Ein freundlicher Rateonkel mit dicker Brille: So ist Robert Lembke vielen, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind, im Gedächtnis geblieben; und natürlich seine obligate Frage „Welches Schweinderl hätten’s denn gern?“. Das mit dreijähriger Unterbrechung von 1955 bis zu seinem Tod im Januar 1989 ausgestrahlte BR-Quiz „Was bin ich?“, Titelzusatz: „Das heitere Beruferaten“, war eine harmlose Unterhaltungssendung; „immer nett, immer lustig“, erinnert sich Günther Jauch. Wie fast alle hatte auch er damals keine Ahnung, dass das vierköpfige Rate-Team ebenso wie der Gastgeber einen jeweils ganz unterschiedlichen Opferbezug zum Nationalsozialismus hatte: Lembke, 1913 in München geboren, war der Sohn eines jüdischen Vaters. Dessen Religion spielte in Roberts Leben allerdings keine Rolle: Der Junge war evangelisch getauft. Nach den Regeln der 1935 erlassenen „Nürnberger Gesetze“ galt er dennoch als „Mischling 1. Grades“; das letzte Kriegsjahr überlebte er, weil Bauern ihn, seine Frau und Tochter Ingrid auf ihrem Hof versteckten.
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Über die jüdischen Wurzeln und die antisemitischen Diskriminierungen im „Dritten Reich“ hat Lembke ähnlich wie sein TV-Kollege Hans Rosenthal öffentlich nicht gesprochen. Während der „Dalli Dalli“-Moderator sein Schweigen jedoch irgendwann gebrochen und über seine Erfahrungen sogar ein Buch geschrieben hat („Zwei Leben in Deutschland“), kamen Lembkes Erlebnisse in seiner Familie offenbar nie zur Sprache. Damit ist Martin Weinhart (Buch und Regie) beim eigentlichen Thema seines Films: „Robert Lembke – Wer bin ich?“ (nicht zu verwechseln mit einem vor Jahren unter gleichem Titel geplanten, aber nie zustande gekommenen Film von Niki Stein) ist zwar auch eine Hommage an den Quizklassiker, aber in erster Linie geht es um das Trauma, das Lembke seinen Nachkommen hinterlassen hat; Enkelin Linda Benedikt spricht gar von einem posttraumatischen Belastungssyndrom, unter dem sie bis heute leide.
Familiäres Unglück ist, frei nach Tolstoi, sehr individuell, aber in einer Hinsicht sind die Parallelen zwischen Opfern und Tätern offenkundig: Ihr Schweigen hat zur Folge, dass auch die folgenden Generationen psychisch erkranken können. Deshalb erzählt Weinhart eine im Grunde sehr bedrückende Geschichte: Ausgerechnet dieser ungemein liebenswürdiger Moderator, der von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, der als Journalist einen nicht unerheblichen Beitrag zur Demokratisierung Deutschlands in den Nachkriegsjahren geleistet und als Sportkoordinator der ARD dafür gesorgt hat, dass die deutschen Reporter bei der Fußball-WM 1954 auf „jegliches Triumphgeheul“ verzichteten: Ausgerechnet dieser Mann hat als Familienvater eine nicht wieder gut zu machende Schuld auf sich geladen, indem er ein existenzielles Thema zum Tabu erklärte.
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Formal orientiert sich der Film, den die ARD aus unerfindlichen Gründen erst spät in der Nacht versendet, am Genre des Dokudramas: Weinhart ergänzt die vielen Ausschnitte aus „Was bin ich?“ um dokumentarisches Material, Zeichnungen von Linda Benedikt und Gespräche; darunter neben Jauch und Lembkes Enkel Florian Benedikt auch Georg Stefan Troller, sein Kollege bei der amerikanischen „Neuen Zeitung“, sowie Marianne Koch, Mitglied des Rate-Teams. Bis auf wenige Ausnahmen verzichtet der Film jedoch auf die sonst obligaten Spielszenen, selbst wenn Johann von Bülow sehr sympathisch und mit viel subtiler Ironie in die Titelrolle schlüpft. Abgesehen etwa von einem Disput mit Tochter Ingrid, die mehr über ihren Großvater wissen will und darob von Lembke ziemlich barsch aufgefordert wird, das Thema nie wieder anzusprechen, beschränken sich die betont karg inszenierten Darbietungen aufs Rezitieren: Jeanette Hain sitzt auf einer Bühne und deklamiert Passagen aus Ingrid Benedikts autobiografischem Buch „Ich habe keine Angst um mich“ (1993, Bastei Lübbe), Bülow äußert sich vor allem in Form feinsinniger Aphorismen, die Lembke in mehreren Bändern veröffentlicht hat; selbstredend passen die mit einem Schmunzeln im Knopfloch vorgetragenen Weisheiten perfekt zum jeweiligen Kontext.
Für die Faktenvermittlung sorgt in erster Linie der von Sibylle Canonica sehr angenehm gesprochene Kommentar, aber mitunter ist auch ein nachgestelltes Interview aufschlussreich, wenn beispielsweise ein süffisanter Journalist (Michael A. Grimm) den Moderator auf dessen angebliche Geschäftstüchtigkeit anspricht. Gelegentlich erlaubt sich Weinhart auch kleine Polemiken, wenn er die geifernden Vorwürfe von Roberts Stiefvater (Martin Brambach), offenkundig ein glühender Nazi, der die Familie tyrannisiert und den Stiefsohn denunziert hat, mit einem Redeausschnitt von Joseph Goebbels verknüpft. Als eine Reporterin der „Funkuhr“ Details über die Zeit zwischen 1933 und 1945 erfahren will, ist Lembkes Bitte um eine Pause im Grunde sein einziges Eingeständnis, wie sehr ihn das Thema berührt.
1 Antwort
… Ausgerechnet dieser Mann hat als Familienvater eine nicht wieder gut zu machende Schuld auf sich geladen, indem er ein existenzielles Thema zum Tabu erklärte.
Das ist wirklich Unsinn. Nicht wieder gut zumachende Schuld laden die Täter auf sich. Wie ein Opfer mit seinen Erfahrung umgeht mag zu diskutieren sein, aber es ist auf jeden Fall ausserhalb jeder Schuld-Skala. Erfahrungen nicht weiterzugeben, schreckliche besonders, kann ein Versuch sein andere zu schützen. Wenn dadurch zweieinhalb Generationen später posttraumatische Belastungsstörungen entstehen – traurig, aber die wahre Opfersituation verkennend.
Ansonsten – Danke für die gute Arbeit.