielers Navid Negahban und der fiktiven Hauptfigur an „Homeland“ erinnert fühlen, wobei Jana Wagner weder eine bipolare Störung noch ein Verhältnis mit einem Terrorverdächtigen hat wie einst Carrie Mathison. Allerdings ist sie eine ebenso hartnäckige Agentin, die schon mal mit nächtlichen Telefonanrufen nervt und gerne auch im Alleingang ermittelt, drohender politischer Verwicklungen zum Trotz. Christiane Paul ist zweifellos eine Top-Besetzung; allzu ambivalent ist die „Heldin“ freilich nicht, vielleicht weil man in dem Geheimdienst-Wirrwarr wenigstens einen festen Anker setzen wollte. Erfreulich aber, dass hier keine Romanze oder sonstige private Verwicklungen vom eigentlichen Thema ablenken. Jana Wagner lebt hinter einer dreifach verriegelten Tür allein in Islamabad, und scheint nur einen Freund und Vertrauten zu kennen: Heiner Lauterbach spielt Nicholas Krüger, ihren Leibwächter, Chauffeur und Nachbarn wohltuend zurückhaltend als stillen, treuen Begleiter. Dass Jana nicht einmal ihm vollständig zu trauen vermag, ist das einzige private Drama, das der Film zu bieten hat.

Jana kommt der CIA in die Quere und wird zurückgepfiffen
Auf den explosiven Beginn folgt wenig später der nächste Gewaltakt: Jana, ihr Vorgesetzter Thomas Günther (Axel Milberg) und ein Kollege von der amerikanischen Anti-Drogen-Einheit bitten die pakistanische Regierung um Unterstützung bei dem Versuch, einen Opium-Deal der Taliban zu unterbinden. Entgegen der Absprache lässt der pakistanische Befehlshaber jedoch die überwältigten Drogenkuriere mitten auf dem Marktplatz und vor den Augen der Agenten erschießen. Der Tipp stammte von Lamias Mann, James Logan Davis (Crispin Glover), der angeblich selbst Anschläge vorbereitet. Allerdings kommt Jana mit ihren Nachforschungen allen möglichen Konkurrenten in die Quere, allen voran der CIA, die Davis ebenfalls als Quelle führt. Der BND muss Rücksichten nehmen, Günther pfeift seine Agentin zurück. Zudem spielt der indisch-pakistanische Konflikt eine verhängnisvolle Rolle. Inoffiziell folgt Jana dem Doppel-Agenten Davis nach Mumbai, fliegt dort auf, wird vom indischen Geheimdienst vorübergehend verhaftet. Jana agiert forsch und mutig und ist doch im Netz der verschiedenen Mächte gefangen. Ihre Warnung vor einem Anschlag in Mumbai droht aufgrund übergeordneter politischer Interessen zu verhallen. Tatsächlich kam es Ende November 2008 zu einem Angriff islamistischer Terroristen auf die indische Metropole, bei dem Hunderte von Menschen getötet oder verletzt wurden. Vorbereitet wurden sie unter anderem von dem amerikanisch-pakistanischen Doppelagenten David Headley, dem realen Vorbild für die Filmfigur Davis, der auch im Zentrum der Doku „Spur des Terrors“ steht.

Saat des TerrorsFoto: SWR / Diwafilm
Die BND-Agentin Jana Wagner (Christiane Paul) und ihr amerikanischer Kollege Stephen Walker (Robert Seeliger) erhalten von ihrem Informanten James Logan Davis (Crispin Glover) Hinweise auf ein Drogenschmuggelnetzwerk der Taliban

Homeland“-Star Negahban spielt wieder den Finsterling – aber mit Stil
„Saat des Terrors“ ist also ein klassischer Agenten-Thriller vor dem Hintergrund realer Ereignisse. Die Antagonisten sind undurchsichtig, spielen ein doppeltes Spiel. Besonders zwielichtig: Oberst Baqri, Janas Verbindungsmann beim pakistanischen Geheimdienst, der in Deutschland ausgebildet wurde und von Navid Negahban ausgesucht höflich und galant gespielt wird. „Wen, zum Teufel, triffst du hier?“, fragt Leibwächter Nicholas. „Den Teufel“, antwortet Jana. Auch ohne diesen Dialog wäre dem Publikum wohl die Doppelbödigkeit der Figur aufgefallen, das Gespräch mit Jana ist dann aber eine Schlüsselszene, in der die pakistanische Perspektive mal etwas differenzierter angedeutet wird. „Wenn der Terror besiegt ist, stehen sie dann immer noch an unserer Seite?“, fragt Baqri. Wie so oft, zuletzt in Staffel 2 der Serie „The Team“, spielt der im Iran geborene Negahban den fernöstlichen Finsterling, das aber mit Stil. Dagegen wirkt es etwas unglaubwürdig, dass die sonst so misstrauische Jana ihrem Dolmetscher Tariq (Reza Brojerdi) vorbehaltlos vertraut. Bald stellt sich sogar heraus, dass Tariq Baqris Neffe ist und für die pakistanische Seite spioniert.

Gernot Rolls Bildgestaltung: nüchtern, klar, realistisch
Der Polit-Thriller vermag es, sein Publikum trotz solcher Ungereimtheiten von Anfang an zu fesseln, auch wenn sich die Geschichte auf längst vergangene Ereignisse bezieht und die Schauplätze fern sind. Bemerkenswert: Der 1939 geborene Alt-Meister Gernot Roll („Heimat“, „Rossini“, „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“) zeichnete wie schon bei den zum Teil ebenfalls im Ausland gedrehten Harrich-Filmen „Gift“ und „Meister des Todes“ für die Kamera verantwortlich. Er verzichtet auf ausgefallene Einstellungen, visuelle Effekte, besonders hektische oder düstere Bilder, bleibt eher nüchtern, klar und in der Anmutung realistisch. Die Drehorte wirken nicht exotisch ausgestellt, Bildgestaltung und Szenenbild stehen ganz im Dienst der Geschichte. Und nach einer guten Stunde nehmen Tempo und Dramatik noch einmal zu. Harrich bezieht nun Archivbilder von den Anschlägen auf das Hotel in Islamabad, in Mumbai und schließlich vom Fußball-Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland im November 2015 in Saint-Denis mit ein. Der Terror rückt beklemmend nahe und mündet in ein allerdings steifes und etwas lahmes Finale: Jana hält vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium in Berlin, das nur aus einer Runde Filmstatisten besteht (und auch so aussieht), eine flammende Rede – mit abschließendem Blick in die Kamera, damit sich das Publikum direkt angesprochen fühlt. Wer so viel Zeit in Recherche investiert wie Daniel Harrich, will wohl sicher gehen, dass seine Botschaft ankommt. Zugleich ist dieses Finale aber auch ein ziemlich geschickter Versuch, für den in den Sendern gewünschten „Audience Flow“ zu sorgen, also das Dranbleiben, umgangssprachlich ausgedrückt. Denn in Janas Ansprache sind Infos enthalten, die wie ein Cliffhanger funktionieren, um die Zuschauer auf die folgende Dokumentation neugierig zu machen. (Text-Stand: 31.10.2018)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, BR, rbb, SR, SWR

Mit Christiane Paul, Heiner Lauterbach, Navid Negahban, Axel Milberg, Reza Brojerdi, Crispin Glover, Ankita Makwana, Robert Seeliger

Kamera: Gernot Roll

Szenenbild: Thorwald Kiefel

Kostüm: Nicole Dannecker

Schnitt: Constantin Dauch

Musik: Ian Honeyman

Redaktion: Manfred Hattendorf

Produktionsfirma: diwafilm

Produktion: Danuta Harrich-Zandberg, Walter Harrich, Daniel Harrich

Drehbuch: Gert Heidenreich, Daniel Harrich

Regie: Daniel Harrich

Quote: 4,90 Mio. Zuschauer (16,1% MA)

EA: 21.11.2018 20:15 Uhr | ARD

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