Meist nutzen die Pilcher-Verfilmungen das beschauliche Cornwall als Schauplatz für romantische Dramen oder Komödien. „Das Geheimnis der Blumeninsel“ ist allerdings ein veritables Melodram, denn die beiden weiblichen Hauptfiguren tragen eine große seelische Last: Ärztin Amy (Eva-Maria Grein von Friedl) leidet schon ihr ganzes Leben lang darunter, dass sie ihrer Mutter nichts recht machen kann. Die verbitterte Maggie (Marie Theres Kroetz Relin) ist nie darüber hinweggekommen, dass ausgerechnet die große Liebe ihres Lebens einst ihren Bruder erschossen hat. Sie hat ihr Kind in dem Glauben großgezogen, sein Vater sei gestorben. Tatsächlich ist Amy jedoch die Tochter dieses Mannes, und obwohl sie glücklich verheiratet ist, will sie keine Kinder bekommen: aus Angst, eine ähnlich schlechte Mutter zu werden wie die egozentrische Maggie. Weil ihr die Arbeit als Klinikärztin in London zu anstrengend geworden ist, hat sie die Blumenfarm ihrer Großeltern auf einer Insel vor der Küste Cornwalls übernommen. Als Ehemann John (Christian Natter), eigentlich Literaturwissenschaftler, eine Professorenstelle an der Universität Plymouth erhält, braucht Amy einen neuen Vorarbeiter. Der ältere Mann, der sich um den Job bewirbt, hat zwar keine Ahnung von Blumen, lernt jedoch schnell und bringt Amys Website auf den neuesten Stand. Sie fasst rasch Vertrauen zu dem Fremden. Obwohl sich Ian (Urs Remond) mit einer Aura der Unnahbarkeit umgibt, hat sie das Gefühl, den Mann schon lange zu kennen.
Natürlich ahnt das Stammpublikum des Sendeplatzes spätestens jetzt, um wen es sich bei Ian handelt, und deshalb versucht Autorin Nicole Walter-Lingen in ihrem zweiten „Rosamunde-Pilcher“-Drehbuch gar nicht erst, seine wahre Identität zu verheimlichen. Das ist einerseits ein bisschen schade, bewahrt den Film andererseits aber auch vor der Peinlichkeit, am Ende mit großer Geste eine Wahrheit zu enthüllen, die längst jeder kennt: Ian hat drei tätowierte Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger und die letzten 27 Jahre keineswegs in Dubai verbracht, wie er erzählt, sondern im Gefängnis; der erste Akt endet damit, dass die Autorin sein Geheimnis verrät. Was bei einem Drama oder Krimi dramaturgisch vielleicht unklug wäre, entpuppt sich im Melodram sogar als Spannungsverstärker, denn natürlich stellen sich nun gleich mehrere Fragen: Wie wird es Mutter und Tochter gelingen, die scheinbar unüberwindliche Kluft, die sie voneinander getrennt, zu überwinden? Und werden sie in der Lage sein, Ian zu vergeben? Außerdem lässt Walter-Lingen offen, was damals wirklich passiert ist; sie deutet an, dass Ian eine Schuld auf sich genommen hat, aber die ganze Wahrheit offenbart sich erst am Schluss; sie enthält eine echte Überraschung.
Schon die historischen Hintergründe dieser Geschichte sind für den Sendeplatz ungewöhnlich: Ian ist Nordire und hat offenbar der IRA angehört oder zumindest mit ihr sympathisiert, wie sich aus weiteren Tätowierungen schließen lässt. Selbst wenn dieses Thema kein zentraler Bestandteil der Handlung ist, so schwingt es doch mit; gemessen daran war die Handlung von Walter-Lingens ohnehin missratenem letzten „Pilcher“-Film („Wenn Fische lächeln“, 2017) eine Lappalie. Die Autorin hat früher vor allem für ARD-Freitagsreihen wie „Utta Danella“ und „Lilly Schönauer“ geschrieben, zuletzt mit der Degeto-Komödie „Immer Ärger mit Opa Charly“ (2016) aber eine romantische Komödie mit einem gewissen Anspruch verfasst. Mitunter scheiterten die Geschichten auch an einfallslosen Inszenierungen, eine Gefahr, die bei Marco Serafini immer droht. Der Regisseur arbeitet seit Jahren fast ausschließlich für den Sonntagssendeplatz im ZDF, was offenbar zu einer gewissen Bequemlichkeit führt: weil es allemal leichter ist, die Erwartungen des Senders zu erfüllen, als den Filmen einen eigenen Stempel aufzudrücken. Deshalb beginnt „Das Geheimnis der Blumeninsel“ mit einem entfesselten Kameraflug, deshalb gibt es viele Einstellungen von Sonne und Meer, und deshalb sorgt die Musik des ähnlich „Pilcher“-erfahrenen Komponisten Patrick M. Schmitz dafür, dass in emotionaler Hinsicht keinerlei Fragen offen bleiben.
Dass der Film dennoch sehenswert ist, und das nicht nur für die „Herzkino“-Zielgruppe, liegt nicht zuletzt am Ensemble. Eva-Maria Grein von Friedl verkörpert die verschiedenen Facetten Amys allesamt glaubwürdig. Das gilt für die zärtlichen Szenen ebenso wie für den Ärger über die hartherzige Mutter oder die Momente mit Ian und vor allem für den letzten Akt, als Amy erkennen muss, dass ihr gesamtes Leben auf einer Lüge basierte. Genauso wichtig wie die Identifikationsfigur ist die Rolle des vermeintlichen Gegenspielers. Auch in dieser Hinsicht haben die Verantwortlichen eine gute Wahl getroffen. Der Schweizer Urs Remond scheint mit seinen markanten Gesichtszügen und der prägnanten Baritonstimme geradezu prädestiniert, einen Schurken zu spielen, was er auf diesem Sendeplatz tatsächlich auch schon mal getan hat („Rosamunde Pilcher: Gefährliche Brandung“, 2015), muss aber natürlich auch eine andere Seite andeuten, damit nachvollziehbar ist, warum Amy dem Fremden so rückhaltlos vertraut. Auch die weiteren Rollen sind treffend besetzt, selbst wenn Monika Baumgartners oberbayerischer Akzent in Cornwall etwas deplatziert wirkt; dafür stolpern andere über das „th“ in Plymouth. Viel schlimmer ist jedoch die Musik. Wenn Maggies nicht eingeweihte Nachbarin (Elisabet Johannesdottir) unschuldig nach Amys Vater fragt, setzt Schmitz prompt ein musikalisches Ausrufezeichen; geben sich Amy und John einen Abschiedskuss, lässt er die Geigen dahinschmelzen. Die Dialoge sorgen allerdings oftmals für passende Pendants. „Wo Blumen blühen, da lächelt die Welt“ mag noch durchgehen, weil Ian damit für Amys Betrieb wirbt, und die Maxime „Es ist das Grundrecht jedes Menschen, einfach nur er selbst sein zu dürfen“ ließe sich zur Not mit Rosa Luxemburg rechtfertigen. Sätze wie „Du bist da zuhaus, wo dein Herz ist“ stammen jedoch aus dem Pilcher-Baukasten und gehören dringend auf den Index. Rührend naiv klingt auch die Botschaft des Films – Menschen sollten sich nicht hassen, nur weil der eine in London und der andere in Belfast zur Welt gekommen ist. Aber immerhin ist sie aktueller denn je.